Ein Ort, drei Nachbarn: Andrea Zietzschmann, Hannes Langbein und Hermann Parzinger reden über Vergangenheit und Zukunft einer einzigartigen Kulturadresse
Herr Langbein, als Direktor der Stiftung St. Matthäus zeigen Sie am Kulturforum moderne Kunst in einer Kirche von Friedrich August Stüler. Ist das an diesem „kunstsatten“ Ort nicht wie Eulen nach Athen tragen?
Hannes Langbein: Die Idee, hier Kunst mit religiösen Themen in einen Dialog zu bringen, lag im Kontext des Kulturforums in der Tat nahe. Die evangelische Kirche hat sich Mitte der 90er-Jahre Gedanken darum gemacht, was aus der schrumpfenden Kirchengemeinde hier im ehemaligen Tiergartenviertel werden könnte. Unabhängig davon haben Kunst und Religion ja eine enge Verbindung. Da machen wir lediglich etwas sichtbar.
Mit dem Blick nach vorn: SPK-Präsident Hermann Parzinger (li.), Philharmoniker-Intendantin Andrea Zietzschmann (Mitte) und Pfarrer Hannes Langbein vor der Philharmonie © Christoph Mack
Sie zeigen hier heute eine Reihe von ständigen Werken, präsentieren vor allem aber auch mehrmals im Jahr wechselnde Ausstellungen.
Hannes Langbein: Unsere Ausstellungen orientieren sich am Kirchenjahr. Im Schnitt sind es drei bis vier pro Jahr. Darüber hinaus organisieren wir auch Kooperationsprojekte mit den anderen Häusern am Kulturforum. Ganz aktuell das große Projekt „Utopie Kulturforum“ zur Geschichte des Kulturforums, das in Kooperation mit fast allen Nachbarn stattfindet und Ende August startet.
Zwischen Ihnen dreien gibt es also kurze Wege sowie ein großes Einverständnis?
Andrea Zietzschmann: Ich glaube, die Chemie zwischen uns stimmt. Alle haben wir eine offene Haltung gegenüber dem anderen.
Dennoch sind die Voraussetzungen verschieden. Während Herr Langbein mit der Stiftung St. Matthäus quasi ein kleines Schnellboot am Kulturforum vor Anker hat, lenkt Herr Parzinger mit acht Häusern vor Ort eine Art Tanker.
Hermann Parzinger: Nein, für mich ist das kein Tanker, eher ein Flottenverband. Die SPK ist eine große Organisation mit vielen einzelnen Häusern. Es gibt ein gemeinsames Band, aber jedes Haus hat seinen eigenen Verantwortlichen. Die Stiftung greift nicht in das operative Geschäft ihrer Einrichtungen ein.
Das, was Sie alle miteinander verbindet, sind architektonische Juwelen, die Sie am Kulturforum besitzen. Nach Stülers Kirche folgte in den 1960er-Jahren die Philharmonie von Hans Scharoun. Wie ist das für Sie, Frau Zietzschmann, wenn man ein so wunderbares Haus im metaphorischen wie architektonischen Sinn leiten darf?
Andrea Zietzschmann: Man lebt hier geradezu mit der Architektur. Das geht eigentlich allen Musikern und Gästen so, die in dieses Gebäude kommen. Vermutlich gibt es für jedes reisende Orchester Highlights: Ganz oben stehen die Philharmonie in Berlin und der Musikverein in Wien. Wie einzigartig unser Haus ist, sieht man schon daran, wie oft man versucht hat, diese Architektur an anderen Orten nachzuempfinden. Dieses Haus mit seinem Weinbergprinzip im großen Saal ist großzügig und unglaublich schön; die Nutzungsmöglichkeiten sind unendlich. Im Zentrum steht die Idee, die Gesellschaft um die Musik herum zu versammeln. Scharoun wollte ja das Kulturforum als lebendiges Areal gestalten.
Viele von Scharouns Ideen sind dennoch nie verwirklicht worden. So wollte er neben der Philharmonie ein Gästehaus für Künstler errichten. Wäre der Platz heute belebter, wenn man damals „den ganzen Scharoun“ realisiert hätte?
Andrea Zietzschmann: Wenn Sie das Unbelebte ansprechen, so denke ich, dass das in den letzten Jahren schon viel besser geworden ist. Es wird aber weiterhin wichtig sein, eine bessere Verbindung zum Tiergarten zu schaffen. Man flaniert dort und geht spazieren, aber man schafft nur selten den Weg hinüber über die Tiergartenstraße. Vielleicht braucht es eine Brücke.
Hannes Langbein: Eine solche Brücke war ja durchaus mal geplant – wie so vieles, was dann später nie realisiert worden ist.
Angedacht war in den 60er-Jahren eine Art Museumsinsel des Westens. Sie, Herr Parzinger, kennen die historische Museumsinsel in Mitte vermutlich am besten. Ist diese Vision hier je Realität geworden?
Hermann Parzinger: Damals ist hier direkt an der Mauer tatsächlich so etwas wie eine zweite Museumsinsel entstanden, wenn auch mit anderen Schwerpunkten. In Mitte war es vor allem die Archäologie. Hier am Kulturforum ging es um die Kunst von Mittelalter und Neuzeit und um die Moderne in ihren verschiedensten Ausprägungen. Man findet hier Malerei, Grafik, Kunstgewerbe, die Kunstbibliothek. Das ist ein grandioses Ensemble, eine wunderbare Ergänzung zur Museumsinsel.
Viele große Architekten haben hier gebaut. Die wichtigsten Protagonisten aber bleiben Scharoun und Mies van der Rohe. Wie wichtig sind deren Bauten heute für die Marke Ihrer jeweiligen Institutionen?
