Berlin-Mitte, Schinkelplatz: Wo derzeit bedruckte Plastikplanen an Gerüstgestängen im Wind flattern, könnte künftig Schinkels Bauakademie wiedererstehen – als ein „Humboldt Forum der Architektur“? Was die Kunstbibliothek darin bieten kann, erzählt ihr Kommissarischer Direktor, Joachim Brand.
Mit 50.000 Architekturzeichnungen besitzt die Kunstbibliothek eine der bedeutendsten Sammlungen ihrer Art in Europa. Wie ist sie entstanden?
Joachim Brand: Das Sammeln von Architekturzeichnungen ist ein wesentlicher Teil der programmatischen DNA der Kunstbibliothek. In den Anfangsjahren nach 1868 wurden mit erheblichen Mitteln des preußischen Staates komplette Privatsammlungen erworben, darunter 1879 die sehr umfangreiche Ornament- und Architekturkollektion des französischen Architekten Hippolyte Destailleur. Mit ihr konnte die damalige Bibliothek des Kunstgewerbemuseums auf einen Schlag zu den bedeutenden Architektursammlungen aufschließen. Hinzu kamen Geschenke befreundeter Architekten und Professoren der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten mit Unterstützung der Volkswagenstiftung durch Kriegsverluste entstandene schmerzliche Lücken teilweise wieder geschlossen werden. Nachlässe zeitgenössischer Architekten erweiterten das Sammlungsspektrum um die Architektur der Moderne. Beispielhaft sei hier der 2.700 Positionen umfassende Nachlass Erich Mendelsohns genannt. 1975 kam er als bedeutendste Erwerbung ihrer neueren Geschichte in die Kunstbibliothek.
Sie haben italienische Zeichnungen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, Blätter aus der Privatsammlung Wilhelm von Bodes, Nachlässe von Joseph Maria Olbrich, Erich Mendelsohn und Heinrich Tessenow, aber auch Architekturmodelle seit den 1960ern. Wäre eine wiederaufgebaute Bauakademie der richtige Ort um diese vielfältige Sammlung zu zeigen?
In der Kunstbibliothek geht das Sammeln von Zeichnungen, Fotografien, Plänen und der Aufbau und Betrieb der wissenschaftlichen Forschungsbibliothek seit fast 150 Jahren Hand in Hand. Diese integrierte Doppelstruktur als Museum und Bibliothek ist ihr wichtigstes Wesensmerkmal. Ob eine wiederaufgebaute Bauakademie infrastrukturelle Aufgaben eines Forschungszentrums übernehmen soll oder ob sie vorrangig als Auftrittsfläche für Ausstellungen und Veranstaltungen konzipiert wird, muss der weitere Planungsprozess ergeben. Die Kunstbibliothek könnte in beiden Ausrichtungen eine zentrale Rolle übernehmen. Eine Präsentation unserer Architektursammlung an diesem prominenten Ort bedeutet in jedem Fall einen immensen Zuwachs an öffentlicher Sichtbarkeit.
Kunstbibliothek
Die Kunstbibliothek ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung mit einer der weltweit größten Museumsbibliotheken. Hinzu kommen bedeutende Sammlungen zur Geschichte der Architektur, der Fotografie, des Grafikdesign und der Mode sowie zur Buch- und Medienkunst. Die Bibliothek und die Sammlungen repräsentieren gemeinsam das ganze Quellenspektrum der kunst- und kulturwissenschaftlichen Forschung. Sie ist am Kulturforum (Museumssammlungen, kunstwissenschaftliche Bibliothek), im Archäologisches Zentrum (Archäologische Bibliothek) und im Museum für Fotografie (Ausstellungsort für die Sammlung Fotografie) vertreten.
In welchem Verhältnis stehen die Werke in der Kunstbibliothek zu den anderen architektonischen Sammlungen in Berlin?
Berlin kann auf eine außergewöhnliche und auch im weltweiten Vergleich herausragende Architekturgeschichte zurückblicken. Es dürfte wenige Orte geben, an denen sich eine derartige Fülle wichtiger Bauwerke hochkarätiger Architekten betrachten lassen. Sie reflektieren prägende politische Kräfte und gestalterische Ideen der letzten Jahrhunderte: vom preußischen Barock über die frühe Moderne bis zu den Totalitarismen im 20. Jahrhundert und dem Neuaufbruch nach der Wiedervereinigung.
Die großen Berliner Architektursammlungen – zum Beispiel das Architekturmuseum der TU, die Berlinische Galerie und die Akademie der Künste – bewahren eine Fülle von Zeichnungen, Archivalien, Modellen und Fotografien zu den Bauten in Berlin. Die Kunstbibliothek kann ergänzend die Perspektive weiten und die europäische Architekturgeschichte von der Renaissance bis zur Gegenwart darstellen – in ihrer theoretischen Fundierung in Architekturtraktaten und Publikationen, aber auch beispielhaft akzentuiert durch historische Zeichnungen.
Was müsste ein Baumuseum bzw. Zentrum für Architektur in Berlin aus Ihrer Sicht leisten?
Fragen des Bauens, des Wohnens und der Gestaltung unserer Umwelt haben in den vergangenen Jahren einen vollkommen neuen Stellenwert gewonnen. Die Folgen von Landflucht, Migration und Globalisierung betreffen heute die ganze Welt. Sie bewegen in ihren lokalen Ausprägungen wie Wohnungsmangel, Gentrifizierung und Verkehrsproblemen auch die Berlinerinnen und Berliner intensiv.
Eine neue Bauakademie muss ein Ort des Nachdenkens über diese Entwicklungen sein. Sie muss die aktuellen Diskurse aufnehmen und Raum zur Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern gewähren. Ausstellungen mit lokalem und europäischem Fokus auf Themen der Baukunst können einen sinnvollen Einstieg in grundlegendere Reflexionen über den Stellenwert von Architektur und ihre Bedeutung für unser Leben liefern. Im engen Konnex mit dem Humboldt Forum kann die neue Bauakademie so zu einem Architekturforum werden, das die europäische Architekturtradition in einen weltweiten Kontext stellt und neu über die Herausforderungen der Urbanisierung nachdenkt.