Auch in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sollte sich das Areal zwischen Tiergartenstraße und Landwehrkanal, zwischen Potsdamer Straße und Bendlerblock als Projektionsfläche für die Einbildungskraft renommierter Stadtplaner und Architekten erweisen: Diese entwickelten für das Kulturforum eine Reihe städtebaulicher Visionen, die unterschiedlichen Epochen der Architekturgeschichte entsprachen und nur fragmentarisch verwirklicht wurden.
Aus dem Nebeneinander dieser unvollendeten Visionen ergibt sich der aktuelle Stand des Kulturforums: Eine architektonische Öde, übersät von scheinbar unzusammenhängenden Kultureinrichtungen, ein unvollkommener und unvollendeter Ort.
Diese unvollendeten Visionen aus der Vergangenheit bilden die geologischen Schichten des Kulturforums. Sie liegen den unverwirklichten Planungen zur Weiterentwicklung des Standortes zugrunde und machen das Kulturforum in seiner Unvollkommenheit zu einer archäologischen Stätte, an der sich die deutsche Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts ablesen lässt.
Mit dem Neubau des Museums für die Kunst des 20. Jahrhunderts will die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nun ein neues Kapitel am Kulturforum aufschlagen, an dessen Ende hoffentlich nichts weniger steht, als die Fortsetzung der Architekturgeschichte an diesem Ort im 21. Jahrhundert.
Eine der Architekturikonen des Kulturforums: Die unvollendete Neue Nationalgalerie (1967)© SMB, Zentralarchiv
Von der bürgerlichen Villenvorstadt zur Trümmerlandschaft
Spätestens mit der Errichtung der St. Matthäus-Kirche 1846 von Friedrich August Stüler hat sich das Tiergartenviertel als vorstädtisches Wohnviertel für das Berliner Großbürgertum etabliert. Rund um den Matthäikirchplatz, zwischen der Tiergartenstraße und dem Landwehrkanal, entstand ein bevorzugtes Wohnquartier, das von einer hohen Bebauungsdichte und Gründerzeitarchitektur gekennzeichnet war. Dort fand die wirtschaftliche und intellektuelle Elite Berlins im ausgehenden 19. Jahrhundert ihr Zuhause, zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es gar ein Ort der Avantgarde. Von dieser vergangenen Ära zeugen heute nur noch die alleinstehende St.-Matthäus-Kirche sowie die heute in der Gemäldegalerie integrierte Villa Parey.
Nach dem ersten Weltkrieg erlebte das Tiergartenviertel einen Strukturwandel, als zahlreiche Botschaften und Konsulate sich dort ansiedelten. 1937 wurde der bürgerliche Villenortes im Zuge der nationalsozialistischen Reichshauptstadtplanung offiziell zum „Diplomatenviertel“ erklärt und durch brutale Enteignung und massive Abrisse in großen Teilen beseitigt. Schließlich sollte hier die Nord-Süd Achse von Albert Speers Stadtgigantomanie „Germania“ als 120 Meter breite Prachtstraße verlaufen – ein integraler Bestandteil der Vision von Hitlers Architekt für die Hauptstadt des Tausendjährigen Reichs. Am Schnittpunkt mit der Potsdamer Straße war die Aufweitung der Nord-Süd Achse zum „Runden Platz“ geplant, einem monumentalen Platz, um den sich eine Reihe nationalsozialistischer Prunkbauten versammeln sollten.
Mit dem Bau des Hauses des Fremdenverkehrs am heutigen Standort der Staatsbibliothek begann 1938 die Verwirklichung einer rücksichtslosen Vision. Nirgendwo sonst in Berlin haben die von den Nationalsozialisten durchgeführten Zerstörungen im Rahmen der Planung der Hauptstadt Germania eine solche Dimension erreicht. Die flächendeckenden Bombardierungen während des Zweiten Weltkriegs vollendeten die Zerstörung des bürgerlichen Tiergartenviertels und hinterließen ein Ödland, dessen trostlose Entstehungsgeschichte nicht so einfach zu verwischen ist.
