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„Die Rückgabe der Kogi-Masken ist richtig“

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Knapp über 100 Jahre befanden sich zwei Masken aus Kolumbien im Ethnologischen Museum in Berlin, bis sie im Juni 2023 restituiert wurden. Für das indigene Volk der Kogi haben die schlicht wirkenden hölzernen Objekte eine besondere Bedeutung. Manuela Fischer, Kuratorin der Sammlung Südamerika, erklärt im Interview, wie sie dennoch nach Berlin gelangten.

Wer sind eigentlich die Kogi?
Die Kágaba sind neben den Ijku, Wiwa und Kankuamo eine der vier indigenen Gemeinschaften der östlichen Sierra Nevada de Santa Marta im Norden Kolumbiens. Die etwa 16.000 Kágaba, die auch Kogi genannt werden, leben an der steilen Nordflanke des isolierten Gebirges. Die zur Karibik abfließenden Flüsse bilden den Zugang in ihr Territorium, das bis zum höchsten Gipfel bis auf 5775 Meter ansteigt. Das indigene Territorium ist an sich geschützt. Die das Gebirge umgebende Straße, die „linea negra“ bildet auf der Grundlage des Dekrets 1500 aus dem Jahre 2018 die Grenze des Territoriums, in denen sich auch einige der sakralen Stätten befinden. In den letzten Jahren haben sich der Staat und NGOs darum bemüht, das Territorium durch Ankäufe von Land noch zu erweitern. Die Höfe der Kogi sind verstreut angelegt. Die Dörfer werden zu Versammlungen und Festen genutzt. Die Trennung der Geschlechter äußert sich in getrennten Versammlungshäusern von Männern und Frauen neben den Wohnhäusern von Frauen und Kindern.

Die am Fuß des Gebirges lebenden Kágaba pflegen Beziehungen zum Staat, NGOs sowie benachbarten Bauern und produzieren unter anderem Kaffee für den internationalen Markt. Die in höher gelegenen Gebieten lebenden Kágaba, stehen der westlichen Medizin und Alphabetisierung häufig skeptisch gegenüber, da sie mit ihren Traditionen nicht vereinbar sind. Die Gemeinschaft wird als Einheit und in unmittelbarer Beziehung zum Territorium verstanden. Die religiösen Spezialisten, die Mamas, haben in ihrer langen entbehrungsreichen Lehrzeit die Kenntnisse erworben, mit denen sie Krankheit als Konsequenz sozialer Vergehen erklären, den Jahreszyklus rituell begleiten und Entscheidungen innerhalb der Gemeinschaft herbeiführen.

Welche Bedeutung haben diese Masken für die Kogi?
Masken stellen für die Kágaba mythische Ahnen dar, denen unterschiedliche Funktionen zugeschrieben werden. Bei Festen im Jahreszyklus und anderen Gelegenheiten werden sie bei rituellen Tänzen benutzt, um Zeit und Raum zu definieren. So auch bei den beiden Masken, die jetzt zurückgegeben werden. Es sind sogenannte „Sonnenmasken“, das heißt, sie werden eingesetzt, um die Trockenzeiten im Juni und Dezember einzuleiten.

Eine Besonderheit dieser Masken ist ihr Alter. Die Kágaba stellen schon lange keine Masken mehr her. Alle erhaltenen Masken stammen aus vorspanischer Zeit, was die archäometrische Untersuchung der beiden Masken im Ethnologischen Museum bestätigt hat. Die Maske mit dem Coca-Pfriem und der Objektnummer V A 62649 konnte auf 1470, die Maske mit der Reparatur – Objektnummer V A 62650 – sogar auf das Jahr 1440 datiert werden.

Ein beeindruckendes Alter für Holzmasken. Waren sie über Jahrhunderte in Gebrauch?
Ja, davon gehen wir aus. Das Alter untermauert die These, dass rituelle Paraphernalia, und somit auch die Masken, bereits bei der Gründung der Tempel, also den Versammlungshäusern der Männer, angefertigt worden sind. Die Reparatur an einer der Masken ist ein weiterer Hinweis darauf, dass eine Maske nicht einfach durch eine neue ersetzt werden kann. Sie werden vielmehr von den Mamas von Generation zu Generation weitergegeben. Die Liste der 39 Generationen von Mamas von Noavaka, dem Ort aus dem die Masken stammen, bestätigen die absoluten C14-Daten.

