Seit Anfang 2018 erforscht Hanna Strzoda die Umstände einer der größten Erwerbungen in der Geschichte der preußischen Museen: Den Ankauf von 4.400 Werken aus dem Bestand der Dresdner Bank im Jahr 1935. Ihre Forschungen bauen auf der Ende 2017 veröffentlichten Publikation „Kunst durch Kredit“ von Lynn Rother auf, die den kunst- und bankhistorischen Hintergrund des Geschäftes aufarbeitet.
Bei den 4.400 Kunstwerken, die der Preußische Staat 1935 erwarb und dann an die Museen übergab, handelte es sich um Kreditsicherheiten der Dresdner Bank. Diese wurden im Zuge des Sanierungsprozesses der insolventen Bank verwertet – für 7,5 Millionen Reichsmark, eine Summe, die den Verkauf zum größten Kunstgeschäft der NS-Zeit macht. Unter den Kreditnehmern waren zahlreiche jüdische Geschäftsleute. So stellt sich die Frage, ob ihre damals von der Bank verkauften Kunstwerke heute restituiert werden müssen.
Dr. Hanna Strzoda © SPK / photothek.net / Thomas Koehler
„Dass dieser Bestand kritisch sein könnte, ist uns schon länger klar. Allerdings ist der geschäftliche Hintergrund so kompliziert, dass wir wussten, dass es wenig Sinn hat, nur bei den einzelnen Voreigentümern anzusetzen“, erzählt Petra Winter, Leiterin des Zentralarchivs, die die Provenienzforschung bei den Staatlichen Museen zu Berlin koordiniert. Trotzdem hat die SPK zu einigen größeren Werkgruppen schon Forschungen angestellt, gleichzeitig aber auch 2008 die Kunsthistorikerin Lynn Rother auf den Ankauf des Werkkomplexes als mögliches Dissertationsthema hingewiesen. Die so entstandene Veröffentlichung „Kunst durch Kredit“ hat für das Verständnis dieser großen Transaktion wesentliche Grundlagen geschaffen. Die Provenienzforscherin Hanna Strzoda überprüft nun seit Anfang 2018 im Einzelnen, ob unter den Objekten, die die Staatlichen Museen zu Berlin heute noch verwahren, NS-verfolgungsbedingt entzogene sind.
Strzoda ist eine erfahrene Provenienzforscherin und schon lange für die Staatlichen Museen zu Berlin tätig; sie hat sowohl die Sammlung der Zeichnungen im Kupferstichkabinett auf ihre Provenienz hin überprüft, als auch im Provenienzforschungsprojekt zur Galerie des 20. Jahrhunderts mitgearbeitet. Trotzdem ist die Arbeit, die sie jetzt durchführt, an einigen Punkten anders, erklärt sie: „Ein ganz grundlegender Unterschied ist, dass wir hier nicht so sehr in einzelnen Werken denken, sondern immer in Engagements, denn das waren die Konvolute, die die Bank verwaltet hat. Ein Engagement ist, verkürzt gesagt, die Summe der Kreditverbindlichkeiten einer Person. Nach dieser Person ist das Engagement dann in der Regel auch bei der Bank benannt.“ Und damit ist auch schon ein weiterer Unterschied klar: „Im Gegensatz zu anderen Provenienzrecherchen sind mir also die Namen vieler Vorbesitzer bekannt. Ich konzentriere meine Recherchen nicht auf die Rekonstruktion der Provenienzkette, sondern auf die Menschen, die dahinter standen.“
Das 1935 übernommene Konvolut bestand aus ursprünglich 42 Engagements. Viele Werke oder Werkkomplexe wurden von den Museen bereits kurz nach dem Ankauf weiterverkauft. Die Bank hatte – aus wirtschaftlichen Gründen – einen en bloc Verkauf gewollt, die Museen hatten wiederum nur Interesse an Spitzenwerken. Rund zwei Jahre wurde verhandelt. „Letztlich kam die Bank dem Staat im Preis entgegen, dafür übernahmen die Museen das gesamte Konvolut, durften dann aber das, was sie als zweit- oder drittklassig erachteten, weiterverkaufen. Dafür gab es 1937 eine große Auktion bei Julius Böhler in München“, erzählt Strzoda.
