Eine Verteidigung auch der kulturellen Heimat

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Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde die Ausstellung „Von Odesa nach Berlin. Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts“ in der Gemäldegalerie eröffnet

Eine ungewöhnliche Ausstellung wird derzeit in der Gemäldegalerie präsentiert, denn der überwiegende Teil der Exponate sind Leihgaben aus einem einzigen Museum und dieses befindet sich überdies in einem Land, in dem sie nicht sicher wären. „Von Odesa nach Berlin. Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts“ zeigt Werke aus dem Museum für Westliche und Östliche Kunst in Odesa, der Hafenstadt am Schwarzen Meer (in Anlehnung an die ukrainische Schreibweise mit einem „s“).

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 gibt es dort gravierende Schäden an der Infrastruktur, an öffentlichen wie privaten Gebäuden. Im Juli 2023 wurde die orthodoxe Verklärungskathedrale in der Altstadt von Odesa bei Luftangriffen schwer getroffen. Wie eindeutig zu erkennen war und ist, wird dieser Krieg nicht nur gegen ein Land und dessen Menschen geführt, sondern auch gegen deren kulturelle Identität. Und so war das Museum in akuter Gefahr, zumal schon ganz in der Nähe eine Rakete eingeschlagen hatte.

Personen betrachten Gemälde im Museum
Blick in die Ausstellung. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker
Person betrachtet Gemälde im Museum
Blick in die Ausstellung. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker
Personen betrachten Gemälde im Museum
Blick in die Ausstellung. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker

Da ist es gut, wenn man Nachbar*innen hat, die in der Not mit Solidarität und Hilfsbereitschaft reagieren. Dazu zählen die Bundesrepublik Deutschland und ihr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der die Schirmherrschaft für diese Ausstellung übernommen hat. Beim großen Festakt zur Eröffnung äußerte er sich als Kunstliebhaber wie als demokratischer Zeitgenosse zur russischen Kriegsstrategie: „In zahllosen ukrainischen Städten wurden und werden in diesem Krieg Baudenkmäler beschädigt, Kultureinrichtungen zerstört, Kunstwerke geraubt. Die Angriffe auf Museen, Theater, Opern und Bibliotheken zielen darauf ab, das kulturelle Gedächtnis der Ukraine auszulöschen.“ Insofern würden die Ukrainer*innen im Namen der Heimat außer ihrem Land auch ihre Kultur verteidigen. Er wünsche sich, dass die Bilder aus Berlin bald wieder dorthin zurückkehren können, wohin sie gehören – „in das Museum für Westliche und Östliche Kunst in Odesa, in eine freie und unabhängige Ukraine, in der sich niemand mehr vor Bomben und Raketen fürchten muss“.

Person spricht auf Bühne
Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker
Zwei Personen betrachten ein Gemälde
Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender beim Rundgang durch die Ausstellung. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker

Ohne Rahmen fliehen die Bilder vor den Raketen

So ist es einerseits eine wahre Freude, die Gemälde hier sehen zu können, meinte Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, und zugleich ein Anlass zur Trauer, steckt doch der Krieg dahinter. Aber vor Ort herrsche trotz der permanenten Angriffe mutige Entschlossenheit vor, die man nicht hoch genug rühmen könne: „Wenn die Menschen in der Ukraine die Freiheit und die Vielfalt der Kunst verteidigen, tun sie das auch für uns!“ Roths Ministerium hat die Ausstellung mit 900.000 Euro unterstützt, denn die Bilder mussten konservatorisch betreut, restauriert und neu gerahmt werden. Die Mitarbeiter*innen in Odesa hatten sie nämlich aus ihren ursprünglichen Rahmen gelöst, um Platz in den Transportkisten zu sparen. Die 60 Bilder, die nun in der Gemäldegalerie hängen, kann man entsprechend leicht von den 25 Werken unterscheiden, die aus den Berliner Sammlungen stammen. Die „Gäste“ haben schlichte, dunkle Holzrahmen, die „Gastgeber“ meist historisch-dekorative.

Personen im Gespräch
Dagmar Hirschfelder (li.) im Gespräch mit Claudia Roth und Ihor Poronyk (re.). Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker
Frau spricht auf Bühne
Claudia Roth bei der Eröffnung. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker

Dass die Bilder der Welt präsentiert werden können und nicht in einem Depot verstaut bleiben, lobte später Mykola Tochytskyi, der Minister für Kultur und strategische Kommunikation der Ukraine, der eigens zur Ausstellungseröffnung angereist war: „Obwohl Kunst nicht imstande ist, den Feind abzuschrecken oder Angriffe zu verhindern, hat sie zweifelsohne eine andere, starke Kraft. Ereignisse wie dieses zeigen, dass unser Sieg nicht in der fernen Zukunft liegt. Der Sieg ist nichts Hypothetisches. Er hat bereits stattgefunden, und findet jeden Tag statt.“

Glauben Sie mir, wenn Sie aus der Ausstellung herauskommen, tragen Sie ein Stück Ukraine im Herzen!

SPK-Präsident Hermann Parzinger

Ausschlaggebend für die kühne Rettung der Bilder aus Odesa war die unerschrockene Initiative von Ihor Poronyk, dem Direktor des Odesa Museums. Er sorgte gleich nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges dafür, dass sie von den Wänden genommen, verpackt und in ein ukrainisches Notlager geschickt wurden. Dort waren sie allerdings höchst prekär untergebracht, Schäden waren zu befürchten.

