Zum Artikel "Der Museums-Sommer fällt nicht ins Wasser - Ein regenfester Erlebnisbericht"

Der Museums-Sommer fällt nicht ins WasserEin regenfester Erlebnisbericht

Artikel

Lesezeit: ca.  min

Unbestritten ist der Sommer 2023 wechselhaft: Mal scheint die Sonne und die Temperaturen klettern in die Höhe, mal versteckt sie sich wochenlang hinter einer dichten Wolkendecke und es regnet in Strömen. Bei den Staatlichen Museen zu Berlin lässt man sich davon nicht aus der Ruhe bringen. In diesem Sommer hat man wieder ein vielfältiges Open-Air-Programm auf die Beine gestellt, das wirklich jede*n anspricht. Das SPKmagazin wohnte dreien aus einer Vielzahl von Veranstaltungen bei, die trotz Sturm und Regen gut besucht waren.

Los geht es mit der Auftaktveranstaltung der Sommerreihe Berlin Beats, bei der sich die bekannte Berliner DJ Ellen Allien im Garten des Hamburger Bahnhofs (Nationalgalerie der Gegenwart) die Ehre gibt. Anlass ist das lange Open House Wochenende, die große Auftaktveranstaltung der drei neuen Sammlungspräsentationen des Hauses mit freiem Eintritt zu allen Ausstellungen und Programmen – Führungen, Künstler*innengespräche und Screenings inklusive. Ein Wochenende der Extreme in vielerlei Hinsicht: Über 30.000 Besucher*innen kommen zu diesen Tagen der offenen Tür in das Museum, viele zum ersten Mal. Das Konzept des Direktoren-Duos Sam Bardaouil und Till Fellrath vom Museum, das allen offenstehen soll, scheint aufgegangen zu sein: „Wir wollen wirklich alle einladen, zu uns zu kommen und den Hamburger Bahnhof ganz neu kennenzulernen“, sagt Till Fellrath im Interview mit dem Blog der Staatlichen Museen zu Berlin. Eine Vielzahl von Menschen haben diese Einladung dankend angenommen.

Doch zunächst wirkt es so, als stelle sich das Wetter quer: Dunkle Wolken brauten sich am Himmel zusammen und ein gewaltiger Wasserschwall ergießt sich über dem ehemaligen Bahnhofsgebäude. Während der strömende Regen einige Besucher*innen dazu verleitet, das Live-Set zu verlassen und die Ausstellungsräume aufzusuchen, tanzen andere unbeeindruckt im Regen weiter. Die harten Beats vom Set Ellen Alliens erinnern an eine Berliner Clubnacht. Zwischen dem ekstatisch tanzenden Publikum kommen Techno-Rave-Feelings auf. Man vergisst fast, dass man sich in einem Museum befindet.

Passend dazu wird an diesem Wochenende die Videoarbeit Ellen Alliens, die auch als Künstlerin und Kuratorin tätig ist, gezeigt. „After Dark“ entstand in Kollaboration mit der Regisseurin Stini Roehrs und zeigt den Club als Ort von Toleranz, Diversität, Performance, Extravaganz, Anonymität und Fragilität. Themen, die sich auch in der neuen Sammlungspräsentation des Hamburger Bahnhofs in all ihren Facetten wiederfinden. Und damit feiert „Berlin Beats“ nicht nur die elektronische Musikkultur der Stadt in seiner ganzen Bandbreite von experimentell-avantgardistisch bis hin zu Clubmusik, sondern auch die Themen und Diskurse, die Berlin aktuell politisch beschäftigen.

Ein großes Bahnhofsgebäude von Außen, viele Menschen davor
Der Hamburger Bahnhof feiert an zwölf Sommerabenden vom 16. Juni bis 31. August 2023 Berlins elektronische Musikkultur mit der Open-Air Konzertreihe "Berlin Beats" im Garten des Museums. © Kulturprojekte Berlin / Alex Rentsch
Eine große Gruppe von tanzenden Menschen in einem Innenhof
"Berlin Beats" lädt Besucher*innen des Hamburger Bahnhofs zum Tanzen ein. © Kulturprojekte Berlin / Alex Rentsch
Portrait einer Frau mit goldenen Gesicht
Ellen Allien, DJ, Künstlerin und Kuratorin, bestreitet den Auftakt der Reihe. Foto: Sven Marquardt
Menschen tanzen in der Nacht, erleuchtet von Neonlicht
Trotz Regen tanzen Besucher*innen zu den Beats der bekannten Berliner DJ. Foto: SPK / Louis Killisch
eine riesige Baugrube über die Wolken hinwegziehen
Wolken ziehen über die Baugrube des "berlin modern" am Kulturforum hinweg. Foto: SPK / Louis Killisch
Bäume auf einem steinernen Platz
Grüne Akzente auf dem steinernen Kulturforum: Bäume der "Baumschule Kulturforum". Foto: SPK / Louis Killisch

