Im Fokus 2022: SPK im Selbstversuch Teil 3: Kulturforum

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Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Reformfieber. Autonomie der Häuser, starker Verbund, Eigenverantwortung der Standorte. Das sind die Schlagworte, die in Papieren, Lenkungskreisen und Handlungsfeldern immer wieder aufscheinen. Aber geht es nicht um mehr? Kulturstaatsministerin Claudia Roth sieht es so: „Mit dieser grundlegenden Reform sollen die vielen Schätze der SPK noch besser  zum Leuchten gebracht werden und die verschiedenen Einrichtungen noch deutlich attraktiver werden für ein breites und auch internationales Publikum“. Aber wie und was leuchtet an den Standorten Museumsinsel, Kulturforum und Dahlem jetzt schon und wie attraktiv sind die Angebote für ein Millionenpublikum? 

Wir haben für den Jahresbericht 2022 Kulturkorrespondent*innen eingeladen, einen Tag lang Sehnsuchtsorte und Lieblingshäuser, Archiv, Bibliotheks- und Sammlungswelten zu durchstreifen. Vorgegeben haben wir wenig, wir wollten keine Hofberichterstattung, sondern Erkenntnis und Anregung. Jeder und jede sollte frei urteilen können. Die Bilder dazu stammen von Stefanie Manns, die sich allen drei Standorten fotografisch genähert hat.

Gemäldegalerie

Das Licht der Welt

Von Irene Bazinger

Wie er schaut und grinst, dieser Bengel, den der Maler Caravaggio auf seinem Gemälde Amor als Sieger (1602/03) festgehalten hat! Ein Schlingel, ein Schelm, ein Beelzebub der Lüste! Angesichts seiner erotischen Strahlkraft scheinen die Insignien weltlicher Macht – Musikinstrumente, Lorbeerkranz, Rüstungsteile – uninteressant, sie liegen lose auf dem Boden herum.

Wir kennen die Darstellung dieses raffiniert inszenierten Begehrens, sei es aus der Gemäldegalerie, aus Büchern, von Postkarten. Aber was sehen wir, wenn wir sehen – jenseits der individuellen Interpretation? Das hängt nicht nur davon ab, ob wir ausgeruht sind oder verschlafen, ob wir die richtige Brille dabei haben oder nicht, ob die Menschen neben uns entspannt sind oder nervös – es hängt auch davon ab, wie uns ein Kunstwerk präsentiert wird. Einfach ein Bild an einen Nagel hängen und einen Scheinwerfer darauf richten, hat noch nie ausgereicht. Mit der Erforschung des menschlichen Auges, der Wahrnehmungsweisen und mit dem Fortschritt in beleuchtungstechnischer Hinsicht hat sich gerade in diesem Bereich der Ausstellungsgestaltung sehr viel verändert. Wie ein Museum seine Schätze ins derzeit beste Licht rückt, kann man in der Gemäldegalerie am Kulturforum verfolgen.

Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns
Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns
Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns
Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns
Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns

Schon 2017 regte Michael Eissenhauer, der damalige Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, ein neues Beleuchtungssystem für dieses Haus an. Es dauerte eine Weile, bis eine überzeugende Lösung für das große Projekt gefunden war, weil der laufende Betrieb bloß marginal beeinträchtigt werden sollte. Immerhin waren 7.000 Quadratmeter Nutzungsfläche sowie die Lichtdecken auf den neuesten technischen Stand umzurüsten. Von mehreren Firmen, die sich mit dem schwierigen Thema beschäftigten, blieb schließlich eine übrig.
 
Inzwischen ist Dagmar Hirschfelder die Direktorin der Gemäldegalerie. Sie übernahm ihr Amt im November 2021, da hatte der erste Bauabschnitt gerade begonnen. Sie ist sehr zufrieden mit der Erneuerung der Beleuchtungstechnik, denn für die Präsentation einer der weltweit bedeutendsten Sammlungen Alter Meister sind die Ansprüche im Lauf der Zeit enorm gewachsen: „Das fängt bei den konservatorischen Kriterien an und betrifft außerdem ästhetische und ökologische Anforderungen“, erläutert sie. Die Werke müssen geschützt und zugleich gezeigt werden, sie sollen ins Licht der Öffentlichkeit, dabei aber keinen Schaden nehmen. Das ist der Spagat, den es hier zu bewältigen gilt.

