Hanna Strzoda, Provenienzforscherin im Projekt zu den Erwerbungen der „Sammlung der Zeichnungen“ zwischen 1933 und 1945, und Anna Pfäfflin, Kuratorin für Werke aus dem 19. Jahrhundert im Kupferstichkabinett, schildern die täglichen Probleme bei der Herkunftsforschung in einer graphischen Sammlung. Sie nehmen 2017 am Deutsch-Amerikanischen Austauschprogramm für Provenienzforscher teil.
Was ist eigentlich die Sammlung der Zeichnungen?
Anna Pfäfflin: Ende des 19. Jahrhunderts wurde die damalige Nationalgalerie als Museum für zeitgenössische Kunst eingerichtet. Sie war als medienübergreifendes Epochenmuseum geplant, also für Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und in der ersten Phase auch für Druckgraphik. Aus dem Kupferstichkabinett, das es schon länger gab, wurde daher der Teil der damals zeitgenössischen Zeichnungen an die Nationalgalerie abgegeben. Mit der deutsch-deutschen Teilung wurden auch die Museen geteilt, und so gab es sowohl im Osten als auch im Westen eine Sammlung der Zeichnungen, die weitergeführt wurde. In beiden Fällen wurde aber überlegt, wo gehört das hin: Im Ostteil Berlins verblieb die Sammlung bis 1968 in der Nationalgalerie, zwischen 1969 und 1984 war sie Teil des Ostberliner Kupferstichkabinetts, zwischen 1984 und 1992 wieder Teil der Nationalgalerie. Auch im Westen verblieb die Sammlung der Zeichnungen bis 1986 in der dortigen Nationalgalerie, danach gehörte sie zum Kupferstichkabinett. Nach der Wiedervereinigung wurde die Sammlung der Zeichnungen dann 1992 am Kulturforum im Kupferstichkabinett vereint.
Die Lupe zeigt es: Kleins Werk wurde „ersteigert bei C. G. Boerner, Leipzig, 16.5.1934 (Handzeichnungssammlung Prof. Paul Arndt, München)“ © SPK / photothek.net / Thomas Koehler
Wie groß ist die Sammlung?
AP: Es sind etwa 50.000 Werke.
Und die werden jetzt alle auf ihre Provenienz hin erforscht?
Hanna Strzoda: Nein, ich erforsche in dem Projekt nur die Erwerbungen der Jahre 1933 bis 1945, das sind ca. 1.200 Werke. Im ersten Schritt wurde das allerdings auch noch reduziert: Ich habe zuerst geprüft, was überhaupt noch vorhanden ist, so haben wir zum Beispiel einiges durch Krieg oder die Aktion „Entartete Kunst“ verloren. Dann habe ich Direktankäufe von regimekonformen Künstlern rausgerechnet, denn diese Werke können natürlich keine NS-verfolgungsbedingten Verluste sein. Es blieb dann ein Forschungskonvolut von ca. 950 Werken übrig.
Wie beginnt man bei 950 Werken? Mit der niedrigsten Werknummer?
HS: Ich habe mich tatsächlich am Inventar entlanggearbeitet, von der ersten Inventarnummer 1933, und dann durch die Jahre hoch. Dazu habe ich erstmal alle Informationen über den Vorbesitz aus dem Inventar herausgesucht, mit den vorhandenen Karteikarten abgeglichen, die Rückseite jedes einzelnen Werkes geprüft und die dort erkennbaren Provenienzmerkmale wie Sammlerstempel, Beschriftungen, Losnummern aus Auktionen dokumentiert – also alles, was hier im Haus möglich war. Danach habe ich im Zentralarchiv der Staatlichen Museen die Erwerbungsunterlagen durchgesehen. Glücklicherweise sind für die Sammlung der Zeichnungen außergewöhnlich viele Akten erhalten, weil sie damals zur Nationalgalerie gehörte.
Wieso ist das so außergewöhnlich? Dokumentieren Museen nicht grundsätzlich immer ihre Erwerbungen?
HS: Doch, das tun sie und haben sie natürlich getan, aber viele Akten sind im Krieg verlorengegangen. Die Akten des Kupferstichkabinetts zum Beispiel sind größtenteils Kriegsverluste. Dass die Akten der Nationalgalerie erhalten sind, ist ein Glücksfall.