Heute sind bei den Staatlichen Museen zu Berlin nur noch Werke aus 23 Engagements vorhanden. Da zu einigen besonders umfangreichen Engagements bereits in der Vergangenheit Untersuchungen durchgeführt wurden, muss Strzoda noch etwa 200 Objekte aus 19 Engagements überprüfen. Diese verteilen sich auf acht Sammlungen der Museen.
Restitution an die Erben Heinrich Ueberalls
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat 2019 fünf Werke aus den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin an die Erben des Berliner Kunsthändlers Heinrich Ueberall restituiert. Ueberall wurde 1939 in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo er kurz darauf starb.
Pressemitteilung „SPK restituiert fünf Werke aus der Sammlung Ueberall“ (21.05.2019)
Die Werke sind bekannt, die Namen der Engagements ebenfalls – wo liegt die Schwierigkeit, mag man sich fragen? Einerseits ist die Frage der Verfolgung zu klären, es müssen also die Lebensläufe der Voreigentümer rekonstruiert werden. Andererseits stehen hinter einigen der Engagements mehrere Anteilsinhaber. Diese zu ermitteln ist ebenfalls Teil der Forschungsarbeit. Wichtig ist schließlich die Frage nach den Details des einzelnen Kreditgeschäftes, sagt Strzoda. „Es gibt einige Engagements, die aus drei oder vier verschiedenen Verträgen entstanden sind, die aber meistens zeitlich relativ eng beieinander liegen. Die meisten wurden zwischen 1929 und 1933 abgeschlossen. In diesen Verträgen war festgelegt, welche Werke als Sicherheit an die Bank übereignet wurden und unter welchen Voraussetzungen die Bank diese Sicherheiten verwerten durfte.“ Zudem waren nicht alle Verträge direkt bei der Dresdner Bank abgeschlossen worden, sondern bei weiteren Banken, die durch die Bankenkrise mit der Dresdner Bank fusionierten und deren Kredite so an die Dresdner Bank übergingen.
Zentral für die Betrachtung ist dann die Frage, warum in jedem einzelnen Fall die Kredite nicht zurückgezahlt wurden, sondern die Bank die Sicherheiten an den Staat verkauft hat. Es muss also geklärt werden, ob die Kunden die verpfändeten Werke deshalb nicht auslösen konnten, weil sie durch das NS-Regime verfolgt wurden. Nur so kann eingeordnet werden, ob ein Objekt aus dem großen angekauften Konvolut tatsächlich als NS-verfolgungsbedingt einzuordnen ist oder als Teil eines Geschäfts, das auch unter anderen Umständen so abgewickelt worden wäre.
Für all diese Fragen sucht Hanna Strzoda in verschiedenen Archiven in ganz Deutschland nach Hinweisen, Verträgen, Unterlagen. „Wenn ich einen Bestand erforsche, habe ich normalerweise die Erwerbungsakten im Zentralarchiv. Hier ist es anders, weil die Museen ja nur die Abnehmer waren. Die ganze Vorgeschichte, der Abschluss der einzelnen Kreditgeschäfte, ist bei der Dresdner Bank passiert, und so muss ich die Erwerbungsakten als erstes im historischen Archiv der Commerzbank in Frankfurt am Main suchen, mit der ja die Dresdner Bank mittlerweile fusioniert ist. Wenn dort nichts ist, durchkämme ich noch andere Archive“ erklärt Strzoda. „Wir haben allerdings die Korrespondenz zwischen Dresdner Bank und Museen von 1933 bis 1935, denn so lange zogen sich die Verhandlungen hin.“
Rund drei Jahre sind für die Erforschung des Bestands vorgesehen. Hanna Strzoda weiß, die Zeit drängt. Umso erfreulicher, wenn eine Rückgabe abgeschlossen werden kann, bei der sogar noch ein Überlebender des Holocaust zu den berechtigten Erben zählt, wie 2019 bei der Restitution an die Nachfahren Heinrich Ueberalls.