Andrea Zietzschmann: Für uns ist das Gebäude von Scharoun sehr wichtig. Natürlich hatte das Orchester auch zuvor bereits ein sehr großes Renommee. Das Gebäude aber hat noch mal einen ganz großen Schub nach vorn gebracht. Es war prägend für die Ära Herbert von Karajans, der hier seine großen Erfolge feierte. Das Haus ist und bleibt eine Ikone.
Hermann Parzinger: Das sehe ich für die Neue Nationalgalerie ähnlich. Für mich zählt sie zu den großartigsten Museumsgebäuden überhaupt. Wir sind am Kulturforum vom Glück geküsst. Die Architekten, die hier gebaut haben, haben Museum, Konzertsaal oder Bibliothek ganz neu gedacht. Man hat visionäre Ideen in Architektur umgesetzt. Das ist es, was diese Häuser bis heute so unglaublich stark und diesen Platz so besonders macht.
Liegt das Grandiose nicht auch in der Spannung – hier die nüchterne Architektur von Mies van der Rohe, dort das Verspielte und oftmals Schwebende von Scharoun?
Hermann Parzinger: Auf jeden Fall. Diese Spannung ist auch ein wesentlicher Aspekt für den Wettbewerb um das Museum des 20. Jahrhunderts gewesen. Es gab die beiden Bezugspunkte Mies und Scharoun. Ikonen ihrer Zeit. Gegensätzlicher kann man gar nicht denken. Zwischen diese Pole etwas Verbindendes, aber dennoch Eigenständiges zu setzen, das war die eigentliche Herausforderung des Wettbewerbs.
Hannes Langbein: Zugleich haben sich Herzog & de Meuron mit ihrem Entwurf durch Material und Farbgebung sehr auf die Architektur der Kirche bezogen. Ich glaube, die produktive Spannung des Kulturforums rührt auch aus den unterschiedlichen Zeitschichten. Hier ist ja eine Collage aus verschiedensten Ebenen entstanden: das alte Tiergartenviertel, die 60er, die 90er, die Gegenwart inklusive der Zerstörungsgeschichte durch Nationalsozialismus und Krieg. Das ist der eigentliche Reichtum dieses Areals. Die Hoffnung ist nun, dass sich das auch in der öffentlichen Wahrnehmung zusammenfügt.
Wo wir schon über Herzog & de Meuron reden: Sie, Frau Zietzschmann, haben die Kraft der Formsprache der Schweizer Architekten bereits während Ihrer Zeit an der Elbphilharmonie erlebt. Freuen Sie sich da schon besonders auf den neuen Nachbarn?
Andrea Zietzschmann: Mit der Elbphilharmonie haben Herzog & de Meuron eine fantastische Architektur geschaffen, die Hamburg als Musikstadt neu positioniert hat. Das Museum des 20. Jahrhunderts hat einer ganz anderen Herausforderung zu begegnen. Mich begeistert der Entwurf. Ich bin mir sicher, dass das ein großer Gewinn für das Areal werden wird.
Warum brauchte die Neue Nationalgalerie denn überhaupt ein neues Gebäude?
Hermann Parzinger: Die Sammlung der Neuen Nationalgalerie hat extreme Kriegsverluste zu verzeichnen. Gut 400 Werke sogenannter „entarteter Kunst“ haben die Nazis verbrannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man die Neue Nationalgalerie mit viel Engagement wiederaufgebaut.
Heute zählt sie wieder zu den größten und bedeutendsten Sammlungen des 20. Jahrhunderts, nur hat sie nicht ausreichend Platz. Dazu kamen in den letzten Jahren großartige Schenkungen, etwa die Sammlung von Ulla und Heiner Pietzsch, die die Schnittpunkte zwischen klassischer Moderne und Nachkriegsmoderne aufzeigt. Wir wollen am Kulturforum die Kunst des 20. Jahrhunderts zusammenbringen, das bedingt ein neues Gebäude. Mies und der Neubau, nur die beiden Häuser zusammen werden das letzte Jahrhundert erlebbar machen.
Einen Teil von dieser Idee wird man erleben können, wenn im August die Neue Nationalgalerie nach fünfjähriger Sanierungsarbeit wiedereröffnet.
Hannes Langbein: Ja, man spürt jetzt, dass das Kulturforum in Veränderung ist. Das neue Museum des 20. Jahrhunderts wird frühestens 2026 eröffnen. Aber man merkt, dass allein die Perspektive etwas in Bewegung bringt – auch zwischen uns Nachbarn. Darauf können wir uns freuen.
Hannes Langbein
Der heutige Direktor der Stiftung St. Matthäus studierte Theologie in Heidelberg Zürich, Princeton und Berlin. Im Anschluss war er Referent im Kulturbüro der EKD. Er absolvierte sein Vikariat an der St.-Nikolai-Gemeinde in Berlin-Spandau und war anschließend Pfarrer in Entsendung an der Stiftung St. Matthäus. Langbein ist auch Redakteur der Zeitschrift „kunst und kirche“.
Hermann Parzinger
Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist Prähistoriker. Bis heute leitet er Forschungsprojekte und veröffentlicht regelmäßig. Parzinger ist Träger zahlreicher Preise, darunter des Leibniz-Preises und des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste. Er ist Mitglied der British Academy, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Russischen Akademie der Wissenschaften und der American Philosophical Society.
Andrea Zietzschmann
Seit 2017 ist Andrea Zietzschmann Intendantin der Berliner Philharmoniker. Sie studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und VWL in Freiburg, Wien und Hamburg. 2003 kam sie als Orchestermanagerin zum Hessischen Rundfunk und wurde dort 2008 Musikchefin. 2013 wechselte sie nach Hamburg, um als Klangkörpermanagerin die Leitung der NDR-Klangkörper zu übernehmen.