AP: Generell sind Zeichnungen mit einem geringeren Marktwert auch deshalb schlechter dokumentiert als Gemälde, weil man oft gleich mehrere auf einmal gekauft hat – da ist dann vielleicht vermerkt: „5 Zeichnungen von Liebermann, 3 davon Landschaften und 2 Stillleben“.
HS: Aber in der Nationalgalerie war auch das anders, weil die Kuratoren gewohnt waren, mit Gemälden zu hantieren. Sie haben auch jeder einzelnen Zeichnung die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet – so hat jede eine eigene Inventarnummer.
Und wie wird dann die Forschung weitergeführt? Ergeben diese Informationen die Geschichte jedes Werkes? Das klingt eher unspektakulär.
HS: Die Geschichte des Werkes hat man dadurch in den allerseltensten Fällen, man gewinnt nur Anhaltspunkte. Wenn man zum Beispiel einen Sammlerstempel findet, dann ist die Frage, ob man ihn überhaupt identifizieren kann. Deshalb bin ich auch immer mit den Kollegen von der Lugt-Datenbank im Austausch, eine Datenbank für Sammlerstempel. Oder man hat etwas von einer Privatperson erworben, und in der Korrespondenz mit diesem Vorbesitzer über den Ankauf findet man eine Aussage, woher etwas stammt. Über die Hälfte der Werke kommen aber aus dem Kunsthandel. Was man dann über Inventar oder Karteikarte herausfindet, ist lediglich der Händler – eine Galerie, ein Auktionshaus. Man weiß aber dadurch nicht, wer der Vorbesitzer ist, der das Werk zum Verkauf übergeben oder im Auktionshaus eingeliefert hat. Und dann beginnt die Arbeit erst.
Diese Tiefenrecherchen brauchen viel Zeit, manchmal Wochen oder Monate
AP: Und das ist natürlich auch die Schwierigkeit für mich als Kuratorin: Ich kann noch relativ leicht diese ersten Schritte gehen – Inventarbuch, Karteikarten, Werk prüfen – aber die Tiefenprovenienzforschung ist natürlich deutlich zeitintensiver.
Was macht man dann mit den ganzen Anhaltspunkten?
HS: Man stellt alle gesammelten Daten zu einem Werk strukturiert zusammen. Idealerweise ergibt sich daraus eine lückenlose Provenienz – aber das ist nicht so oft der Fall. Dann schaut man weiter. Zu manchen Kunsthandlungen gibt es ein Archiv, zum Beispiel das Ferdinand-Möller-Archiv in der Berlinischen Galerie. Wenn man über die Geschäftsunterlagen unmittelbar einen Vorbesitzer ermitteln kann, kann die Recherche auch mal mit relativ wenig Aufwand erledigt sein.
Und wie findet man heraus, wer ein Bild eingeliefert hat, wenn es kein Archiv gibt?
HS: Das ist ein Riesenthema. Damit beschäftige ich mich seit drei Jahren so intensiv, dass es fast schon ein Hobby geworden ist. 1934 hat die Reichskammer der Bildenden Künste angeordnet, dass die Auktionshäuser die Versteigerungen bei der Reichskammer anmelden müssen und dass die Einlieferer im Auktionskatalog verschlüsselt anzugeben sind. Wenn man also so einen Auktionskatalog aus der NS-Zeit aufschlägt, hat man kryptische Kürzel wie „S. in B.“ oder „Besitz VIX“, oder nur Initialen, die auch mal nur Initialen zu sein scheinen. „G.St.“ – darüber bin ich vor kurzem gestolpert, dahinter verbarg sich der Generalstaatsanwalt. Das zeigt ganz gut, dass mit solchen Kürzeln unter Umständen auch mal eine jüdische Herkunft bewusst verschleiert wurde. Wenn man Glück hat, sind Versteigerungsanmeldungen erhalten. Diese Anmeldung der Auktion bei der Reichskammer musste nämlich den Namen des Einlieferers beinhalten, seine Adresse und die eingelieferten Werke als Liste. Wenn ich dieses Glück habe, dann bin ich schon relativ weit. Oft hat man es nicht.