Dem lange gepflegten Ideal des Tageslichtmuseums wird heutzutage kaum noch gehuldigt, da das natürliche Licht starken Schwankungen unterliegt, nur mit erheblichem Aufwand zu beherrschen respektive zu steuern ist und deshalb konservatorische Probleme mit sich bringt.

Insofern bestand eine der Herausforderungen bei der Neugestaltung darin, das Tageslicht in den Räumen zu reduzieren beziehungsweise auf ein festgelegtes Maß, einen bestimmten Lux-Wert, zu begrenzen. Zu diesem Zweck wurden und werden Spezialfolien auf die Oberlichter geklebt, die sowohl den Lichteinfall drosseln als auch einen Wärmeschutz bieten. Sie sorgen für eine kontinuierliche Minimalhelligkeit, die den Deckenbereich optisch auflockert. Behutsam wurde die vorhandene Bausubstanz so nach heutigen Kriterien modifiziert.

Die Besucher*innen sollen nicht über Licht reden, sondern über die Gemälde.

Olaf Adam, Lichtplaner

Ähnliches geschah in den Innenräumen, wo die neue Beleuchtung seit Oktober 2021 installiert wird. Der Lichtplaner Olaf Adam, in dessen Händen die komplexe Konzeption und deren Umsetzung liegt, sagt über seine Aufgabe: „Mein Team und ich sollten das Erscheinungsbild der Gemäldegalerie in seiner Sachlichkeit so bewahren, wie es das Architekturbüro Hilmer & Sattler und Albrecht entworfen hatte. Veränderungen des baulichen Bestandes wurden ausgeschlossen.“ 

Wie kann das klappen? Bescheiden definiert Olaf Adam diese Baumaßnahme in seiner Regie als dienende Unterstützung: „Die Besucher*innen sollen nicht über Licht reden, sondern über die Gemälde.“ Dafür versucht er, die besten Rahmenbedingungen zu schaffen. Also wurden die bisher genutzten Leuchtstoffröhren durch LED-Leuchten ersetzt, die heute State of the Art sind. Sie sind energiesparend, langlebig, stufenlos dimmbar – und geben ein neutrales, gleichmäßiges Licht. 

Angebracht wurden sie unsichtbar auf den Gesimsen der Vouten, dem Ansatz der gewölbten Bereiche zwischen Wand und Decke. Sie strahlen nach oben und tauchen den Raum darunter in eine angenehme, indirekte Helligkeit. An den Decken wurden Stromschienen befestigt. Die dort eingesetzten Strahler heben die Gemälde hervor – nicht dramatisch wie bei einem Scheinwerfer in der Nacht, sondern fast unmerklich, aber sehr wirksam.

„Es war nicht absehbar, dass die Ausleuchtung der Vouten so perfekt gelingen würde“, sagt Olaf Adam zufrieden, und Dagmar Hirschfelder ist glücklich: „Durch die bisherige Beleuchtung entstand der Eindruck, dass die Bilder in der Wand versinken, weil Decke und Boden heller waren als die Wände. Das ist nun anders. Im neuen Licht fangen die Werke an zu leuchten und können ihre Tiefenwirkung entfalten. Man kann die Konturen und die Details auch in den dunklen Partien besser erkennen, alles wird plastischer. Es ist fantastisch, dass wir dem Publikum jetzt dieses neue Seherlebnis ermöglichen können.“

Im neuen Licht fangen die Werke an zu leuchten und können ihre Tiefenwirkung entfalten

Dagmar Hirschfelder, Direktorin der Gemäldegalerie

Sehen und gesehen werden: Einfach zu haben ist so ein technischer Quantensprung freilich nicht, die Leuchten in den Gesimsen etwa sind eine Sonderanfertigung für die Gemäldegalerie. Jede von ihnen wird per Hand einzeln ausgerichtet und eingestellt, um die Meisterwerke von Rembrandt oder van Eyck, von Vermeer oder Botticelli, von Tizian oder Dürer so zur Geltung zu bringen, dass die Betrachter*innen den höchsten Schauwert haben.
„Es muss zum Beispiel beachtet werden, dass es keine zu starken Verschattungen an den Rahmen gibt“, betont Dagmar Hirschfelder: „Das ist eine Wissenschaft für sich.“ Die Möglichkeiten der flexiblen wie unkomplizierten Lichtregulierung erlauben es, nun auch besonders empfindliche Exponate wie Graphiken auf Papier zu zeigen und die Ansprüche von Leihgebern erfüllen zu können – wenn 50 Lux gewünscht sind, können diese per Knopfdruck justiert werden.

