Nancy Karrels ist eine der Teilnehmerinnen des diesjährigen deutsch-amerikanischen Austauschprogramms zur Provenienzforschung (PREP). Bei der öffentlichen Veranstaltung in Berlin am 27. September 2017 wird sie über ihre Ausstellung zu Methoden der Provenienzforschung im Krannert Art Museum sprechen. In einem Interview hat sie uns bereits einen kurzen Einblick in ihre Arbeit gegeben.
Nancy, Sie arbeiten beim Krannert Art Museum in Illinois. Bevor wir über Ihre Arbeit als Provenienzforscherin sprechen, könnten Sie mir etwas über das Museum erzählen?
Nancy Karrels: Das Krannert Art Museum wurde etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts gegründet. Es ist das Kunstmuseum des Zentralen Campus der Universität von Illinois in Urbana-Champaign. Entstanden ist es aufgrund einer Schenkung europäischer Kunst. Davon hat das Krannert Art Museum heute eine enzyklopädische Sammlung, weitere Schwerpunkte sind afrikanische Kunst, zeitgenössische Kunst und lateinamerikanische Kunst.
Nancy Karrels und die Rückseite eines Gemäldes in der Ausstellung "Provenance: A Forensic History of Art" © privat
Wie kam es dazu, dass Sie dort als Provenienzforscherin arbeiten?
Ursprünglich begann ich meine Karriere als Anwältin in Kanada. Seit meinem Jura-Studium habe ich mich dafür interessiert, Kunst und Recht zusammenzubringen und ich dachte, Provenienzforschung könnte der Schlüssel dazu sein. Dann habe ich ein Masterstudium in Museologie gemacht und meine Diplomarbeit über aktuelle Ansätze zur Erforschung der Provenienzen aus der Nazi-Ära in amerikanischen Museen geschrieben. Während dieser Zeit machte ich Praktika bei mehreren Museen, wobei vor allem jenes im Museum of Fine Arts in Boston hervorzuheben ist, das einen Kustos für Provenienzforschung hat. Als es 2015 an meine Promotion in Kunstgeschichte ging, entschied ich mich für die die University of Illinois. Einer der Gründe dafür war ebendiese bereits erwähnte große europäische Kunstsammlung des Krannert Art Museums. Sofort nach meiner Ankunft ging ich dorthin, erzählte von meinen Erfahrungen in Sachen Provenienzforschung und fragte, ob ich dort bei der Provenienzforschung mitmachen könnte. Es gab bereits eine Liste mit Leerstellen für 27 europäische Gemälde, die nach 1933 geschaffen und vor 1945 gehandelt wurden und auf die Einhaltung der Washingtoner Prinzipien geprüft werden mussten. Also war man hocherfreut, mich als wissenschaftliche Hilfskraft einzustellen und ich habe in den letzten beiden Jahren die Provenienz dieser besonderen Sammlung zwischen 1933 und 45 erforscht.
Wenn die Erforschung der Provenienz eines Kunstwerks uns dabei hilft, dessen juristische Biografie zu verstehen, sollten wir dabei nicht übersehen, dass auf diese Weise auch die Leben von verschiedenen Leuten, zu denen dieses Objekt gehört hat, miteinander verknüpft werden.
Wann kamen Sie auf die Idee, eine Ausstellung zu diesem Thema zu machen? Hatten Sie das bereits im Hinterkopf, als sie angefangen haben?
Seitdem ich mich mit der Provenienzforschung beschäftige, also ungefähr seit 2012, hatte ich diesen Traum, eines Tages eine Ausstellung zu kuratieren, bei der ich statt der Vorderseiten die Rückseiten der Gemälde zeigen würde. Das war damals aber noch kein ausgereifter Gedanke, nur eine Idee. Als ich anfing im Krannert Art Museum zu arbeiten, hat mich meine Supervisorin Maureen Warren – die dortige Kuratorin für europäische und amerikanische Kunst und eine sehr warmherzige und hilfsbereite Person – zu einem Podiumsgespräch im Museum eingeladen. Dabei ging es auch um meine verschiedenen Forschungsarbeiten und wir stellten fest, dass ein ziemlich starkes öffentliches Interesse daran besteht. Nicht nur an den Ergebnissen der Provenienzforschung, sondern auch an den Methoden und den Problemen, mit denen wir konfrontiert sind. So entstand während meines ersten Jahres die Idee zu dieser Ausstellung und im zweiten Jahr begann ich, daran zu arbeiten.