Die Moderne soll es wiedergutmachen: Scharouns Stadtlandschaft
Mit der Errichtung der Philharmonie auf der leergeräumten Trümmerbrache Anfang der Sechzigerjahre begann die Entwicklung des Viertels zu einem der bedeutenden Kulturstandorte Deutschlands. Ursprünglich sollte der Neubau in Wilmersdorf gebaut werden, doch als Hans Scharoun 1956 den Wettbewerb für die neue Philharmonie gewonnen hatte, plädierte er erfolgreich und mit Blick auf die erhoffte Wiedervereinigung für einen zentraleren Standort. So kam es, dass der spektakuläre, organische Baukörper der Philharmonie anfänglich als einziger Solitär die sparsam bepflanzte Freifläche in der Nähe der gerade gebauten Berliner Mauer beherrschte. Das Vorhaben, hier eine Art West-Berliner Museumsinsel der Moderne zu errichten wurde durch den Bau der Neuen Nationalgalerie nach Plänen des Jahrhundertarchitekten Mies von der Rohe ab 1964 deutlich verstärkt: Wenige Monate vor der Grundsteinlegung traf die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Entscheidung, den vom Senat geplanten Bau zu übernehmen, um dort die Sammlung der Nationalgalerie auszustellen.
So kam es, dass zwei Wahrzeichen der Moderne an diesem Ort entstanden – allerdings ohne nachhaltiges städtebauliches Leitbild: Zwei isolierte Objekte, die sich zwar an dem Funktionalismus-Prinzip orientierten, die aber vor allem einer Art architektonischen Entnazifizierung dienten: War doch die Abwesenheit jedes Gesamtkonzepts als radikale Negation der vorherigen Reichhauptstadtplanung gemeint.
Scharoun lieferte sein Konzept der „Stadtlandschaft“ aber nach: Er hatte in seinem Beitrag zum Hauptstadtwettbewerb 1957 das Areal zwar als Diplomaten- und Kulturviertel und als Teil eines „Kulturbandes“ reserviert, seine ersten konkreten Pläne für das Kulturforum entstanden aber erst 1964, parallel zu seinem Wettbewerbsentwurf für die Staatsbibliothek. Hier tauchte erstmals der Begriff „Forum“ für den Bereich westlich der Staatsbibliothek auf, den Scharoun mit dem Konzept der „Stadtlandschaft“ zu vereinen suchte und hier in seiner Gesamtheit ausformulierte.
Scharouns Vision der „Stadtlandschaft“ stellt einen Höhepunkt der Planungsgeschichte des Kulturforums dar. Neben der Staatsbibliothek, den vorhandenen Bauten Philharmonie und St. Mätthäus-Kirche, sowie der schon eingeplanten Neuen Nationalgalerie gesellte Scharoun in seinem Konzept den Kammermusiksaal und ein Senatsgästehaus in die leere Mitte des Spannungsfelds zwischen den beiden ikonischen Solitären.
Das Konzept der Stadtlandschaft ist als strukturelle Analogie zu den Elementen, Kräften und Gliederungen der Natur zu verstehen: Scharoun verglich die lagernde Form der Staatsbibliothek mit einem Bergrücken und verlieh so seinen Gebäuden eine geografische Dimension bzw. die Form einer Naturlandschaft. In Scharouns Vision wird der Kammermusiksaal zum Hügel, das Gästehaus zu Terrassen und die Potsdamer Straße zu einem Tal.
Nach dem Tod Scharouns und der Fertigstellung der Staatsbibliothek wurde seine Planung für das Kulturforum von Edgar Wisniewski weitergeführt, der schon an den Entwürfen beteiligt gewesen war. Von 1979 bis 1987 baute Wisniewski das Staatliche Institut für Musikforschung, das Musikinstrumenten-Museum und den Kammermusiksaal, dessen Volumen allerdings deutlich höher ausfiel als in Scharouns städtebaulichem Konzept vorgesehen.