Wenn es um partizipative, urbane Diskurse geht, ist aktuell natürlich auch das Kulturforum eine spannende Adresse. Die Baugrube des berlin modern lässt das steinerne Areal zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie grauer und zerklüfteter erscheinen. Und doch gibt es hier seit Kurzem frische grüne Akzente: Das Projekt Baumschule Kulturforum unter der Leitung von Klaus Biesenbach, dem Direktor der Neuen Nationalgalerie, und atelier le balto schafft kleine organische Inseln aus jungen Baumhainen auf den kargen, steinernen Freiräumen zwischen den Kultureinrichtungen.

Ziel ist es, die Aufenthaltsqualität zu verbessern, Besucher*innen zum Verweilen und Kontemplieren einzuladen und der ursprünglichen Idee für das Kulturquartier als grüner Verlängerung des Tiergartens neuen Antrieb zu verschaffen. Ein wiederkehrendes Programm aus landschaftsarchitektonischen Führungen durch die künstlerisch-gärtnerische Rauminstallation sowie der schon im letzten Jahr so erfolgreiche Tag im Grünen biete Anknüpfungspunkte für Entdecker*innen und Naturbegeisterte jeden Alters.

Ein Innenhof voller Menschen, im Hintergrund eine Kirche
Der trotz wechselhaftem Wetter gut gefüllte Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie mit der St. Matthäus-Kirche im Hintergrund. © Mathias Völzke
Zwei Menschen vor einem Mikrofon
Klaus Biesenbach eröffnet "Sound in the Garden" 2023 gemeinsam mit Benita von Maltzahn, Head of Global Cultural Engagement der Volkswagen Group. © Mathias Völzke
Frau mit Mikrofon, singend
MARYAM.fyi im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie. © Mathias Völzke
Frau singt auf Bühne, begleitet von Streicherinnen und Pianist.
Die Sängerin wird von zwei Streicherinnen, einer DJ und einem Pianisten begleitet. Foto: SPK / Louis Killisch

Klaus Biesenbach ist es auch, der im vergangenen Jahr die Initiative ergriff und zusammen mit Janet Röder die Livekonzertreihe Sound in the Garden ins Leben rief. Erstmals seit 1986 wird der Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie dabei wieder zur Musikvenue. Während es in den 1970er und 80er Jahren noch „Jazz in the Garden“ hieß, sind es heute Vertreter*innen verschiedener, vor allem zeitgenössischer Formate, die in der Reihe mit dabei sind. Nach großem Andrang im vergangenen Jahr geht es 2023 weiter: Den Auftakt machte die deutsch-iranische Musikerin MARYAM.fyi. Als „Sophisticated Indie-Pop“ beschreibt die Künstlerin ihre Musik, die neben emotionalen-zwischenmenschlichen Themen auch politische behandelt und auf die aktuelle Situation im Iran aufmerksam macht. Biesenbach hatte die Künstlerin Maryam 2022 in der Vorbereitung eines Happenings zur Unterstützung der Protestierenden im Iran in der Neuen Nationalgalerie kennengelernt. Iranische Künstler*innen drückten damals in Liedern, Gedichten, Wortbeiträgen und Performances ihre Solidarität mit den Frauen im Iran und ihrem Freiheitskampf aus.

Pünktlich zum Konzertbeginn meldet sich auch das Wetter wieder: Dunkle Wolken tun das, was sie immer gern tun, nämlich sich am Himmel auftürmen und ein starker Wind erfasst den Skulpturengarten, der randvoll mit gespannt wartenden Besucher*innen ist. Selbst oberhalb des Gartens, auf der steinernen Plattform vor dem gläsernen Eingangsbereich des Hauses, hat sich eine Traube von Menschen gebildet, die zuschauen, wie Klaus Biesenbach die Bühne betritt und zunächst darum bitten muss, dass die Schirme sicherheitshalber eingeklappt werden. Dann betritt MARYAM.fyi die Bühne und legt eine mitreißende und sehr emotionale Performance hin. Die Widrigkeiten des Wetters navigiert sie professionell, obwohl es während des Konzerts noch dramatisch wird: der Wind frischt auf, zwei Streicherinnen, die Maryam begleiten, müssen kurzzeitig die Bühne verlassen, ein erfrischender Sommerschauer geht auf die Menge nieder. Während die dunklen Wolken am Himmel langsam vorbeidriften, singt Maryam: „Alles zieht an mir vorbei, bin ich allein oder bin ich frei“. Und im Trockenen hinter den Scheiben der Neuen Nationalgalerie wirkt es fast so, als würde Max Beckmanns Portrait der Familie George gebannt lauschen.