War es einfach, die Museumskuratoren davon zu überzeugen, dass diese Ausstellung stattfinden sollte?
Ich bin immer noch voller Bewunderung, denn zu keiner Zeit hat mir jemand Hindernisse bei meinen Vorhaben in den Weg gelegt, noch mir den Zugang zu Informationen verwehrt oder mich daran gehindert, Informationen mit der Öffentlichkeit zu teilen. Das Krannert Museum hat mitgemacht, wir waren uns einig, und es hat mich immer unterstützt. Maureen ist eine junge Kuratorin, und sie kennt sich darum bestens mit den Provenienzproblematiken aus. Aber auch alle anderen waren sehr begeistert. Ich denke nicht zuletzt, weil sie erkannt haben, dass das Thema von öffentlichem Interesse ist.
Können Sie kurz erzählen, was man in der Ausstellung sehen kann?
Es geht um die Praxis der Provenienzforschung und die Probleme, auf die wir dabei stoßen, sowie um einige Methoden, damit umzugehen. Die Ausstellung umfasst einen Raum, in dem sich sieben Exponate befinden. Jedes Exponat behandelt einen anderen Aspekt. Wenn man den Ausstellungsraum betritt, sieht man als erstes die Rückseite eines Gemäldes. Es handelt sich um ein italienisches Renaissance-Gemälde, aber das weiß man nicht sofort. Es hat einen österreichischen Zollstempel auf der Rückseite, was bedeutet, dass es von dort exportiert wurde. Allerdings wird nicht klar, ob vor dem Anschluss an Nazideutschland 1938 oder davor, da dieser Stempel sowohl in den Monaten nach dem Anschluss verwendet wurde, als auch davor. Selbst nach diversen Rücksprachen mit Österreich war es nicht möglich, eine Aufzeichnung zu finden, die genau beweist, wann dieses Gemälde exportiert wurde. Obwohl eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass das vor dem Anschluss geschehen ist, haben wir keine hundertprozentige Gewissheit. Der Stempel beantwortet also eine Frage und stellt gleichzeitig eine andere, die aber letzten Endes unbeantwortet bleibt. So wollten wir den Besuchern klarmachen, dass nicht jedes Kunstwerk eine klare Provenienz haben kann; dass manchmal Informationen fehlen.
Welche anderen Aspekte haben Sie beleuchtet?
Ein anderes Problem, das wir behandeln, sind Kopien. Es gab ein Bild, das wir für ein Original hielten, aber als wir die Provenienz prüften, haben wir festgestellt, dass es tatsächlich eine Kopie ist! Und die Provenienz der Kopie und des Originals wurde in den vergangenen 100 Jahren in Auktionskatalogen und im Werkverzeichnis durcheinandergebracht! Als wir also die Dokumentationen lasen, wussten wir nicht mehr: Geht es um das Original oder eine der drei Kopien, von deren Existenz wir wissen?
Eine andere Sache, die ich unterstreichen wollte, ist, dass diese Objekte, die wir sehr systematisch, forensisch beforschen, alle zu irgendeinem Zeitpunkt irgendjemandem gehört haben. Bevor sie ins Museum kamen, haben Menschen haben sie als Teil ihres Lebens geschätzt, in ihren Häusern aufgehängt, sie bewundert, sie manchmal an ihre Familien vererbt, bevor sie ins Museum kamen, sprich: sie hatten verschiedene Bedeutungen für verschiedene Menschen! Wenn die Erforschung der Provenienz eines Kunstwerks uns dabei hilft, dessen juristische Biografie zu verstehen, sollten wir dabei nicht übersehen, dass auf diese Weise auch die Leben von verschiedenen Leuten, zu denen dieses Objekt gehört hat, miteinander verknüpft werden.
Kennen Sie bereits irgendwelche Reaktionen der Besucher auf die Ausstellung
Nicht wirklich, aber das Medieninteresse war hoch. Wir bekommen viele Anfragen aus Übersee, die nicht persönlich vorbeikommen können.
Sind Ihnen andere vergleichbare Ausstellungen bekannt?