Also wandte sich Ihor Poronyk hilfesuchend an die Staatlichen Museen zu Berlin, wohin es gute Kontakte gab. Man vereinbarte, die zwischengelagerten Kunstwerke nach Berlin zu evakuieren und als deutsch-ukrainisches Kooperationsprojekt zwischen Odesa Museum, Gemäldegalerie und Alter Nationalgalerie auszustellen. Deshalb wurden 74 Werke im September 2023 aus der Ukraine nach Berlin transportiert. Es handelte sich dabei um Werke europäischer Maler wie Andreas Achenbach, Francesco Granacci, Frans Hals, Cornelis de Heem, Roelant Savery, Bernardo Strozzi, Alessandro Magnasco und Frits Thaulow. Im Mai 2024 trafen noch zwei Evangelisten-Darstellungen von Frans Hals ein, die nach Vilnius ausgeliehen worden waren.

Menschen betrachten Gemälde im Museum
Blick in die Ausstellung. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker
Personen betrachten Gemälde im Museum
Blick in die Ausstellung. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker

Die Bilder sprechen miteinander und mit uns

Von den vielen Berührungspunkten in den Sammlungen war selbst Dagmar Hirschfelder überrascht. Die Direktorin der Gemäldegalerie, die zusammen mit Sabine Lata die Ausstellung kuratiert hat, warf in diesem Zusammenhang die Frage auf: „Können Bilder miteinander sprechen?“ Wenn es nach ihr geht, können sie es – und tun es exemplarisch in dieser Schau, die 60 Hauptwerke aus dem Odesa Museum mit 25 Arbeiten aus den Berliner Sammlungen in einen spannungsreichen Dialog bringt. Dieser stützt sich darauf, dass zahlreiche Künstler in beiden Sammlungen vertreten sind, es lassen sich Analogien in Motivik und Ikonographie konstatieren.

Zudem pflegten ukrainische Sammler*innen oft enge Verbindungen nach Westeuropa oder hatten ihre Wurzeln dort. Zum Beispiel ist aus Odesa und aus der Gemäldegalerie je ein zu unterschiedlichen Zeiten entstandenes Madonnen-Bild des italienischen Renaissance-Malers Francesco Granacci zu sehen. Sie spiegeln den künstlerischen Entwicklungsbogen und die diversen Einflüsse im Lauf seines Lebens.

Überhaupt gibt es wunderbare Entdeckungen zu machen, betonte gleichfalls Sabine Lata, bei der sich die Lieblingsbilder abwechselten, zu denen „Der Abend“ (um 1894/1898) des spätimpressionistischen norwegischen Malers Frits Thaulow zählte, der in Berliner Museen gar nicht vertreten ist.

In einem Podiumsgespräch unter der Leitung von Shelly Kupferberg tauschten sich Hirschfelder, Lata und Poronyk über die Ausstellung und ihre dramatische Entstehungsgeschichte aus. Es ging natürlich vorwiegend um Kunst – aber immer ging es auch um Politik. An diesem Abend ließ sich das eine nicht vom anderen trennen. Im Odesa Museum brennt weiter Licht, berichtete Poronyk, es werden kleine Projekte und Veranstaltungen durchgeführt, wie zuletzt mit altem Weihnachtsschmuck und Spielzeug, wovon vieles aus Deutschland stamme. Der Krieg halte die Beschäftigten nicht von ihrer Arbeit ab, „und alle glauben an den Sieg!“

So endete ein großer europäischer Abend in der Gemäldegalerie, der den Blick für diesen Kulturraum und zugleich für die Bedeutung der Kultur in guten wie in schlechten Zeiten schärfte. Darüber hinaus richtete sich die Aufmerksamkeit wieder auf unseren östlichen Nachbarn und dessen traditionelle Beziehungen in westliche Länder. Die Bilder sprechen nicht nur miteinander, sie sprechen auch mit uns. Oder, um es mit den Worten von Hermann Parzinger zu sagen, der als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Festakt eröffnet und das Publikum mit stolzer Freude angesprochen hatte: „Glauben Sie mir, wenn Sie aus der Ausstellung herauskommen, tragen Sie ein Stück Ukraine im Herzen!“

Personen stehen im Halbkreis im Museum
Ausstellungsrundgang mit u.a. Ihor Poronyk, Claudia Roth, Mykola Tochytskyi, Hermann Parzinger und Frank-Walter Steinmeier. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker
Blick von oben auf ein sitzendes Publikum
Ausstellungseröffnung am 23.1.2025. Foto: SPK, Gemäldegalerie / David von Becker

Von Odesa nach Berlin: Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts

24.01.2025 bis 22.06.2025
Gemäldegalerie, Kulturforum Berlin

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein bebilderter Ausstellungskatalog.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Medienkooperationen: ARTE, Klassik Radio, Monopol, Tagesspiegel, The Berliner, tipBerlin, Weltkunst

Eine Sonderpräsentation der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin in Kooperation mit dem Odesa Museum für Westliche und Östliche Kunst und der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin.

Ab Oktober ist die Schau im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg zu sehen.


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