Am 9. Februar 2024 wurde am Kulturforum der Grundstein für jenes Haus gelegt, dass das Kulturforum vollenden, die Sammlung der Neuen Nationalgalerie zusammenführen und neue Standards für Museen im 21. Jahrhundert setzen soll: berlin modern
Da lag er nun, der Grundstein. Im Februarregen, auf einem eigens gezimmerten Podium neben der Neuen Nationalgalerie, bereit, von einem der drei Kräne in die beeindruckende Baugrube zwischen dem Mies-Tempel und der Philharmonie gehievt zu werden. Hätte es tagelang weiter so geregnet, hätte daraus ein Pop-Up-Schwimmbecken werden können, dessen Tiefenmaße die Gründung von Berlins erstem Apnoe-Tauchverein nach sich hätte ziehen können. Entsprechend groß war dann auch der Grundstein: Ein rechteckiger Quader, der in seiner Betonoptik trotz seiner Masse wegen seiner Maße und seiner Klarkantigkeit durchaus elegant wirkte – modern eben. Ein moderner, archetypischer Grundstein für ein modernes, archetypisches Haus. Eingeprägt in selbstverständlich klar-moderner Typografie das Datum (09.02.2024), der Zweck (Grundsteinlegung) und der Name des Neubaus: berlin modern.
Man könnte meinen, dass die konsequente Kleinschreibung des neuen Namens eine weitere Moderne-Reminiszenz wäre, nämlich an das Bauhaus, wo man alles klein schrieb, um Zeit zu sparen (Stichwort Nachhaltigkeit) und Buchstabenhierarchien aufzulösen (Stichwort Teilhabe) – schließlich hat dieses berlin modern in seinem mittlerweile 10 Jahre andauernden Entstehungsprozess ja eine Debatte über ökologisch nachhaltiges Bauen ausgelöst und schreibt sich überdies ins Programmheft, ein offenes Haus für alle zu werden.
Kunst heißt immer machen und tun
Aber in seiner Festrede zur Grundsteinlegung erklärt Museumsdirektor Klaus Biesenbach die Kleinschreibung dann doch ganz anders: berlin modern werde klein geschrieben, denn es sei ein Verb. Man müsse schließlich jeden Tag machen und tun, insbesondere, wenn man ein lebendiges Museum wolle, Kunst ist schließlich gelebte Praxis. Um das zu untermauern, war neben den obligatorischen Grußworten und Festreden, der traditionellen Zeitkapselbefüllung und dem Kranballett zur Einbringung in die Baugrube Kunst ein Punkt des Grundsteinlegungsfestprogramms.
Sogar ein Doppelpunkt, denn neben der akustischen Begleitung des schwebenden Grundsteins durch den amerikanischen New-Wave-Avantgardekünstler Deantoni Parks mit Drumset und Synthesizer waren Lucy Raven und ihre Videoinstallation „Ready Mix“ wichtiger Teil des Festakts. Der auf einer enormen Leinwand im Zentrum der Glashalle der Neuen Nationalgalerie präsentierte Film zeigt schwarz-weiße Aufnahmen aus einem Beton- und Kieswerk in Idaho – untermalt mit einem unüberhörbaren Klangteppich, gewebt aus Industrial-artigen Sounds wie Stampfen, Rattern, Hämmern von Deantoni Parks. Lucy Ravens Arbeit ist ein durchaus kritischer Kommentar zum Neubau, dessen Baugrube sich in Sichtweite befindet. Betritt man die Mies’sche Glashalle und blickt nach links, sieht man, wie Beton hergestellt wird, welche Kräfte und Energien dafür freigesetzt werden müssen und was das mit der Landschaft macht, blickt man nach rechts, sieht man die enorme Baugrube und wofür dieser Beton eben angewendet wird.
Ebendiese Fragen des Betons und seiner Nachhaltigkeit bzw. der Nachhaltigkeit des Bauens generell sind wichtiger Teil der Entstehungsgeschichte von berlin modern. Es lag nicht nur an der Pandemie, dass zwischen dem Spatenstich 2019 und der Grundsteinlegung mehr als vier Jahre vergingen. Der Entwurf von Herzog & de Meuron wurde überarbeitet, um das Haus ökologisch nachhaltiger zu machen. Gut so, wie SPK-Präsident Parzinger in seiner Videobotschaft sagt: „Wir haben die Entwicklung des Hauses immer als Prozess verstanden, Form und Inhalt müssen gerade bei einem so herausragenden Leuchtturmprojekt immer wieder an neue Anforderungen angepasst werden."
