„Es ist ein Teil der Geschichte – erzählen wir sie!“

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Zum Internationalen Tag der Provenienzforschung 2025 gewährte das Kupferstichkabinett einen Einblick in die eigene, sehr bewegte Sammlungsgeschichte. Dazu führten Kurator Andreas Schalhorn und Provenienzforscher Sven Haase vom Zentralarchiv durch die Ausstellung „Kosmos Blauer Reiter: Von Kandinsky bis Campendonk“ und teilten ihr Wissen über die Geschichten hinter den Bildern.

„Beim Blauen Reiter denken viele vielleicht an farbenfrohe Kandinsky- oder Macke-Poster in ihrer Zahnarztpraxis“ beginnt Kurator Andreas Schalhorn mit einem Schmunzeln seine Tour durch die Ausstellung „Kosmos Blauer Reiter“. „Weniger bekannt dürfte jedoch sein, dass sich auch in der Sammlung des Kupferstichkabinetts viele Werke dieser zu den bekanntesten Strömungen des 20. Jahrhunderts gehörenden Kunstrichtung befinden.“

Den etwas befremdlich anmutenden Namen verdankt der Blaue Reiter übrigens der Vorliebe seiner beiden Gründungsmitglieder Wassily Kandinsky und Franz Marc für Blau, Pferde und Reiter. 1912 erschien ein gleichnamiger Almanach, der programmatisch die engen Grenzen des damaligen Kunstverständnisses sprengen sollte. Im Vordergrund standen die fortschrittliche Malerei und Musik der Zeit – weitere Ausgaben zu anderen künstlerischen Disziplinen sollten nicht mehr erscheinen.

Auch wenn der Blaue Reiter sein Epizentrum in Oberbayern hatte, so schafften es auch das Berliner Kupferstichkabinett und besonders die Nationalgalerie (hier befand sich die Sammlung der Zeichnungen), ab den 1910er Jahren, eine beachtliche Sammlung aufzubauen – mit Werken von Berühmtheiten wie August Macke, Franz Marc und Else Lasker-Schüler. Leider – und hier setzt die Provenienzforschung ein – war das Sammlungsglück nur von kurzer Dauer. Denn die Künstler*innen des Blauen Reiters waren, wie viele andere Vertreter*innen der Moderne, Ziele der im Juni und Juli 1937 erfolgenden NS-Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“. Eine vom Nazi-Regime ernannte Kommission filzte sich damals durch alle musealen Sammlungen Deutschlands, um diese von unerwünschter, als „entartet“ klassifizierter Kunst zu „säubern“.

Es war eine gefährliche Zeit für das Kulturgut in deutschen Museen. Und dennoch: Unter dem Einsatz größten persönlichen Risikos gelang es zumindest einigen nicht systemkonformen Kustoden und Direktoren, Kunstwerke vor den Augen der Häscher – und damit dem Verlust – zu bewahren. Bisweilen mag der Zufall eine Rolle bei der Bewahrung von Kunstwerken gespielt haben, wenn sich die Kommission im Eiltempo – und deutlich überfordert –durch die teils unüberschaubar großen Moderne-Bestände von Häusern wie dem Berliner Kupferstichkabinett wälzte.

Provenienzforschung ist immer auch eine Auseinandersetzung mit persönlichen Schicksalen.

Es ist vor allem das mutige Engagement von Einzelpersonen wie dem Moderne-Kustos Willy Kurth am Berliner Kupferstichkabinett, das noch heute Bewunderung hervorruft. Und es sind auch tragische Lebensgeschichten wie die seines jüdischen Amtsvorgängers Curt Glaser, die berühren und eng mit dem Berliner Kupferstichkabinett verbunden sind. Sie sind von daher von besonderem Interesse für Forscher*innen wie Sven Haase.

Provenienzforschung ist dabei immer auch eine Auseinandersetzung mit persönlichen Schicksalen. Als Beispiel führen Andreas Schalhorn und Sven Haase den Galeristen Alfred Flechtheim an, der als einer der erfolgreichsten Kunsthändler des frühen 20. Jahrhunderts gilt – aber auch als tragische Figur. An ihm wird schmerzhaft deutlich, wie einschneidend die NS-Machtergreifung auch für persönliche Biografien in der deutschen Kunstwelt war. Während Flechtheim, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft und Assoziation mit der sogenannten „Entarteten Kunst“ früh zur Zielscheibe der Nazis wurde und das Land verlassen musste, verarmt in London starb, machte sein Mitbewerber Ferdinand Möller als sogenannter „Verwerter entarteter Kunst“ Karriere. Möller sollte die in Museen und Sammlungen beschlagnahmte Kunst gewinnbringend ins Ausland veräußern. „Hier hilft eine klare, analytische historische Betrachtung“, so Haase, „kein Schwarz-Weiß-Denken“. Denn auch wenn Möller im Dienst eines Unrechtsstaats operierte, so nutzte er doch seine Position, um Kunstwerke der Moderne durch Privatverkäufe an Bekannte und Selbsterwerbungen zu retten.

