Wissenschaftler*innen aus sechs afrikanischen Ländern und Deutschland kamen in der zweiten Maihälfte im Rahmen der seit 2021 laufenden Herkunftsforschung an menschlichen Überresten aus Westafrika zu einer Tagung in Yaoundé, Kamerun zusammen. Nach zwei Drittel der Projektlaufzeit wurden die Forschungsergebnisse aus Berlin und die Erfahrungen der Provenienz- und Feldforschung aus Kamerun und Togo vorgestellt, im internationalen Kollegenkreis diskutiert und Perspektiven für Folgeprojekte entwickelt.
„Da sich die Methodik beim Vorgängerprojekt zu Ostafrika bewährt hat, arbeiten wir auch hier mit archivalischer Recherche, anthropologischen Untersuchungen in Fällen unklarer örtlicher Herkunft und vor allem dem Bemühen die Stimmen der Herkunftsgemeinschaften einzufangen. Dafür sind die kamerunischen und togoischen Kolleginnen und Kollegen im jeweiligen Land gereist und haben mit den lokalen Communities Kontakt aufgenommen,“ so Bernhard Heeb, Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte und Projektkoordinator. Das Berliner Team, bestehend aus dem Ethnologen Marius Kowalak, der Anthropologin Barbara Teßmann und dem Archäologen Bernhard Heeb, steht dabei in ständigem Austausch mit den Kooperationspartnern David Simo (Université de Yaoundé II) und Kokou Azamede (Université de Lomé). Auf deutscher Seite stehen die Erforschung schriftlicher Quellen (Archive, Literatur und Nachlässe) und gezielte anthropologische Untersuchungen im Vordergrund, die oftmals die Ergebnisse aus Togo und Kamerun in wichtiger Weise ergänzen und komplettieren. Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten ist es, die Herkunft und Aneignungsgeschichte aller Überreste so detailliert zu klären, dass Rückgaben an die Gemeinschaften ermöglicht werden.
V.l.n.r: Bernhard Heeb (Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte), Kokou Azamede (Université de Lomé) und David Simo (Université de Yaoundé II). Foto: © SPK / Stefan Müchler
„Was sich im Laufe der Feldforschung in den lokalen Communities in Togo und Kamerun immer gezeigt hat, ist das der Zugang zu den Ahnen – die in Berlin liegen – viel lebendiger ist, als wir das zunächst erwartet hatten. Auch wenn vielfach keine Erinnerung mehr an die Aneignung der menschlichen Überreste besteht, ist doch die Neuigkeit für die Betroffenen aufrührend. Nahezu ohne Ausnahme wurden Forderungen nach Rückgabe geäußert und gleichzeitig auch Ideen und Konzepte präsentiert, wie diese menschlichen Überreste re-personalisiert und rituell wieder in die Gemeinschaft eingebunden werden könnten“, erläutert Heeb.
Die in Westafrika angeeigneten Schädel gehören zu den anthropologischen Sammlungen, die die SPK 2011 von der Charité übernommen hat. Dabei handelt es sich insgesamt um rund 7.700 menschliche Überreste aus nahezu allen Teilen der Erde, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert zusammengetragen wurden. Etwa ein Drittel hat einen kolonialen Erwerbungshintergrund und stammt aus den ehemaligen deutschen Überseegebieten in Afrika und dem Pazifikraum. Von 2017 bis 2019 wurde in einem Pilotprojekt bereits die Herkunft von 1135 menschlichen Schädeln aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika untersucht. Auf den dabei gewonnenen Erfahrungen baut das aktuell laufende Projekt zu menschlichen Überresten aus Westafrika – überwiegend aus Kamerun und Togo – auf. Ziel der Forschung ist die 477 menschlichen Schädel, die während der Kolonialzeit nach Berlin verbracht wurden, gemeinsam mit Wissenschaftler*innen aus den Herkunftsländern zu rekontextualisieren und damit die Rückführungen zu ermöglichen. Das Vorhaben wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien mit rund 715.000 Euro gefördert.
Round Table zu Erfahrungsberichten aus verschiedenen afrikanischen Ländern während des wissenschaftlichen Workshops im Nationalmuseum von Kamerun zur Provenienzforschung an menschlichen Überresten aus Kamerun und Togo in Yaoundé mit (v.l.n.r.) Kokou Azamede (Université de Lomé), Vilho Amukwaya Shigwedha (Universität von Namibia, Windhoek), Andreas Winkelmann (Medizinische Hochschule Brandenburg, Neuruppin) und Albert Gouaffo (Université de Dschang, Kamerun). Foto: © SPK / Stefan Müchler
Auf Grundlage der in Berlin und Togo geleisteten Provenienzforschung konnte Kokou Azamede die historisch überlieferten Herkunftsorte identifizieren und kartieren. Auf Basis dieser Ergebnisse hat Azamede und sein Team den direkten Kontakt zu den einzelnen Communities aufgenommen und vor Ort recherchiert. „In der Regel hat in den einzelnen Regionen, anlässlich des ersten Treffens mit uns, der lokale Chief seine Mitarbeiter und die Ältesten um sich versammelt. Zunächst haben wir mit den Menschen über ihre jeweiligen Erinnerungen an die deutsche Kolonialherrschaft gesprochen und anschließend berichtet, dass Überreste aus der betreffenden Region noch in Berlin verwahrt werden. In einem dritten Schritt haben wir dann nach der Meinung und den Wünschen der Community bezüglich der Gebeine gefragt“, so Kokou Azamede. Viele Gemeinschaften seien sehr überrascht und zunächst schockiert gewesen, dass sie erst nach mehr als einem Jahrhundert erfahren, dass einzelne Schädel ihrer Ahnen nach Deutschland gebracht worden seien. Die initiale Empörung sei aber in der Regel rasch in großes Interesse umgeschlagen.
Kokou Azamede und sein Team haben versprochen nach Ende der Forschung mit den Ergebnissen in die Dorfgemeinschaften zurückzukehren. „Für die Menschen ist es eine Pflicht ihre Ahnen zu ehren. So lange die Ahnen nicht ordnungsgemäß beigesetzt werden konnten, wird in der Region kein Frieden herrschen – das haben wir immer wieder gehört.“ Neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen bestehe so die einzigartige Gelegenheit zu einem neuen Miteinander der Menschen zu kommen und die Wunden der Vergangenheit zu heilen.