Und wenn nicht?
HS: Dann versucht man es auf anderem Weg, indem man sich zum Beispiel die Einlieferung als Komplettpaket ansieht und schaut, ob sich vielleicht bei den anderen Werken aus der gleichen Charge, die gar nicht von unserem Museum erworben wurden, der Voreigentümer vor der Auktion ermitteln lässt. Aber klar ist: Gut ein Drittel der von mir im Kupferstichkabinett geprüften Werke sind Erwerbungen aus Auktionen. Das heißt, wir sind bei gut 300 verschiedenen Besitzkürzeln. Und das ist natürlich auch einer von vielen Punkten, der die Frage beantwortet, die immer wieder gestellt wird: Warum dauert die Provenienzforschung so lange?
Lässt sich denn die Geschichte eines Werkes immer aufklären?
HS: Gerade bei den Kunsthandelserwerbungen bleiben leider oft Lücken. Bei einer graphischen Sammlung umso mehr, denn man untersucht dabei Werke, deren Werkidentitäten zum Teil nicht klar sind. Wenn Zeichnungen zum Beispiel „Stehender Mann“, „Sitzender Akt“ oder „Landschaft“ heißen, kann man unheimlich schwer klar zuordnen. In Auktionskatalogen wird ein teures Gemälde vielleicht mit Abbildung und halbseitiger Beschreibung erwähnt, aber eine preiswerte Zeichnung nur mit einem kurzen Dreizeiler mit den Eckdaten, in der Regel ohne Bild. Bei Druckgraphiken kommt noch dazu, dass es von einem Werk immer mehrere Abzüge gibt.
AP: Und weil Zeichnungen oft einen geringeren Marktwert haben, wurden und werden sie auch von Leuten gekauft, die als Sammler vielleicht nicht so bekannt sind, nicht einen großen Namen haben.
HS: Genau, dann muss man erstmal die Biographie recherchieren – und dabei geht es natürlich darum, herauszufinden: kann dieser Vorbesitzer zu einer verfolgten Personengruppe gehört haben, welcher Religion gehörte er an, wie hat er sich politisch betätigt, was war das für ein Mensch? Nur so kann man einschätzen, ob der Verkauf ein NS-verfolgungsbedingter Verlust sein könnte. Und dann beginnt die Tiefenrecherche, das heißt, man bohrt in externen Archiven. Bei Berliner Vorbesitzern heißt das für mich in der Regel: Anfragen im Landesarchiv, Bundesarchiv, Entschädigungsamt, Brandenburgischen Landeshauptarchiv, wo die Akten der Polizeidirektion liegen, also die direkten Entziehungsakten. So versuche ich dann die unmittelbaren Verfolgungsumstände zu rekonstruieren. Und diese Tiefenrecherchen brauchen viel Zeit, manchmal Wochen oder Monate.
Wir müssen wissen, woher ein Werk stammt, bevor wir es in die Sammlung aufnehmen
So lange für ein Werk?
HS: Ja, durchaus. Allein wenn man bedenkt, dass eine Antwort auf eine Archivanfrage schon mal vier bis sechs Wochen dauern kann. Und wenn man über jemanden recherchiert, der nicht aus Berlin stammt, ist die Herausforderung noch größer. In welchen Archiven befinden sich die Akten, die ich benötige? Und wie komme ich dann an die Akten? Oft kann ich sie per Kopie bestellen, falls ich die relevante Signatur per Ferndiagnose ermittelt bekomme, aber manchmal muss ich auch vor Ort recherchieren. Und so gibt es dann viele verschiedene Puzzlestückchen aus manchmal 30 verschiedenen Akten, die aus zehn verschiedenen Archiven kommen.
AP: Wenn wir heute Kunstwerke erwerben, dann müssen wir solche Recherchen natürlich im Vorfeld durchführen. Das ist manchmal auch eine diffizile Angelegenheit, gerade wenn man mit Privatpersonen zu tun hat, die etwas schenken möchten. Sie haben das Werk vielleicht aus dem elterlichen Besitz, wissen aber von der Vorgeschichte nichts. Wenn wir dann beginnen, nachzufragen, ist schon auch viel Fingerspitzengefühl gefragt. Und trotzdem: Wir müssen wissen, woher ein Werk stammt, bevor wir es in die Sammlung aufnehmen. Das ist auch Teil unserer Aufgabe als Kuratoren, nicht die des Provenienzforschers, der im Rahmen eines Projektes einen Sammlungsbestand untersucht.