Trotz alledem verschwand ein beachtlicher Teil moderner Kunst aus den Sammlungen der Berliner Museen und mit ihr auch Kunstwerke des Blauen Reiters. Heute finden sie sich in Privatsammlungen wieder oder in großen Museen außerhalb Deutschlands. Was tun? Es ist ein moralisches Dilemma: Einerseits sind die Gründe, warum diese Kunstwerke in der NS-Zeit veräußert wurden, aus heutiger Sicht aufs Höchste fragwürdig. Andererseits geschah dies nach damals geltendendem Recht und kann somit juristisch nicht angefochten werden. Auch Sven Haase sieht es pragmatisch: Anstatt Zurückzufordern oder -zukaufen, sollten die Kunstwerke als mahnende Botschafter einer Zeit, in der Kunst aufs höchste politisiert wurde, dort verbleiben, wo sie heute sind – wenn es sich um öffentliche Sammlungen handelt. „Es ist ein wichtiger Teil der Geschichte – erzählen wir sie doch einfach!“

Es ist ein wichtiger Teil der Geschichte – erzählen wir sie doch einfach!

Sven Haase

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten neue Herausforderungen: Die verbliebene Moderne-Sammlung des Kupferstichkabinetts wurde durch die Teilung Berlins auseinandergerissen. Nun galt es an den Standorten in Ost und West, verlust- und kriegsbedingte Lücken aufzufüllen. Beide Museen blieben nicht untätig. Im Kupferstichkabinett Ost etwa bereicherte in den 1980er Jahren eine große Schenkung russischer Druckgrafiken durch Lothar Bolz, DDR-Minister für Auswärtige Angelegenheiten von 1953 bis 1965, den diffusen Sammlungskomplex zum Blauen Reiter um wichtige Facetten. Auch eigene Ankäufe waren – wie im Westteil der Stadt – nicht unüblich.

In der DDR kam es dabei zu Fällen der Enteignung. Und hier sind wieder die Provenienzforscher*innen der vom Zentralarchiv gefragt. Zur Veranschaulichung holt Sven Haase vor dem Franz-Marc-Holzschnitt „Tiger“ (1912) die Kopie eines alten Zeitungsartikels heraus. Der Artikel des Sächsischen Tageblatts vom 14. Oktober 1960 – also noch vor Mauerbau erschienen – schildert, wie ein westdeutscher „Besucher“ namens Hans Peters versuchte, das Erbe seiner verstorbenen Mutter aus der DDR auszuführen, darunter 57 grafische Arbeiten von Künstlergrößen wie Slevogt, Nolde oder Liebermann. Unter Verweis auf die strengen Ausfuhrbeschränkungen der DDR wurden die Kunstwerke umgehend beschlagnahmt und Peters für acht Monate inhaftiert. So gelangten die Grafiken wie der besagte Holzschnitt in Staatsbesitz und wurde 1961 vom Ministerium für Kultur dem Kupferstichkabinett Ost überwiesen, das damals im Alten Museum residierte.

Was die Provenienzforschung angeht, so liegt der politische und moralische Fokus der Museen klar in der Aufklärung unrechtmäßiger Enteignung in der NS-Zeit. Doch auch hinsichtlich der Klärung des DDR-Unrechts  sind die Provenienzforscher*innen darauf bedacht, dieses Themenfeld zu erörtern und eventuelle Erben ausfindig zu machen.

Es ist eine kleinteilige, dabei wichtige Arbeit, die oft schleierhafte und schemenhafte Provenienz von Werken – erschwert durch kriegsbedingte Verluste von Unterlagen – zu durchleuchten. Insbesondere in der Vorbereitung von Ausstellungen sind die Provenienzforscher*innen des Zentralarchivs die erste Adresse für die Kurator*innen der Staatlichen Museen. Eine enge Zusammenarbeit wie zwischen Andreas Schalhorn und Sven Haase ist dabei nicht nur hilfreich – sie macht auch die Geschichte hinter den Bildern lebendig.

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