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Wie klingt Soft-Brutalismus?

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Damit hätte wohl kaum jemand gerechnet: Die Anrainer des als graue Architekturöde verschrienem Kulturforum laden zum „Tag im Grünen“. In den eher unbekannten Gärten von Philharmonie, Neuer Nationalgalerie, Staatsbibliothek oder in den Sammlungen von Kunstbibliothek, Kupferstichkabinett und Gemäldegalerie, sowie auf dem Vorplatz der St. Matthäus-Kirche und der gesperrten Sigismundstraße zeigt sich das Kulturforum bei musikalischen, kulinarischen und künstlerischen Darbietungen von unentdeckter grüner Seite. Mit dabei ist natürlich auch das Kunstgewerbemuseum. Kuratorin Claudia Banz erzählt, was hier beim „Tag im Grünen“ zu erwarten ist.

Kommenden Sonntag (4. September) werden die Gärten des Kulturforums entdeckt – natürlich auch im Kunstgewerbemuseum, wo es zwei Performances geben wird. Was hat es damit auf sich?

Claudia Banz: Die Innengärten des Kunstgewerbemuseums sind etwas sehr Besonderes – auch weil sie sich in das ursprüngliche Gesamtkonzept des Architekten Rolf Gutbrod einfügen, nämlich die Architektur als Landschaft aufzufassen. Ihm ging es darum, fließende Räume des Innen und Außen miteinander zu verschmelzen. Es ist eine großartige Chance, dass wir jetzt im Rahmen dieses schönen Kooperationsprojektes endlich einmal unseren großen Innenhof bespielen können. Das Kunstgewerbemuseum hat nämlich zwei Innenhöfe, und der große Innenhof war während der letzten Jahre eigentlich nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Dort gibt es beim „Tag im Grünen“ nun eine Klangperformance von Arnold Dreyblatt, einem New Yorker Komponisten und Künstler. Ich hatte schon öfter die Idee gehabt, die softbrutalistische Architektur des Hauses zum Klingen zu bringen, und nun versucht Dreyblatt, das klangliche Äquivalent dazu zu finden. Er hat unter anderem bei John Cage und La Monte Young studiert, ist also in der Minimal Music unterwegs. Da darf man sehr gespannt sein, weil er diese Klangperformance individuell auf unser Haus abstimmt.

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Softbrutalistische Architektur von Rolf Gutbrod: Das Treppenhaus des Kunstgewerbemuseums © SPK/Benne Ochs

Im kleineren Innenhof gibt es ein zweites Projekt. Dieser Ort ist übrigens nicht ganz so „unentdeckt“, den konnte ich schon im Rahmen der Food Revolution 5.0 - Ausstellung 2018 aktivieren. Damals ging es um Nahrung als wichtiges Material, das gestaltet werden kann – also sehr passend zum Ort, da das Kunstgewerbemuseum sich ja mit vielen verschiedenen Materialien von Holz über Glas zu Porzellan etc. beschäftigt. Und auch hier geht es um die Verbindung von Natur, Architektur, Design bzw. Gestaltung. Chmara.rosinke, ein Designstudio, dessen Gründer*innen ursprünglich aus Polen kommen, in Wien studiert haben und jetzt in Berlin leben und arbeiten, werden hier eine Foodperformance veranstalten. Sie setzen sich intensiv mit dem komplexen Thema „Küche“ auseinander und damit, wie Nahrung als eine Art sozialer Kitt funktioniert.

Chmara.rosinke haben für ihre Performances u.a. die „Mobile Gastfreundschaft“ entwickelt, eine Art fahrbare Küche inclusive Tisch und Hocker, mit der sie um die Welt gezogen sind und bei der Food Revolution 5.0 auch Station im Kunstgewerbemuseum Berlin gemacht haben. Wir konnten übrigens auch eine Version der „Mobilen Gastfreundschaft“ für die Sammlung ankaufen, die am Sonntag wieder zum Einsatz kommen wird. Beim „Tag im Grünen“ liegt der Fokus auf einem unserer wichtigsten Nahrungsmittel, nämlich Brot. Maceij Chmara forscht zu diesem Thema und schreibt darüber seine Design-Dissertation. Sauerteig oder Fermentation stehen ja auch schon länger im Fokus des Food-Designs. Schlicht runtergebrochen geht es am Sonntag um „gemeinsames Essen draußen im Garten bzw. im öffentlichen Raum“ und „Essen als Designprozess und Designobjekt“.