Wie oft muss man eigentlich aus Berlin raus für die Recherche?
HS: Für die Sammlung der Zeichnungen ist tatsächlich vieles in Berlin erworben worden. Somit sind auch die meisten Recherchen lokal begrenzt. Aber es ist trotzdem wichtig, über den Tellerrand der eigenen Stadt zu schauen, weil man zum Beispiel bei dieser Auktionskürzel-Problematik nie zu einem Ergebnis kommen wird, wenn man sich nicht ganz intensiv mit Kollegen vernetzt. Stellen Sie sich vor, ein Besitzer hat 200 Werke eingeliefert, die unter einem Besitzkürzel verzeichnet sind, aber von diesen 200 Werken ist dann ein Teil nach Wien gekommen, ein Teil nach Düsseldorf, ein paar Werke nach Berlin und so weiter – und entsprechend verteilt sind auch die Informationen. Zu guten Ergebnissen kommt man nur, wenn man sich mit den jeweiligen Kollegen dort zusammentut. In einem anderen Projekt haben wir Nachkriegserwerbungen geprüft, und da spielten die USA eine sehr viel stärkere Rolle. Denn Werke, die in der NS-Zeit über Deutschland in den amerikanischen Kunsthandel gelangten, können wieder nach Deutschland zurückgekauft worden sein. Deswegen ist natürlich die Vernetzung durch das große Austauschprogramm PREP für uns eine große Chance.
Das Projekt im Kupferstichkabinett kommt nun langsam zum Ende. Wie viele Stücke haben Sie denn gefunden, die man zurückgeben muss?
HS: Für gut die Hälfte der Werke konnten wir jeden Verdacht ausräumen, dass es sich um einen NS-verfolgungsbedingten Verlust handelt, mit einer lückenlosen oder gänzlich unauffälligen Provenienz. Bei einer Handvoll Werken müssen wir nun prüfen, ob und an wen sie restituiert werden können. Aber am Ende bleibt in graphischen Sammlungen immer eine große Zahl an Werken, bei denen man nicht weiterkommt, und vermutlich auch nie weiterkommen wird, so ist das auch hier. Man muss aber auch für diese Gruppe klar sagen: Anhaltspunkte für einen NS-verfolgungsbedingten Verlust liegen nicht vor.
Werden die Ergebnisse der Arbeit veröffentlicht?
HS: Sie werden nicht als Buch veröffentlicht, aber wir stellen sie sukzessive in dem Portal SMB Digital online. Alle ermittelten Provenienzketten sind also nach Abschluss des Projektes dort nachlesbar.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Blog der Staatlichen Museen zu Berlin.
PREP – international vernetzte Provenienzforschung
PREP steht für "German/American Provenance Research Exchange Program for Museum Professionals". Das deutsch-amerikanische Austauschprogramm wendet sich an Museumsfachleute aus Deutschland und den USA, die mit Provenienzforschung und der Erforschung des nationalsozialistischen Kunstraubs befasst sind. Das von SPK und Smithsonian Institution organisierte und vorerst auf drei Jahre angelegte Austauschprogramm soll ein gemeinsames transatlantisches Netzwerk etablieren und so die Provenienzforschung zur NS-Zeit in beiden Ländern künftig effizienter gestalten. Die Teilnehmer jedes Jahrgangs treffen sich zu jeweils einem Workshop in den Vereinigten Staaten und einem in Deutschland.
Voice Republic
Wie können Provenienzforscher herausfinden, ob ein Kunstwerk zur NS-Zeit unrechtmäßig den Besitzer gewechselt hat? Am 27. September 2017 berichten Teilnehmer des Austauschprogramms PREP in einer öffentlichen Abendveranstaltungen von Herausforderungen und Erfolgen ihrer Arbeit. Die Vorträge finden in deutscher und englischer Sprache statt.