Die Geburtsstunde der Internationalgalerie
Das ist gelungen: Photovoltaik auf dem Dach, energieeffiziente Heiz-Kühl-Böden im Inneren, und viel viel Grün außenrum haben berlin modern zu einem „Leuchtturm der Nachhaltigkeit“ gemacht, wie Bundesumweltamtspräsident Dirk Messmer in seiner Rede sagte. Der Bau sei ein „Avantgardemodell“ das dabei helfe, die „Standards von morgen zu installieren“. Und auch der Architekt Jacques Herzog findet die Modifikationen an dem Entwurf, mit dem sein Büro 2016 den Wettbewerb gewonnen hatte, richtig und wichtig. Prozessuales sei typisch für „unsere Arbeit“. Überdies sei „ein Haus nichts Statisches, sondern soll Leben ausdrücken; die Verwandlung der Werte der Gesellschaft“.
Denn nicht nur die Hülle, auch das Innere des Hauses soll den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts gerecht werden. „Wir wollen mehr Frauen, mehr Künstlerinnen in der Sammlung der Neuen Nationalgalerie. Und wir müssen den Blick drehen, die Perspektiven erweitern: Die Sammlung muss internationaler, ja globaler werden. Die Neue Nationalgalerie muss zu einer „Internationalgalerie“ werden!“ fordert Parzinger. Und auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth fordert in ihrer Rede keinen „elitären Kunsttempel sondern ein offenes Haus für alle“.
Und damit hat die Größe von berlin modern ihre Berechtigung, denn naturgemäß kann ein offenes Haus für alle gar nicht klein sein, denn sonst würden „alle“ ja gar nicht reinpassen. Und alle wollen kommen, Klaus Biesenbach berichtet von den unglücklich-glücklichen Tagen, an denen potenzielle Nationalgalerie-Besucher*innen wieder weggeschickt werden mussten, weil das Museum einfach überfüllt war. Platz brauchen übrigens nicht nur die Leute, sondern auch die Kunst, die sie erleben wollen: Von der Sammlung der Neuen Nationalgalerie können derzeit gerade mal 3% gezeigt werden. berlin modern wird das ändern.
Kran-Ballett mit Kapsel
Nachdem die Reden den theoretischen Überbau des Neubaus skizziert haben, schreitet man zur Tat: Es gilt, den Grundstein mit einer Zeitkapsel symbolisch aufzuladen und dann mit Segenssprüchen und drei Hammerschlägen quasi zu aktivieren, bevor er nach 10minütigem Kranballett in die tiefe tiefe Baugrube eingebracht wird. Außer- und innereuropäische Ethnolog*innen hätten ihre Freude an diesem Ritual. Aber zunächst muss die Kapsel befüllt werden und es ist schon erstaunlich, wieviel in so eine unterarmlange Hülse aus Kupfer hineinpasst.
– Jjede*r Beteiligte hat etwas mitgebracht und da es viele Beteiligte sind, kommt einiges zusammen: drei Zeitungen vom 9.2.2024 (Gero Dimter, Vizepräsident der SPK), drei Postkarten mit Werken von Paula Modersohn-Becker und Christian Schad (Klaus Biesenbach), ein aktueller Stadtkalender (Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner), die Baupläne (Jacques Herzog), die Bauurkunde (Danyal Bayaz, Finanzminister von Baden-Württemberg), ein Euro-Münzset und ein Grundgesetz in Miniaturformat (Claudia Roth), und die Frucht einer Platane (Maren Brakebusch, Vogt Landschaftsarchitekten). Dann schließt Polier Andreas Baeskow die Kapsel und das Protokoll folgt seinem Ablauf. Claudia Roth, Gero Dimter und Klaus Biesenbachs Segenssprüche wirken hoffentlich wie Zauberformeln, die einen inspirierenden, lebendigen, verbindenden und offenen Museumsneubau manifestieren. Der aktivierte Grundstein schwebt zu künstlerischen Klängen in die Grube. 2027 soll Eröffnung sein, vorher wird aber natürlich Richtfest gefeiert.