Maske vor schwarzem Hintergrund
Die Maske mit dem Coca-Pfriem und der Objektnummer V A 62649 konnte auf 1470 datiert werden. © Ethnologisches Museum / Claudia Obrocki
Maske vor schwarzem Hintergrund
Die Maske mit der Reparatur – Objektnummer V A 62650 – konnte mittels der C14-Methode sogar auf das Jahr 1440 datiert werden. © Ethnologisches Museum / Martin Franken

Nach Berlin sind die Masken durch Konrad Theodor Preuss gelangt. Woher rührte sein Interesse an den Kágaba?
Die Forschungsreise nach Kolumbien unternahm Konrad Theodor Preuss zwischen 1913 und 1919 in seiner Funktion als Kustos der Nordamerikanischen Sammlungen am Berliner Königlichen Museum für Völkerkunde. Mit seinem Forschungsschwerpunkt in der Religionsethnologie, ging es Preuss bei der Untersuchung der Skulpturen von San Agustín im Süden Kolumbiens, um die Verbreitung religiöser Vorstellungen und Einflüssen aus dem südamerikanischen Tiefland. Dazu nahm Preuss Mythen und rituelle Texte bei den Uitoto, Coreguaje und Tama am Rio Orteguasa auf. Der ursprünglich für ein Jahr geplant Aufenthalt wurde durch den 1. Weltkrieg bis 1919 verlängert, da die Schiffsverbindungen nach Deutschland unterbrochen waren.

Noch in Deutschland hatte Preuss den Geografen Wilhelm Sievers aufgesucht, der 1884 bis 1886 die Sierra Nevada bereist und dazu veröffentlicht hatte. So verbrachte Preuss auch mehrere Monate bei den Kágaba. In Zusammenarbeit mit mehreren Mamas nahm er Mythen und Gesänge in Kougian, der Sprache der Kágaba, auf und veröffentlichte sie 1926 mit einer Übersetzung. Daneben legte er eine kleine Sammlung von Gegenständen der Kogi an, von denen heute noch rund 80 erhalten sind.

Wie kamen die Masken in Preuss´ Besitz?
Die beiden Masken erwarb Preuss von den Erben des verstorbenen Mama Fermin Vacuna, „dank der günstigen Gelegenheit“, wie er in seinem Buch „Forschungsreise zu den Kágaba“ 1926 schreibt. Weder das Alter noch die besondere Bedeutung der Masken waren ihm dabei bewusst.

In Artikeln war zu lesen, dass die Masken der Kogi durch Pestizide und andere Stoffe stark belastet sind. Stimmt das?
In Übereinstimmung mit der Museumspraxis in vielen Ländern wurden über Jahrzehnte große Teile der Sammlungen des Ethnologischen Museums mit Pestiziden und Fungiziden zur Bekämpfung von Insekten und Pilzen behandelt. Organische Materialien wie Holz, Leder, Federn oder Fasern wurden, um ihren Erhaltungszustand zu sichern, dabei mit Chemikalien besprüht, die sich später als hochgefährlich herausstellten. Unter anderem kamen hierbei Dichlorbenzol, Kampfer, Arsen, Naphtalin und DDT zur Verwendung. Analysen haben gezeigt, dass diese Stoffe vor allem im Staub, der sich auf der Oberfläche der Objekte angesammelt hat, zu finden sind. Die beiden Masken wurden daher in Vorbereitung der Rückgabe mit weichen Bürsten und einem Staubsauger gereinigt, um jeglichen Staub, der mit Bioziden kontaminiert sein könnte, zu entfernen.

Zwei Masken auf Ablage
Die Masken stellen für die Kágaba mythische Ahnen dar, denen unterschiedliche Funktionen zugeschrieben werden. © SPK / photothek.de / Xander Heinl
Frau untersucht Maske
Vor dem Verpacken der Masken werden diese nochmals eingehend von Restauratorin Kai-Patricia Engelhardt untersucht. © SPK / photothek.de / Xander Heinl
Maske wird mit Pinsel gereinigt
Die beiden Masken wurden in Vorbereitung der Rückgabe mit weichen Bürsten und einem Staubsauger gereinigt, um jeglichen Staub, der mit giftigen Bioziden – zur Bekämpfung von Insekten und Pilzen fanden diese in der vergangenen Museumspraxis oftmals Einsatz – kontaminiert sein könnte, zu entfernen. © SPK / photothek.de / Xander Heinl
Masken in einem Transportkoffer
Die Masken sind sicher verpackt für die Übergabe an den kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro Urrego. © SPK / photothek.de / Xander Heinl

Gibt es noch weitere Objekte der Kágaba im Ethnologischen Museum?
Die phonographischen Aufnahmen aus Kolumbien werden im Phonogrammarchiv des Ethnologischen Museums aufbewahrt. Von den 100 Wachswalzen aus Kolumbien sind zehn in der Sierra Nevada de Santa Marta aufgenommen worden. Von den Fotografien, die Preuss und sein Assistent Telésforo Gutierrez bei den Kágaba gemacht hat, sind 54 Fotografien im Världskulturmuseet in Göteborg erhalten geblieben. Bis in die 1930 Jahre gab es einen regen Austausch an Objekten und anderen Materialien zwischen den Museen, was dem auch Anfang des 20. Jahrhunderts noch immer bestehenden universalistischen Anspruch der Museen entgegenkam. So wurden kleinere Sammlungen gegen Objekte von Expeditionen anderer Häuser getauscht.

