Am 4. September 2022 passierte am als unfreundlich geltenden Kulturforum Unglaubliches: selbstironisch, aber auch selbstbewusst luden die anrainenden Kultureinrichtungen zum Tag im Grünen – mit Kunst, Kultur und Kulinarik. Wir waren vor Ort.
Die Leute lieben ja Überraschungen. Sagen wir: die meisten. Darum war es nicht verwunderlich, dass am 4. September Tausende ihren Weg zum Kulturforum fanden. Es galt, herauszufinden, wo es denn nun ist, dieses vermeintliche Grün. Böswillige würden unterstellen, dass diese Sonntagsausflügler*innen so fremd wie Neobionten im sonst eher für karg und vor allem grau befundenen Biotops des Kulturforums wirkten, aber das ist natürlich Quatsch.
Diese gigantische Tafel ist eigentlich eine Demonstration für mehr Museumsgärten © Stefanie Heider
So lange ist es übrigens gar nicht her, dass das Gebiet rund um das Kulturforum grünes Ausflugsziel für Erholungswillige war: Im 18. Jahrhundert lag hier noch der Stadtrand und nachdem der große Tiergarten vom kurfürstlichen Jagdrevier zur öffentlichen Parkanlage umgewidmet wurde, war rund ums heutige Kulturforum vor allem Sommerfrische angesagt.
Aber wo ist 200 Jahre später das erholsame Grün? Einerseits natürlich in den Sammlungen der Häuser: Gärten, Pflanzen, Wälder etc. sind seit je her beliebte und ergiebige und gern gezeigte Motive in der Kunst, wie Führungen durch Neue Nationalgalerie, Kupferstichkabinett, Kunstbibliothek oder Gemäldegalerie zeigen. Wie es sich für gute Häuser gehört haben viele der Kulturforumseinrichtungen Gärten: die Neue Nationalgalerie ihren nachgerade legendären Skulpturengarten, zwischen Philharmonie und Staatlichem Institut für Musikforschung liegt der weniger bekannte Philharmonische Garten (dort gab es natürlich Musik) und die Staatsbibliothek hatte aus der Rasenfläche vor ihrem Eingang einfach einen Pop-Up-Garten gemacht, wo sich Gäst*innen in Liegestühlen fläzend zu E.T.A. Hoffmans Geschichten gruseln und Alt-Berliner Drehorgelklängen lauschen konnten.
Die Entdeckung des Tages waren aber zweifellos die beiden grünen Oasen im Inneren des Kunstgewerbemuseums. Der soft-brutalistische Bau von Rolf Gutbrod gilt manchen ja als eine Art architektonischer Behemoth, sie dürften über die Innenhöfe noch erstaunter gewesen sein. Der größere der beiden wurde vom New Yorker Künstler Arnold Dreyblatt mit einer Klanginstallation erfüllt, in dem anderen gab es eine Foodperformance von Chmara.rosinke rund um das Thema „Brot“. Das kulinarische und gesellschaftliche Herzstück des Tages war aber eine riesige Tafel auf der Sigismundstraße. Wo sonst findige Autofahrer*innen die Forumsatmosphäre zwischen Neuer Nationalgalerie und St. Matthäuskirche stören, lud an diesem besonderen Sonntag eine weiß betischtuchtes Oval die Menschen zum Beisammensein bei gratis Kuchen, gratis Kaffee, gratis Apfelschorle und gratis Currywurst ein. Nachmittags tönten höchstinteressante Klänge eines sich von verschiedenen verschiedenen Metaebenen zusammenekletizierten Konzerts der Band DEEP GOLD, kurz vor der Abenddämmerung gab sich dann Kulturstaatsministerin Claudia Roth in Begleitung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, die Ehre. Sie aß eine Currywurst, plauderte mit den Leuten und hielt eine emphatische Rede auf den Tag – emphatisch musste es sein, denn die Tafel war als Demonstration für mehr Museumsgärten deklariert, ein verwaltungstechnisches Hebel, um den Autos die Sigismundstraße abzutrotzen.
Danach ging es fürs Gruppenfoto zum grünen Herzstück des Kulturforums, das in ein paar Jahren überdies das grüne Herzstück des Neubaus der Nationalgalerie werden wird: die gewaltige 150-jährige Platane. Das Naturdenkmal hat die Widrigkeiten des 20. Jahrhunderts vom Abriss des Viertels zugunsten der Megalomanie Germania über die Bomben des Zweiten Weltkriegs bis zum planerischen Paradigma einer »autogerechten Kulturstadt« West-Berlin in der Nachkriegszeit überstanden und wird jetzt in den Neubau integriert. Nachdem sich die Dunkelheit über das Kulturforum gesenkt hatte, spielte noch Till Brönner „Improvisationen on Mies“ in der oberen Halle der Neuen Nationalgalerie – ein denkwürdiger Abschluss eines denkwürdigen Tages. Denn der „Tag im Grünen“ wirkte so verheißungsvoll wie der Duft von Petrichor nach langer Dürre auf die Anrainer*innen des Kulturforums: „Das Zusammenspiel aller Häuser hat das Kulturforum zu einem wirklichen Forum werden lassen: Musik, Literatur, Kunst, Wissenschaft und Religion, alle gemeinsam! Ich habe das Kulturforum selten so belebt und vergnügt erlebt.“ frohlockte Hannes Langbein, Pfarrer der St. Matthäuskirche und einer der führenden Köpfe hinter der Veranstaltung. Und auch SPK-Präsident Parzinger prophezeite: „Das war gewiss nicht die letzte gemeinsame Aktion der Anrainer, denn das rege Interesse der Gäste hat gezeigt: Mit dem richtigen Programm ist das Kulturforum ein überaus lebendiger, urbaner Ort.“