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Raubgut in den Depots?

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Faire und gerechte Lösungen zu finden: Dieser Maxime hat sich die SPK spätestens seit 1998 für den Umgang mit NS-Raubgut in ihren Sammlungen verschrieben
 

Am 4. Juni 1999 beschloss der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) den Masterplan für die Berliner Museumsinsel. Der Grundgedanke des Plans besteht in der Vereinigung der Häuser zu einem geschlossenen, durchgehenden Kulturerfahrungsraum, den der Besucher sich bei einem einzigen Rundgang erschließen kann. Die An- und Umbauten, für die der Londoner Architekt David Chipperfield verantwortlich zeichnete, waren 20 Jahre nach dem Masterplanbeschluss vollendet, als das neue Eingangsgebäude des Gesamtkomplexes eingeweiht wurde. Es erhielt den Namen James-Simon-Galerie.

Im Protokoll der Sitzung vom 4. Juni 1999 steht ein weiterer wichtiger Beschluss. „Der Stiftungsrat begrüßt alle Bemühungen des Präsidenten, im Zusammenhang mit Kunstwerken aus ehemals jüdischem Eigentum, welche den Eigentümern verfolgungsbedingt entzogen worden sind und sich heute in Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befinden, zur Aufklärung der Sachverhalte beizutragen und Dokumentationen der Stiftung auch Dritten zugänglich zu machen. Er ermächtigt den Präsidenten, im Verhandlungsweg mit den Berechtigten, Erben oder sonstigen Rechtsnachfolgern nach einvernehmlichen Lösungen zu suchen, und akzeptiert hierbei auch eine Herausgabe der Kunstwerke unabhängig davon, ob dies zwingende Folge einer gesetzlichen Regelung ist.“

Ein halbes Jahr zuvor, am 3. Dezember 1998, hatten sich 43 Staaten in Washington auf Prinzipien verpflichtet, die es möglich machen sollen, in der „Holocaust-Ära“ geraubte Kunstwerke zu restituieren. Die SPK ging bei der Übersetzung der Prinzipien in Handlungsmaximen voran. Das Raubgut muss zunächst identifiziert werden, daher die Hervorhebung von Dokumentation und Kooperation; bei begründetem Raubkunstverdacht soll dann eine einvernehmliche Lösung durch Verhandlungen gefunden werden. Im Wortlaut ging der Stiftungsrat eigentlich nicht über eine Paraphrase der wichtigsten Grundsätze von Washington hinaus; es kam darauf an, dass die Stiftung die Initiative ergriff. Bund und Länder in ihrer Eigenschaft als Träger der Stiftung kamen sich sozusagen selbst zuvor, denn erst weitere sechs Monate nach dem Berliner Beschluss erfolgte die Veröffentlichung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“. Im ersten Kapitel dieses Dokuments wurde dann der Stiftungsratsbeschluss der SPK vom 4. Juni 1999 »begrüßt«. Bemerkenswert ist die Form des Beschlusses: eine Ermächtigung des Präsidenten. Er soll handeln und hat schon gehandelt – denn seine Bemühungen trugen ihm bereits im Juni 1999 offizielles Lob seiner politischen Vorgesetzten ein. Klaus-Dieter Lehmann war damals gerade einmal vier Monate im Amt. Seit 1999 ist NS-Raubkunst bei der SPK im förmlichen Sinne Chefsache.

Das entspricht nicht bloß der Wichtigkeit des Themas, sondern auch dem Charakter der Pflichten, welche die Unterzeichnerstaaten der Washingtoner Erklärung übernommen haben. Gespräche darüber, ob ein Museum freiwillig ein Stück seiner Sammlung abgeben soll, um einer unabhängig vom positiven Recht bestehenden Forderung der Gerechtigkeit Genüge zu tun, muss der Inhaber der Gesamtverantwortung der Institution autorisieren und in den entscheidenden Phasen auch selbst führen. Wenn vom Grundsatz der Grundsätze des Museumsrechts und der Museumsethik, den Gesamtbestand der Sammlung unvermindert für die Nachwelt zu erhalten, eine Ausnahme gemacht werden soll, hat das bei einem öffentlichen Museum der Direktor gegenüber dem Publikum als dem eigentlichen Eigentümer zu vertreten.

