Die Leben und Schicksale verfolgter Jüdinnen und Juden sind viel zu oft in Vergessenheit geraten. Ausgehend von Restitutionsfällen erzählen die SPK, die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, der rbb und der BR ausgewählte Lebensgeschichten. Projektkoordinatorin Anke Lünsmann beantwortet Ihre Fragen zum Projekt.
Kunsthistorikerin Anke Lünsmann ist Projektkoordinatorin des Kooperationsprojekts „Kunst, Raub und Rückgabe – Vergessene Lebensgeschichten (KRR)“ von Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.
Es erzählt von jüdischen Menschen, die einst das Kulturleben Deutschlands maßgeblich geprägt haben, dann aber von den Nationalsozialisten verfemt, entrechtet, verfolgt, beraubt und ermordet wurden. Zusammen mit BR und rbb werden diese Lebensgeschichten in einer Mediathek der Erinnerung gezeigt.
Foto: SBB-PK / Anka Bardeleben-Zennström
Wie kommen Sie an die Geschichten? Wie finden Sie die Nachfahren und welche Lebensgeschichte hat Sie besonders berührt?
Lünsmann: Die SPK hat ja in den vergangenen 25 Jahren etliche Kunstwerke und Bücher restituiert. Dafür mussten zunächst die Provenienzen und Verlustumstände für die Vorbesitzer erforscht werden, und dazu gehört natürlich auch, das Leben dieser Menschen zu erforschen. Das heißt, die Geschichten sind eigentlich schon da. Im Projekt arbeiten wir deshalb mit den an der SPK tätigen Provenienzforschenden, insbesondere am Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, zusammen. Gemeinsam wählen wir anhand des vorhandenen Forschungsmaterials die Personen aus, deren Lebensgeschichten wir erzählen. Der Kontakt zu den Erben oder deren Anwälten erfolgt ohnehin im Vorfeld der Restitutionen über unser Justiziariat, darauf können wir für das Projekt zurückgreifen.
Bei allen wiederkehrenden Mechanismen der Schikanen, der Verfolgung und des Entzugs hat jede Geschichte ihre eigenen bedrückenden Details. Da ist zum Beispiel Friedrich Guttsmann, der seine beiden minderjährigen Kinder in der Not und als Schutz vor Verfolgung allein „in die Fremde“ nach Schweden schickte und erst viele Jahre später wiedersah, oder Marianne Schmidl, in deren Fall die Nazis erst akribisch ein drittes jüdisches Großelternteil suchten, um sie dann als „Volljüdin“ zu definieren, zu deportieren und zu ermorden. Im positiven Sinn berührend ist der Kontakt mit den Nachfahren. Die Enkelin von Friedrich Guttsmann hat zum Beispiel erst durch die Restitution einer Zeichnung Teile ihrer Familiengeschichte wiederentdeckt. Das hat so viel in ihr ausgelöst, dass sie uns im Projekt immer wieder begleitet und unterstützt hat.
ForschungsFRAGEN
Wie restauriert man eigentlich Papier? Woran erkennt man, ob ein Gemälde echt ist? Und wie spielt man denn nun Beethoven richtig? Mit den ForschungsFRAGEN geben wir Ihnen die Gelegenheit, uns Ihre Fragen zu stellen. In jeder Ausgabe des Forschungsnewsletters beantwortet ein*e Wissenschaftler*in aus der SPK ausgewählte Fragen aus der Community zu einem speziellen Thema.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit München aus? Wie kam es zu der Kooperation aus den unterschiedlichen Partnern?
Lünsmann: Bei den großen Linien und übergreifenden Inhalten stimmen wir uns eng ab, die Erarbeitung der einzelnen „Fälle“ erfolgt nach einer Redaktionssitzung eigenverantwortlich bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen oder der SPK. Alle Fäden laufen dann in Berlin zusammen, wo die Projektleitung liegt. Außerdem sind noch der Bayerische Rundfunk und der Rundfunk Berlin-Brandenburg mit dabei, die die Filme auf der Basis des zur Verfügung gestellten Materials redaktionell eigenständig umsetzen.
Die Zusammenarbeit entstand aus dem persönlichen Kontakt zu Herrn Maaz, dem Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, der ja zuvor in Berlin die Alte Nationalgalerie geleitet hat und an beiden Häusern mit Restitutionsfällen zu tun hatte bzw. hat. Ihm liegt das Thema des Projektes genauso am Herzen wie uns. Aber eigentlich sind zwei Einrichtungen zu wenig, es gibt noch so viel mehr Leben, an die man erinnern müsste und auch könnte.
Kunst, Raub, Rückgabe ist ja eine Art Schnittstellenprojekt von Vermittlung und Forschung. Warum ist das relevant und was bedeutet das konkret fürs Projekt?
Lünsmann: Die Forschung und insbesondere die Ergebnisse der Provenienzforschung in unseren Einrichtungen sind die Grundlage für das Projekt. Wir sichten die vorhandenen Unterlagen im Hinblick auf die Lebensgeschichten, stellen dem rbb und BR als weiteren Kooperationspartnern Material zur Verfügung und bereiten die Inhalte redaktionell auf. Auf der Projektwebsite erzählen wir die Geschichten in verständlicher Form und mit möglichst viel Bildmaterial und zeigen die Filme. Dazu kommen Hintergrundinformationen in Form eines Glossars und Bildungsmaterialien, derzeit noch v.a. für den Schulunterricht. Das Ergebnis ist also eine Vermittlungsplattform, eine Art Mediathek der Erinnerung, die verschiedene Angebote insbesondere für junge Menschen und ein nichtwissenschaftliches Publikum bündelt.
Gibt es noch NS-Raubkunst in den Sammlungen, die noch nicht an ihre rechtmäßigen Eigentümer*innen vermittelt wurde?
Lünsmann: Davon kann man ausgehen, denn es sind noch bei weitem nicht die Provenienzen aller Werke abschließend erforscht. Diese Erforschung ist mitunter sehr aufwendig. Es wird noch viele Forschende beschäftigen, bis die Herkunft aller nach 1933 in die Sammlungen gelangten und vor 1945 entstandenen Werke in öffentlichem Besitz überprüft ist. Erst wenn das geschehen ist, kann man sagen, wie viele dieser Werke tatsächlich NS-Raubkunst sind.