Ich persönlich habe von keiner anderen Ausstellung gehört, die sich auf Methodik und Praxis konzentriert; ich glaube, dass das wahrscheinlich etwas Neues ist. Provenienz als Ausstellungsthema ist hier äußerst selten. Vor mehr als zehn Jahren hat Victoria Reed, die Provenienzkustodin beim Museum of Fine Arts in Boston und meine Mentorin, eine Ausstellung zu ihrer Provenienzforschung in der Princeton-Galerie kuratiert. Und es gab 2012 eine wunderbare Ausstellung im Getty über das Leben der Objekte, die Provenienz mit einem größeren Konzept darüber verknüpfte, wie ornamentale Kunstwerke damals und heute angewendet wurden.
Provenienz als Ausstellungsthema ist hier äußerst selten.
Das Krannert Art Museum hat ja auch eine Sammlung außereuropäischer Kunst. Wurde deren Provenienzen auch schon erforscht?
Soweit ich weiß, führen die Kuratoren eine laufende Provenienzforschung, soweit sie es können, durch. Sie würden gern mehr tun, haben dafür aber keine Mittel. Die Kuratorin für afrikanische Kunst hat mich schon öfters eingeladen, wenn ich mit meinem Projekt fertig bin, ihr mit der Provenienzforschung der afrikanischen Sammlung zu helfen! In Sachen Provenienzforschung sind sie noch nicht so weit, wie das Museum gern wäre. Aber sie sind sehr motiviert und interessiert, diese Art von Forschung durchzuführen.
Wie finanziert das Museum die Provenienzforschung?
Das passiert entweder durch eine Förderung oder aus einer privaten Spende. In meinem Fall konnte man mir aufgrund meines Doktorandinnenstatus' Leistungspunkte geben, anstatt mich zu bezahlen. Insofern hat das Museum Glück gehabt.
Letzte Frage: Was haben Sie gefühlt, als Sie sich in New York mit den PREP Teilnehmern trafen und was erhoffen Sie sich, wenn Sie nach Berlin kommen?
Ich kannte fast alle Teilnehmer auf der amerikanischen Seite, aber noch keine deutschen Teilnehmer. Ich war erstaunt und so beeindruckt von ihrem kollektiven Reichtum an Wissen und auch davon, wie jeder einzelne eine große Expertise hinsichtlich eines speziellen Aspekts der Provenienzforschung hat. Wenn bei der Arbeit Fragen aufkamen, wusste man nicht immer, wem man sie stellen kann, und jetzt kenne ich auf einmal dieses Netzwerk von Menschen mit diesen Fachgebieten, an die ich mich wenden kann. Das hatte ich früher nicht. Was die Reise nach Berlin betrifft, bin ich sehr daran interessiert, die verfügbaren Ressourcen – die archivarischen Ressourcen, die Museumressourcen und die Bibliotheksressourcen, besser kennen zu lernen, und mehr über die Provenienzforschungspraktiken in Deutschland zu lernen, um zu sehen, ob sie sich von unseren in den USA unterscheiden.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog der Staatlichen Museen zu Berlin.
PREP – international vernetzte Provenienzforschung
PREP steht für "German/American Provenance Research Exchange Program for Museum Professionals". Das deutsch-amerikanische Austauschprogramm wendet sich an Museumsfachleute aus Deutschland und den USA, die mit Provenienzforschung und der Erforschung des nationalsozialistischen Kunstraubs befasst sind. Das von SPK und Smithsonian Institution organisierte und vorerst auf drei Jahre angelegte Austauschprogramm soll ein gemeinsames transatlantisches Netzwerk etablieren und so die Provenienzforschung zur NS-Zeit in beiden Ländern künftig effizienter gestalten. Die Teilnehmer jedes Jahrgangs treffen sich zu jeweils einem Workshop in den Vereinigten Staaten und einem in Deutschland.
Voice Republic
Wie können Provenienzforscher herausfinden, ob ein Kunstwerk zur NS-Zeit unrechtmäßig den Besitzer gewechselt hat? Am 27. September 2017 berichten Teilnehmer des Austauschprogramms PREP in einer öffentlichen Abendveranstaltungen von Herausforderungen und Erfolgen ihrer Arbeit. Die Vorträge finden in deutscher und englischer Sprache statt.