Preuss hat seine Sammlungen selbst inventarisiert – das ist etwas Besonderes. Die von ihm beschrifteten Karteikarten enthalten wertvolle, detaillierte Information, die die Publikationen ergänzen. Überhaupt ist die Reise Konrad Theodor Preuss´ vorbildlich dokumentiert. Die inzwischen digitalisierten historischen Akten enthalten unter anderem die Reiseplanung und die Korrespondenz an den Leiter der Amerikasammlungen des Königlichen Museums für Völkerkunde Eduard Seler.

Vier Personen vor einem Tisch mit Büchern
V.l.n.r.: IAI-Direktorin Barbara Göbel zusammen mit dem kolumbianischen Präsidenten, Gustavo Petro, der Botschafterin Kolumbiens, Yadir Salazar-Mejia, und SPK-Präsident Hermann Parzinger beim Besuch des Ibero-Amerikanischen Instituts am Vortag der Übergabe der Masken am 16.06.2023. © Ibero-Amerikanisches Institut / bundesfoto / Laurin Schmid
Eine Frau steht in einem repräsentativen Saal vor Flaggen, vor ihr ein Tisch mit zwei Holzmasken
Restauratorin Kai-Patricia Engelhardt bereitet die Übergabe der Masken am 16.06.2023 im Schloss Bellevue vor. Foto: SPK / Birgit Jöbstl
Zwei Holzmasken in einer Kiste, dahinter Flaggen
Übergabe der Masken am 16.06.2023 im Schloss Bellevue. Foto: SPK / Birgit Jöbstl
Zwei Männer mit Dokumentenmappen vor kleinem Gemälde
Kolumbiens Außenminister Álvaro Leyva Durán mit Hermann Parzinger nach der offiziellen Unterzeichnung der Übergabedokumente. © Bundesregierung / Liesa Johannssen
Weißhaariger Mann hält Rede vor Publikum mit Masken neben ihm
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Rede anlässlich der feierlichen Übergabe am 16.06.2023. © Bundesregierung / Liesa Johannssen
Ein Mann spricht an einem Rednerpult, hinter ihm Flaggen
Hermann Parzinger bei der Übergabe der Masken am 16.06.2023 im Schloss Bellevue. Foto: SPK / Birgit Jöbstl
vier Männer vor EU-, deutscher und kolumbianischer Flagge mit Masken im Vordergrund
Álvaro Leyva Durán, Gustavo Petro, Frank-Walter Steinmeier und Hermann Parzinger (v.l.n.r.) mit den zwei Masken der Kogi. © Bundesregierung / Liesa Johannssen

Wird die Rückgabe der Masken eine Lücke reißen?
Die Rückgabe der beiden Masken ist richtig. Das Ethnologische Museum heute hat nicht mehr den universalistischen Anspruch, der vom Gründungsdirektor Adolf Bastian Ende des 19. Jahrhunderts verfolgt wurde. Das heißt von einer „Lücke“, die die Rückgabe der Masken in die Sammlung reißt, kann nicht die Rede sein.

Allerdings ist bei der Rückgabe ein wichtiger Aspekt bisher nicht berücksichtigt. Die Masken gehen an den kolumbianischen Staat und dort an das für archäologisches Kulturgut zuständige Instituto Colombiano de Antropología e Historia. Involviert waren in die Rückforderung der Masken die kolumbianische Botschaft in Berlin, die Kulturabteilung des kolumbianischen Außenministeriums, das ICANH und der Sprecher der Kágaba, der an COVID verstorbene José de los Santos Sauna.

Die beiden Masken, die das Ethnologische Museum an die Republik Kolumbien zurückgibt, gehören zu einem Fundus vorspanischer Masken, die bis heute von den Mamas in den noch immer praktizierten Ritualen benutzt werden. Da die rituelle Paraphernalia an die Tempelgründung gebunden ist, würde ich mir natürlich wünschen, dass die Masken perspektivisch wieder in die Sierra Nevada zurückkehren.


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