Dieses innovative Lichtkonzept ist eine Investition in die Zukunft, das sich überdies in Sachen Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Energiepolitik auswirkt. Denn durch die Abdunkelung der Oberlichter und die Reduktion des eindringenden Tageslichts sinkt die Wärmelast im Gebäude, das tut Mensch und Objekt gut und drosselt die Arbeit der Klimaanlage.

Im Unterschied zur Dauerausstellung werden in der Wandelhalle andere Akzente gesetzt, erklärt Hirschfelder: „Hier im Herzen der Gemäldegalerie finden die Sonderausstellungen statt. Sie werden bewusst anders inszeniert und haben eine andere ästhetische Anmutung. Das ist unser konzeptioneller Ansatz und das erwarten die Besucher*innen auch von uns.“

So reagiert die Gemäldegalerie auf den aktuellen Kenntnisstand in Bezug auf unsere optische Wahrnehmung und auf die konservatorischen Aspekte, für die sich eine gesteigerte Sensibilität entwickelt hat: Sie geht mit der Zeit, um die Werke sicher durch die Zeit zu geleiten. Im Herbst soll alles fertig sein, dann wird das neue Beleuchtungssystem anlässlich des Jubiläumsfestes zum 25-jährigen Bestehen der Gemäldegalerie am Kulturforum eingeweiht. Freuen wir uns darauf mit Caravaggios Amor: Es wird viel zu sehen geben!

Kunstgewerbemuseum

In den Gängen 

Von Jackie Asadolahzadeh 

Über den Platz am Kulturforum laufend hätte ich das älteste Museum des Landes fast übersehen. Die großen, roten Druckbuchstaben über dem Eingang des Kunstgewerbemuseums sind meine Rettung. Sie wurden während der Umbauten 2014 dem brutalistischen Stahlbetonbau von Rolf Gutbrod hinzugefügt – genau wie die neu gestalteten Kabinette der Modegalerie, welche 2003 eine der weltweit bedeutendsten historischen Privatsammlungen von Martin Kamer und Wolfgang Ruf erwerben konnte, darunter Exponate von Cristobal Balenciaga, Elsa Schiaparelli und Christian Dior.

Eilig nehme ich die Stufen hinauf zum Foyer, trete an die Kasse. Es ist mein erster Besuch und er beginnt mit einem Déjàvu. „So kommen Sie hier nicht rein!“ sagt die Mitarbeiterin freundlich aber bestimmt. Dabei ist ihr Blick auf mein Stativ gerichtet. Fotografieren ist im Museum untersagt. „Aber ich bin angemeldet! Ich stehe auf der Liste!“, sprudeln die Sätze heraus, die so ähnlich aus meiner Zeit als Nachtlebenreporterin gefallen sein könnten, undercover vor der Tür eines frühen Technoclubs der 1990er Jahre. 

Nach kurzem Telefonat lässt man mich passieren. Mantel und Tasche verstaue ich in einem der Garderobenschließfächer und begebe mich, den roten Buchstaben folgend, auf meine Reise durch die Modegeschichte. Die Wände links und rechts der Korridore sind schwarz, der Blick richtet sich wie von selbst zum Licht der großen, indirekt beleuchteten Vitrinen. Das Dunkel der Gänge wirkt anziehend, immer weiter möchte man vordringen in diese Welt, die mit ihrem Bruch ganz typisch für Berlin ist: inmitten kalten Betons offenbart sich in der Geborgenheit der Dunkelheit, Schillerndes in allen Formen und Variationen. Ähnlich, wie in den authentischen Nachtclubs in unterirdischen Gebäuden weiß man nie, was einem beim nächsten Lichteinfall oder am Ende eines Ganges erwartetet.

In meinem Fall ist es die gut gelaunte Katrin Lindemann, die im Haus seit 2020 als Kuratorin für Mode, Textil und Schmuck zuständig ist und mit mir den Rundgang bei historischen Kostümen aus dem 18. Jahrhundert startet. Wir sind verabredet, um Strategien der Inszenierung an ausgestellten Objekten zu erforschen. Frau Lindemann wird direkt fündig. An einer Robe à la Française aus kostbaren Seidengewebe, einem höfischen Ballkleid aus dem 18. Jahrhundert mit Rokokotypisch weitschwingendem Hüftrock, wurde unter dem Manteau, dem Überkleid mit detailreich verarbeiteten Stickereien, mehreren Lagen Rüschen und glitzernden Metallgespinnstfäden, ein Rock aus überraschend schlichtem Gewebe getragen. 

