Besucher*innen des Skulpturengartens der Neuen Nationalgalerie können derzeit ein eindrückliches Phänomen beobachten: Zu jeder vollen Stunde füllt sich der Garten mit dichten Nebelschwaden. Geheimnisvoll umwabern sie Skulpturen und Menschen, ehe der Wind sie verweht.
Mitten im Nebel steht Kuratorin Lisa Botti, die gemeinsam mit Klaus Biesenbach diese ortsspezifische Installation der japanischen Künstlerin Fujiko Nakaya im Garten des ikonischen Mies-van-der-Rohe-Baus kuratiert hat. Wir sprechen mit ihr über schwer greifbare Skulpturen und die Faszination des Verborgenen.
Fujiko Nakaya arbeitet mit einem flüchtigen Medium. Gerade das macht ihre Werke extrem beliebt. Was fasziniert an dieser ungewöhnlichen künstlerischen Praxis?
Lisa Botti: Faszinierend ist an ihr vor allem, dass sie seit den 1970er Jahren mit diesem sehr unüblichen Medium arbeitet, das es damals so in der Kunst noch nicht gab. Künstler*innen arbeiteten zwar schon immer mit allem Möglichen: Marmor, Holz, Eisen, Stahl. Aber dass man aus so einem komplexen Phänomen der Natur eine performative, installative Skulptur schafft, ist eine revolutionäre Erfindung. Und Nakaya ist trotz ihrer 92 Jahre immer noch aktiv. Das beeindruckt!

Die Künstlerin
Fujiko Nakaya wurde 1933 in Sapporo, Japan, geboren. Als Mitglied des New Yorker Kollektivs „Experiments in Arts and Technology“ (E.A.T.) erlangte sie in den 1960er-Jahren erste Bekanntheit. International erfolgreich wurde sie mit der Entwicklung immersiver Nebelskulpturen, die sie seit 1970 mithilfe eines Systems, das reinen Wassernebel erzeugt, ausstellt.
Fujiko Nakaya in ihrer Nebelskultpur im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie. © Neue Nationalgalerie – Stiftung Preußischer Kulturbesitz / David von Becker
Es gibt auch eine zeitliche Parallele: Der Mies-van-der-Rohe-Bau ist 1968 fertig geworden, 1970 war Nakayas erste Nebelskulptur auf der EXPO-Weltausstellung in Osaka zu sehen. Inwieweit ist ihre Nebelskulptur maßgeschneidert für diesen Ort?
Wir arbeiten seit Jahren daran, den Skulpturengarten als Ort noch mehr zu aktivieren. Das passiert durch Konzerte, Drinks und sogar Yoga. Aber auch das Konzept des Gartens wollten wir revolutionieren – durch Installationen, die mehr sind als eine Skulptur auf einem Podest. In diesem Zusammenhang war Nakayas Arbeit für uns besonders spannend. Die Künstlerin kam zweimal nach Berlin, um den vorhandenen Raum und die meteorologischen Bedingungen wie den Wind zu erkunden. Dabei setzte sie sich intensiv mit Mies van der Rohes Architektur auseinander. Es galt, seine klare Formensprache – das Rechteckige – mit dem Fluiden, Beweglichen, Weichen zu verbinden. Dazu hat sie dann über mehrere Tage genau choreografiert, wo sie mit ihrem Team die Nebeldüsen aufstellt.
Und die Skulptur ist immer anders?
Die Temperaturverhältnisse machen einen großen Unterschied. Bei kälterem Wetter zum Beispiel bleibt der Nebel eher am Boden hängen. Das kennt man aus der Natur auch.

Macht es kuratorisch einen Unterschied, ein Werk in einem Außenraum zu zeigen?
Kuratorisch hat man in Innenräumen eine bessere Planbarkeit. Draußen spielen Wind und Wetter immer eine Rolle – aber genau das macht es spannend. Gleichzeitig ist es so wesentlich zugänglicher. Menschen, die einfach nur oben auf der Terrasse spazieren, haben vielleicht gar kein Ticket, sehen dann diese Installation. Das beeindruckt und lockt an.
Gibt es ein größeres Thema, das hinter Nakayas Werkreihe steht?
Man spürt bei Fujiko Nakaya neben einer Faszination und Liebe für die Natur auch einen starken Entdeckergeist: Ihr Vater, Ukichiro Nakaya, war ein berühmter Physiker, Erfinder des Kunstschnees und Gastprofessor in den USA. Sie wuchs zwischen Japan und Amerika auf. In New York kam sie dann in Verbindung mit dem Kollektiv „Experiments in Arts and Technology“ (E.A.T.). Sie lebte quasi schon immer an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Ingenieurswesen.
Und trotzdem ist für sie die Natur stets Dreh- und Angelpunkt. Mit ihren Nebelskulpturen macht sie sie sichtbar. Kürzlich hat sie zum Beispiel eine riesige Nebelskulptur in einem Wald in Thailand installiert. Dadurch, dass der Nebel seine Umgebung neu „verpackt“, nimmt man sie auch anders wahr. Die Natur rückt plötzlich in den Fokus. Man spürt, wie wertvoll und wichtig sie ist. Diese Verschiebung der Aufmerksamkeit findet auch hier im Skulpturengarten statt. Ein bisschen ist das so wie bei den Christo-Skulpturen. Dadurch, dass er etwas einpackte, dachten Menschen darüber nach.
Wie war die Resonanz beim Publikum bisher?
Es ist ein großer Publikumsliebling für Groß und Klein. Kinder sind natürlich extrem fasziniert vom Nebel. Aber auch Erwachsene genießen es, in ihn einzutauchen. Es ist ja ein bisschen so, wie in eine Wolke hineinzulaufen. Das hat etwas Träumerisches. Durch das zeitliche Fenster – zur vollen Stunde, acht Minuten lang – hat es auch Eventcharakter.
Was gibt es für Pläne für den Skulpturengarten?
Wir wollen künftig verstärkt weibliche Positionen in dem sehr männlich dominierten Skulpturengarten zeigen. Erst kürzlich kam ja Alicja Kwades Skulptur „Goldelse“ (2021) als Schenkung zu uns. Auch unser sehr erfolgreiches Programm Sound in the Garden wird dieses Jahr fortgeführt werden und den Skulpturengarten mit abendlichen Sommerkonzerten beleben.
Gibt es da Überschneidungspunkte zur Nebelskulptur?
Tatsächlich hat Fujiko Nakaya schon häufig mit Musiker*innen kollaboriert. Wir arbeiten derzeit an einem speziellen Programm, das an diese Zusammenarbeit anknüpft.
Fujiko Nakayas Nebelskulptur im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie ist noch bis zum 14. September 2025 zu sehen. Die Skulptur startet zur vollen Stunde zwischen 11 und 17 Uhr. Donnerstag bis 19 Uhr.
Die Ausstellung wird gefördert durch das Kuratorium Preußischer Kulturbesitz.