Die SPK nimmt beim Thema der Verfolgung durch Enteignung ihre historische Verantwortung wahr, und zwar nicht nur in dem abstrakten Sinne, dass sie als Teil der deutschen Staatsgewalt das in ihrer Macht Stehende zur Korrektur des Unrechts tut, sondern im konkreten Sinne der Verantwortung für das, was der Verbund der vormals preußischen Sammlungen in der Geschichte gewesen ist und in der Zukunft sein soll. Historische Gerechtigkeit hat eine lokale Innenseite, auch bei einem Universalmuseum, und Klaus-Dieter Lehmann machte dieses Interesse seiner Institution namhaft, als er sich 2007 gegenüber dem Kulturausschuss des Deutschen Bundestages als Sachverständiger zu den Erfahrungen mit Restitution und Provenienzforschung äußerte:  „Die Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz sind im Laufe ihrer Entstehung und Entwicklung in besonderer Weise gerade von jüdischen Mäzenen erheblich gefördert worden.“

Kritiker des normativen Regimes von Washington halten es für eine Schwäche, dass moralische Plausibilität statt rechtlichem Zwang die Lösungsfindung leitet. Aber bei der Suche nach dem, was in einem Einzelfall als fair und gerecht gelten soll und akzeptiert werden kann, schließt der moralische Sinn der Begriffe Fairness und Gerechtigkeit möglicherweise auch Gesichtspunkte ein, die im Recht kein Gewicht haben. So kam die Einigung der SPK mit den Erben von Curt Glaser, dem 1933 zwangspensionierten Direktor der Kunstbibliothek, der den Grundstein für die Munch-Sammlung des Kupferstichkabinetts gelegt hatte, 2012 in ausdrücklicher „Würdigung seiner großen Verdienste für die Berliner Museen“ zustande. Glaser ließ im Mai 1933 vor seiner Emigration seine Sammlung und Bibliothek versteigern. Von den neun im Kupferstichkabinett nachgewiesenen Grafiken aus diesen Auktionen wurden vier den Erben übergeben; fünf verbleiben im Museum.

Wie entschieden die 1999 beschlossenen Grundsätze der Berliner Restitutionspolitik in administrative Praxis umgesetzt wurden, wird die Forschung über die Provenienzforschung untersuchen müssen, deren Zeit kommen wird. Der Stiftungsratsbeschluss ist zu allgemein, als dass man ihn einen Masterplan nennen könnte, aber die Grundsätze sind klar und eindeutig. In der Politik und in der Presse fand Anerkennung, dass die SPK auch in der Praxis zum Vorreiter wurde. 2008, zum zehnten Jahrestag der Washingtoner Konferenz, forderte Kulturstaatsminister Bernd Neumann die deutschen Museen auf, sich an der SPK ein Beispiel zu nehmen und in den Depots nach Raubgut zu suchen. Und als die SPK 2009 die Begründung für ihre Position vorlegte, dass der Welfenschatz des Kunstgewerbemuseums 1935 nicht durch einen Zwangsverkauf in Staatsbesitz gelangt sei, hielt Brigitte Werneburg ihr in der „taz“ zugute, dass sie sich „überaus konsequent für die Umsetzung der Washingtoner Erklärung eingesetzt“ habe. Von 29 Rückgabeersuchen hatte sie 22 positiv beschieden.

Hans-Jürgen Papier, der Vorsitzende der Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz, hat jüngst das niedrige Fallaufkommen seiner Kommission zum Skandal ausgerufen und mit einem stillen Boykott der Museen erklären wollen. Seine Vorgängerin Jutta Limbach sah das noch anders und stellte 2014 in einem Interview fest: „In der größten Zahl der Fälle nehmen die Museen uns gar nicht in Anspruch, sondern restituieren selbstständig Werke aus jüdischem Besitz. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beispielsweise handhabt es im Allgemeinen in dieser Weise.“ Lehmanns Nachfolger Hermann Parzinger setzte sich 2015 an die Spitze der Reformer der Limbach-Kommission, als er forderte, die Museen zur Teilnahme an den Schiedsverfahren zu verpflichten.

Wenn es so weit sein wird, dass man alle fünf Museen der Museumsinsel dank der unterirdischen Promenade in einem Zug durchwandern kann, soll man nicht nur die dort zusammengetragene und ausgestellte Weltkultur als ein Ganzes erleben, das in jeder Einzelheit gleichzeitig gegenwärtig ist, sondern auch die Geschichte der Museen selbst. Deshalb heißt Chipperfields Säulenhalle nach James Simon, und deshalb ergibt es Sinn, dass diese Galerie fast leer ist. Als Wächter fungiert dort der „Liegende Löwe“ von August Gaul, der 2015 an die Erben des Verlegers Rudolf Mosse übereignet und ein Jahr später zurückgekauft wurde.
 

Dieser Beitrag ist zuerst im Dossier „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ erschienen, das Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, beiliegt.


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