An der einsehbaren Stelle unterhalb des Steckers, einem Bestandteil des geschnürten Mieders, der das Dekolleté in jener Epoche so ausladend formte, wurde lediglich eine einzelne Bahn mit kostbarem Stoff verarbeitet. Die Opulenz endet, wo Blicke nicht mehr hingelangen. Ob der Grund dafür der Versuch einer Kosteneinsparung war oder es um mehr Komfort für die Trägerin ging, darüber kann nur spekuliert werden. Die übergeordneten Prioritäten lassen sich indes mit einem Zitat Vivienne Westwoods zusammenfassen: „Alle Mode handelt davon, dass man früher oder später nackt ist“.

Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns
Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns
Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns
Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns
Am Berliner Kulturforum gibt es Architekturikonen wie die Neue Nationalgalerie oder das Kunstgewerbemuseum mit seiner Modesammlung © Stefanie Manns

Dabei wurde die kabinettspezifische Beleuchtung nicht etwa für meinen persönlichen 90er-Jahre- Club-Flashback installiert, sondern dient dem Erhalt der historischen Textilien. In den Vitrinen vor Staub und Temperaturschwankungen geschützt, werden die lichtempfindlichen Materialien bei gleichbleibenden 50 Lux nur indirekt beleuchtet. Zusätzlich werden im Archiv des Hauses Exponate in säurefreien, lichtundurchlässigen Kartons gelagert. Die aufwendige, teilweise sehr leidenschaftliche Arbeit des Restaurator*innen-Teams wird in einem separaten Raum der Ausstellung in einem Film dokumentiert.

Beim Flanieren fällt auf, dass die Kostüme selbst ohne größere Geschichtskenntnisse lesbar sind. Deutlich erkennbar sind Zäsuren nach überstandenen Kriegen, durch gesellschaftliche Umbrüche, technische oder industrielle Revolutionen, die immer mit einer radikal veränderten Modeästhetik einhergingen, wie nach der Französischen Revolution im Jahr 1789. Das Korsett, bis dahin unverzichtbarer Bestandteil weiblicher Garderobe, verschwand für eine kurze und schnelllebige Epoche – was das für ein Durchatmen in der Gesellschaft gewesen sein muss! Lockere Schnitte, wie das ausgestellte, aus feinfädiger Baumwolle bestehende und unter der Brust gebundene Chemisenkleid (1795 – 1800) hielten Einzug.

Der hierfür vermutlich in Indien für den europäischen Markt hergestellte Baumwollmusselin ersetzte zu jener Zeit immer häufiger die Seide. Dessen Siegeszug ließ sich nicht einmal durch Napoleon stoppen, wie Katrin Lindemann berichtet. Um den Niedergang der Seidenwebereien im französischen Lyon zu verhindern, verbot er zeitweise sogar das Tragen von Baumwolle am französischen Hof – mit mäßigem Erfolg. Die eigene Gattin, Joséphine de Beauharnais, ließ es sich nicht nehmen, die Kleider im angesagten Material zu tragen.

Bei den Exponaten aus den 1940er Jahren wird der Krieg gegenwärtig. In einer Zeit, in der nur noch wenige Couture-Häuser ihren Betrieb aufrechterhielten, Designer*innen wie Elsa Schiaparelli aus Paris fliehen mussten, verschwanden auch die bunten Farben. Das Lebensgefühl spiegelte sich in strengen und zurückhaltenden Kollektionen mit militärischen Anleihen wieder: Kostüme und Mäntel mit geraden Schultern, Gürteln und steifen Kragen – Kleidung, die im Angesicht einer Zeitenwende in Europa, nachdenklich stimmt.

Völlig gegensätzlich dazu die Vitrine mit präsentierter Haute Couture der 1960er Jahre. Man kann die Energie förmlich spüren, welche die Designer*innen beflügelt haben musste, deren Kollektionen erstmals nicht mehr von einer Elite, sondern von jungen Menschen auf der Straße inspiriert wurden. Kleidung im Farbenrausch, darunter Moderevolutionäre Stücke, wie die erste Damenhose von Giovanna Ferragamo in der Abendmode, sind hier ausgestellt.