Der kleine Innengarten wurde bei der Food-Ausstellung aktiviert, der große öffnet für dieses Festival das erste Mal seit rund 30 Jahren. Was passierte dort sonst?

Banz: Der große Garten wurde wohl ab und an in grauer Vorzeit für Eröffnungen genutzt. Eigentlich bietet er ein tolles Potential, um ihn zu bespielen. Das Thema „Garten“ ist ja auch ein vielschichtiges Gestaltungsthema. Perspektivisch wird jetzt hoffentlich dadurch, dass wir den Innenhof ein bisschen ertüchtigen, ein Impuls dafür gegeben, hier wieder mehr realisieren zu können. Die nächste Eröffnung des Design-Lab #12 am 28. September wird auch im großen Innenhof stattfinden. Es ist einfach ein spannender Ort.

Übrigens hat das Kunstgewerbemuseum viele Orte, die aus verschiedensten Gründen vernachlässigt wurden und die man wiederentdecken kann und wiederentdecken sollte. Das Festival am Sonntag ist ein toller Kontext, diese wiederzubeleben.

Mann mit einem Stand
Gedeckte Tafel und Menschen im grünen Innenhof eines brutalistischen Baus
Die Ausstellung "Food Revolution 5.0" im kleinen Innenhof des Kunstgewerbemuseums © KGM / Kai von Kotze
Screenshot einer Frau in gemusterter Bluse
Kuratorin Claudia Banz © privat

Nach „Utopie Kulturforum“ im vergangenen Jahr ist der „Tag im Grünen“ eine weitere Kooperation der Kulturforumsanrainer zur Belebung des Ortes. Gibt es jetzt schon Überlegungen für weitere gemeinsame Aktivitäten?

Banz: Ich weiß nicht, ob bereits weitere Kooperationen geplant sind, aber ich fände das natürlich  großartig, weil das eine sehr gute Möglichkeit bietet, mit dem ganzen Thema „Problemort“ Kulturforum eher leicht und ein bisschen spielerisch umzugehen. Das ist ja ein Thema, das uns Anrainer alle umtreibt: wie können wir das Kulturforum beliebter machen? Und auch sichtbarer, erfahrbarer? Wie als Kulturforum in der Berliner Stadtgesellschaft verankern?

Da sind diese Projekte natürlich fantastische Startpunkte und ich würde es gut finden, wenn wir uns vornehmen könnten, jedes Jahr unter einem neuen Motto gemeinsam konzertiert etwas zu machen. Wenn das zu einer Reihe ausgebaut und verstetigt würde, wäre das doch eine schöne Perspektive.

Was gibt es noch für Wege, das Kulturforum „zu heilen“, wie es ja immer gefordert wird?

Vielleicht sollte man noch stärker über die Nachhaltigkeit des Ortes nachdenken. Wie wäre es,  „grüner“ zu werden und die Natur vom Tiergarten „rüber zu ziehen“, statt weiter zu versiegeln. Ich könnte mir auch beim Kunstgewerbemuseum einiges vorstellen: von urban gardening auf dem Dach und Solarzellen, einer Roof-top-Bar über grüne Fassaden zu vertical farming. Das sind wichtige Themen, mit denen man Impulse aussenden kann. Der Aufhänger des Kulturfestes am Sonntag, nämlich dass man das „Grüne“ am Kulturforum eigentlich nicht vermutet, ist ein Potential, das man weiter ausschöpfen sollte. Das war im Übrigen auch der Ursprungsgedanke von Rolf Gutbrod, der hier nämlich eine Art Parklandschaft geplant hatte. Sein mittlerweile über 90jähriger Assistent hat bei der Food-Eröffnung, bei der wir ja die Piazzetta mit 50 Apfelbäumen bespielt haben, erzählt, das Gutbrod die heutige Piazzetta ganz ursprünglich als eine Art Park oder Garten gedacht hatte, in dem man auf gewundenen Pfaden zu den Eingängen der Museen gelangt. Um dann über eine breite Freitreppe rüber in den Tiergarten zu lustwandeln. Die Pfeiler auf einer unserer Außenterrassen sind die traurigen Reste dieser großartigen Idee. Das Zusammenspiel von Architektur und Natur oder das social green weiterzudenken, die co-produktive Arbeit an einer neuen Platzkultur, das wären doch auch lohnenswerte Perspektiven für das Kulturforum.


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