Drei Frauen im Gespräch vor einer Bar, mit Mikros. Publikum schaut zu.
Julia Vismann (m.) im Gespräch mit Zandile Darko (r.), Schauspielerin und Performerin, und Yvette Deseyve, Kuratorin an der Alten Nationalgalerie. © Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Statue einer Bogenschützin vor Kolonnaden
Ferdinand Lepckes "Bogenspannerin" (1905/06) im Garten der Alten Nationalgalerie; auch dieses Werk kommt im Talk zur Sprache. © Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Mann an DJ Pult
Thorsten Lütz alias DJ Strobocop vom Label Karaoke Kalk legt auf. © Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich
Zwei Menschen im Gespräch, auf Strandstühlen sitzend, in Menschenmenge
Heike Kropff, Leiterin der Abteilung Bildung/Kommunikation der Staatlichen Museen zu Berlin, im Gespräch mit Thorsten Lütz. © Staatliche Museen zu Berlin / Juliane Eirich

Weiter geht es – wie nicht anders zu erwarten – durch eine Regenfront zur Museumsinsel. Dort, nässegeschützt unter den Kolonnaden der Alten Nationalgalerie direkt am Spreeufer, findet die Veranstaltungsreihe Kolonnaden Bar statt. Das allsommerliche Format des Referats Bildung, Vermittlung, Besucherdienste der Staatlichen Museen zu Berlin lädt hier seit 2017 dazu ein, Verbindungen zwischen Museumsthemen und aktuell gesellschaftlich relevanten Diskursen zu explorieren. Mittelpunkt bildet jene namensgebende Bar, gestaltet vom Künstler Wolfgang Flad, die auch heute eine sommerliche Aura zu umgeben scheint. Drum herum haben es sich die Zuhörenden in Strandstühlen bequem gemacht, ordern unbeirrt Drinks von der Bar. Das Thema des Talks heute: Körpersprache und Bewegung in der Kunst. Zu Gast sind Zandile Darko, Schauspielerin und Performerin, und Yvette Deseyve, Kuratorin an der Alten Nationalgalerie. Moderiert wird das Ganze von der Journalistin Julia Vismann.

Es ist wieder einmal erstaunlich, wie viele Menschen sich durch den Regen gekämpft haben, um in ein Thema einzutauchen, das zwei Disziplinen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten (statisch vs. in Bewegung) miteinander verbindet. Auch heute findet man ein bunt gemischtes Publikum vor: Ein älteres italienisches Pärchen lauscht trotz Sprachbarriere via Google Translate einem Talk, der sich an den Skulpturen aus den Sammlungen der Staatlichen Museen entlang bewegt – angefangen von Georg Kolbe über Edgar Degas bis hin zu den Werken direkt hinter den Kolonnaden im Garten der Alten Nationalgalerie wie Max Kleins „Herkules mit dem nemeischen Löwen“ (1878) oder Reinhold Begas‘ „Kentaur und Nymphe“ (1886) – direkt neben der Bühne steht Ferdinand Lepckes "Bogenspannerin" (1905/06).

Während Deseyve die Entstehungsgeschichte der Werke und den Schaffensprozess der Künstler*innen erläutert, nähert sich Darko den Skulpturen von der performativen Seite. Minutiös beschreibt sie ihr Training und ihre Vorgehensweise bei der Analyse von Bewegungen (z.B. aus dem Studium von Tierbewegungen). Beide Expertinnen konstatieren ein Vielfaches an Dynamik und Flexibilität in den Skulpturen, die sich trotz ihrer scheinbaren „Festgefrorenheit“ in der Zeit doch stets im „Fluss“ befinden. Mit der Nacktheit der meisten klassischen Skulpturen hat es übrigens die Bewandtnis, dass sich so feinste körperliche Nuance in den Bewegungsabläufen festhalten lassen, ohne die Plastiken zeitlich in einer Epoche zu verorten. (Kleidung würde sie festlegen). Sie bleiben so auf ewig zeitlos.

Im Anschluss an den Talk legt Thorsten Lütz alias DJ Strobocop vom Label Karaoke Kalk auf. Trotz grauer Wolken und Regen fühlt man sich nun doch ein bisschen in den Sommer versetzt. Zumindest wenn man die Augen schließt, den Drink in der Hand spürt und der Musik lauscht.


Weitere Artikel zum Thema