Moderevolutionäre Stücke, wie die erste Damenhose von Giovanna Ferragamo in der Abendmode, sind hier ausgestellt.

Dabei sind sämtliche Objekte, darauf weist Frau Lindemann hin, stets einer privilegierten Klasse zuzuordnen. Textilien, beispielsweise einfacher Bäuer*innen vergangener Jahrhunderte, findet man nicht im Museum. Der Grund: Kleidung wurde in den breiten Bevölkerungsschichten so lange getragen, bis sie nicht mehr reparierbar war, den Träger*innen sprichwörtlich vom Leib fiel. Gut erhaltene Exponate gelten daher als Raritäten. Die Folgen einer heute kaum noch vorstellbaren Armut überwiegender Teile der Bevölkerung, reichen bis in die Modegeschichtliche Dokumentation. Sie bleiben unsichtbar.

Wie Schmucktrends in Kriegszeiten funktionieren, kann man an ausgestellten Halsketten und Ringen aus dem Jahr 1836 nachvollziehen. Als Prinzessin Marianne von Preußen dazu aufrief, die Kriegskasse aufzubessern und hierfür Goldschmuck zu spenden, folgten dem Aufruf viele Damen der gehobenen Gesellschaft. Im Gegenzug erhielten sie Eisenschmuckstücke, die zu It-Pieces für Patriotinnen wurden. „Gold gab ich für Eisen“ war der Werbespruch dieser Zeit.

Immer wieder fallen die Hilfsmittel ins Auge, die zur Inszenierung der Weiblichkeit eingesetzt wurden: die runden oder ovalen Krinolinen des 18. Jahrhunderts – zuerst noch aus schwerem Rosshaar, später aus Federstahlbändern zur Betonung der Taille und der Hüften, oder die beinahe waagerecht oberhalb des Gesäßes abstehenden Tornüre, dem „Cul de Paris“, am formellen Hauskleid aus dunklem Samt von Charles Frederick Worth von 1882, welches das Gesäß fast ins Groteske überzeichnete.

Dabei lässt die Präsentation an minimalistischen Figurinen genügend Raum für eigene Gedanken und Schlüsse, auch eine Gegenüberstellung ins hier und jetzt. Modeästhetische Ausschmückungen werden nicht mehr äußerlich, wie einst mit Tornüre, sondern inzwischen am Körper selbst, direkt unter der Haut, vorgenommen. Körpermodifikationen, wie der „Butt-Lift“, eine der risikoreichsten Schönheitseingriffe zur Vergrößerung des Gesäßes, boomen. Eingriffe für einen perfektionierten Busen, die je nach Trend in den letzten Jahrzehnten mit mehr oder weniger Volumen vorgenommen wurden, machen Dekolletés-formende Korsagen verzichtbar.

Die Welt der Haute Couture ist nun auch einer breiten Masse zugänglich. Wer möchte, kann sich seinen personalisierten Avatar von Balenciaga oder Prada im virtuellen Designershop, für um die 200 Euro, ausstatten lassen. Die Umbrüche unserer Zeit zeichnen sich in widersprüchlichen Strömungen ab, wobei Teile der Gesellschaft ein modisches Doppelleben führen. Die idealisierte Version des eigenen Ichs wird bei Tiktok und Instagram in Bekleidung globaler Ultrafast-Fashion- Konzerne inszeniert, während Offline, im Angesicht von Pandemie, Rohstoff- und Umweltkrisen, die Ermüdung der eigenen Existenz zunimmt, sich ein gefühlter Jogginghosenstatus chronifiziert.

Dabei scheint die modische Inszenierung durchlässiger denn je, bereit zur Enttarnung als Mensch in einer zunehmend von Depressionen geprägten Gesellschaft, in der die Psychotherapie als Standard Einzug hielt. Wohin wird der Weg uns führen?

Nur zu gern würde ich mich weiter, im grünen Innenhof in der Abendsonne sitzend, mit Katrin Lindemann und Museumsbesucher*innen austauschen. Doch das potentielle Herzstück des Gebäudes muss aus Baugründen verschlossen bleiben. So führt uns der Weg zurück zum Eingang, für ein letztes Foto vor die großen, roten Druckbuchstaben des Museums.


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