Der schon im Modell aus dem Jahr 1964 angedeutete Standort der Museen wurde später in einem Wettbewerb festgelegt, der 1967 zugunsten des komplexen Clusterentwurfs von Rolf Gutbrod entschieden wurde. Die modifizierten und 1978 bis 1985 im Brutalismus-Stil errichteten Gebäude des Kunstgewerbemuseums, des Kupferstichkabinetts und der Kunstbibliothek stießen auf so heftige öffentliche Kritiken, dass ein Baustopp ausgerufen wurde. Nach einem erneuten Wettbewerb wurden die Architekten Hilmer & Sattler mit dem Bau der Gemäldegalerie beauftragt. Vor der Museumslandschaft errichtete 1984 Heinz Mack eine schräg abfallende Piazzetta aus Granit, die den Museen-Komplex eher verbarrikadiert, als ihn mit dem Platz zu verbinden.
Zu dieser Zeit wurde das Leitbild der Funktionellen Stadt, an dem Scharoun sich orientiert hatte, gründlich in Frage gestellt. So kam es, dass das übergreifende Raumkonzept Scharouns, das die Gebäude zueinander in Beziehung bringen sollte, nie vollendet wurde.
Die verworfenen Entwürfe
Von 1979 bis 1987 fand in Berlin die Internationale Bauausstellung (IBA) statt: Im Vorfeld lud die Senatsverwaltung sechs international renommierte Architekten zur „Vollendung des Kulturforum im Geist Scharouns“ ein. Der Entwurf des Wiener Architekten Hans Hollein wurde schließlich dazu auserkoren, realisiert zu werden. Hollein wollte den Matthäikirchplatz bis zur Potsdamer Straße ausweiten, durch Kolonnaden abschirmen und auf den anderen Seiten durch ein „City Kloster“, einen „Turm" und einen Kanal begrenzen. Aufgrund erheblichen Widerstandes von Seite der Scharoun-Gesellschaft, kam es aber nie zu einer Realisierung von Holleins Plänen.
2005/06 stellte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ihr Masterplan zur Weiterentwicklung des Kulturforums auf der Grundlage der Scharounschen Idee vor. In diesem Plan steht die St.-Matthäus-Kirche wieder auf einem baulich gefassten Schmuckplatz. Ein mit seiner umlaufenden Pfeilerkolonnade an den Klassizismus der NS-Architektur erinnernder Ehrenhof war anstelle der entsorgten Piazzetta als monumentaler Eingang zu den Museen geplant. Zwei Neubauten zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie sollten zudem dafür sorgen, das Kulturforum endlich zu vollenden. Nach einem Wechsel in der Leitung der Berliner Baupolitik wurde 2007 aber auch dieser Plan verworfen.
Nun aber kann alles gut werden: Am 27. Oktober 2016 enthüllte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Gewinnerentwurf von Herzog & de Meuron im Wettbewerb für den Neubau des Museums des 20. Jahrhunderts: ein archetypisches Haus, das dem Kulturforum Struktur gibt und das Zeug dazu hat, eine Architekturikone des 21. Jahrhunderts zu werden.
Literatur:
- Anke Fischer. Das Berliner Kulturforum. Weiterentwicklung eines unvollendeten und unvollkommenen Denkmals. Arbeitshefte des Instituts für Stadt und Regionalplanung. Technische Universität Berlin. Berlin 2007
- Hans Stimman. Zukunft des Kulturforums. Agbesang auf die Insel der Objekte. Berlin 2012
- Adrian von Buttlar. Neue Stadträume in West-Berlin: Breitscheidplatz und Kulturforum. in Radikal Modern, Planen und Bauen im Berlin der 1960er-jahre. Berlinische Galerie. Berlin 2015
- Kulturforum (3) Der Masterplan. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Berlin 2005