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Sehen. Hören. Staunen.Audiovisuelle Neuheit am Musikinstrumenten-Museum

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So etwas wie das Sound & Vision Experience Lab des Staatlichen Instituts für Musikforschung (SIM) sieht man nicht alle Tage. Wie das Labor funktioniert und warum es uns auf ungewohnte Weise Einblicke in aktuelle Fragen der Musikforschung geben kann, das verraten die beiden Forscher hinter dem Projekt.

„Ich kaufe nur Schallplatten. Der Sound ist einfach besser.“ Wer hat diesen Satz noch nie gehört? Neuerdings sind sogar Kassetten wieder in. Nostalgie von Nerds oder ist da doch etwas Wahres dran? Wie gravierend sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Musikspeichermedien wirklich? Im Sound & Vision Experience Lab (kurz: SV_XL) im Untergeschoß des Musikinstrumenten-Museums  lässt sich das in Echtzeit vergleichen. Noch ist das Lab nicht öffentlich zugänglich. Das SPKmagazin macht vorab exklusiv die Hör- und Sehprobe und spricht mit den beiden Wissenschaftlern hinter dem geheimnisvollen Musiklabor: Michael Horn und Hans-Joachim Maempel.

 

Was kann das Sound & Vision Experience Lab?

Hans-Joachim Maempel: Das Labor soll Methoden und Erkenntnisse der Musikwissenschaft erlebbar machen. Es handelt sich dabei um einen eigenen Raum mit einem System für hochqualitative Audio- und Videowiedergabe, das auch 3D-fähig ist.

Michael Horn: Das System ist interaktiv: Man kann bei laufender Darbietung Einflussgrößen in Echtzeit verändern und deren auditive und visuelle Wirkung unmittelbar wahrnehmen. Das Ganze ist inhaltsoffen konzipiert, d.h. es sind Demonstrationen zu ganz verschiedenen Themen technisch möglich. Das Labor kann so auch für die Durchführung neuer Experimente verwendet werden, es hat also eine Doppelfunktion für Vermittlung und Forschung.

Abgedunkelter Raum mit Bildschirm und Bedienpult in Mitte, drumherum Lautsprecher

Das Sound & Vision Experience Lab am Staatlichen Institut für Musikforschung.

Foto: SPK / Killisch

Was war die Motivation hinter dem Projekt?

HJM: In der systematischen Musikwissenschaft, die sich auch mit Akustik und Musikwahrnehmung befasst, macht man häufig Experimente. Die Methoden und Ergebnisse solcher Untersuchungen sind Interessierten, die nicht vom Fach sind, durch Texte und Grafiken schwer zu vermitteln – auch weil viel Statistik im Spiel ist.

Kann man hingegen die Testreize selbst erleben, wird sofort und ohne viele Worte deutlich, welche Art von Reizen im Experiment verwendet werden, wie sie variiert werden und wie sie wirken können. Man erlebt sozusagen Forschungsmethode und -ergebnis.

MH: Den konkreten Anstoß gab ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Forschungsprojekt zur audiovisuellen Raumwahrnehmung für das wir mit einigem Aufwand den Virtuellen Konzertsaal geschaffen hatten. Darin kann man Musik und Sprache in Simulationen realer Konzerträume in 3D hören und sehen.

Weil das Simulationssystem bei Probanden wie Besuchenden viele Fragen und ein großes Interesse ausgelöst hatte, haben wir uns entschlossen, ein ähnliches System für die interessierte Öffentlichkeit aufzubauen. Bei der Errichtung des SV_XL konnten wir also auf die bestehende konzeptionelle und technische Erfahrung des Virtuellen Konzertsaals zurückgreifen.

 

Auf den ersten Blick wirkt das Set-Up wie die Schaltzentrale eines Raumschiffs: Im Zentrum befindet sich ein sogenanntes Hardware User Interface (HUI) – mit vielen beleuchteten Tasten, Drehknöpfen und Displays – über das die Demonstrationen bedient werden können. Ausgespielt wird das Ganze über eine komplexe Lautsprecheranordnung und einen Bildschirm mit 3D-Wiedergabefunktion.

Was macht die Bedienung des SV_XL so besonders und warum haben Sie sich gegen einen Touch Screen als Benutzeroberfläche entschieden?

HJM: Natürlich könnte man mit einem Touch Screen alles steuern, und das billig. Wir glauben aber, dass viele Leute von Touch Screens inzwischen ziemlich gelangweilt sind. Unser Anspruch einer Steuerkonsole, die in Design und Haptik einzigartig ist und einen Aufforderungscharakter für experimentelle Interaktion ausstrahlt, ist mit einem Touch Screen kaum zu erfüllen.

Aus bedienergonomischer Perspektive hat ein Touch Screen außerdem den für ein audiovisuelles Labor großen Nachteil, dass man die Bedienelemente darauf aktiv visuell suchen und finden muss. Die Besuchenden sollen sich dadurch aber nicht vom Blick auf das Großdisplay ablenken lassen, auf dem die optischen Demo-Inhalte dargestellt werden. Auch will man vielleicht für bestimmte Hörvergleiche die Augen schließen können.

Vorteilhaft sind daher klassische haptische Bedienelemente, deren Positionen festliegen und die man ertasten kann. Kategoriale Parameter (z.B. Musikstück) können mit Tasten, kontinuierliche Parameter (z.B. Entfernung oder Lautstärke) mit Drehgebern verändert werden.

Ein Proof of Concept mit einer gewissen Retro-Anmutung im Stile der 1990er Jahre

MH: Mit Blick auf mechanische Stabilität und angenehme Haptik haben wir außerdem auf besondere Bedienelemente wie Metalldrehknöpfe und beleuchtete Sensortasten, hochwertige Materialien wie Acrylglas und Aluminium, Höhen- und Neigungsverstellbarkeit sowie eine saubere handwerkliche Verarbeitung Wert gelegt.

Aufgrund dieser speziellen Anforderungen mussten wir das HUI nicht nur von Grund auf selbst entwickeln, sondern auch in Do-It-Yourself-Manier selbst realisieren – vom Design über die Mechanik und Elektronik bis hin zur Programmierung. Immerhin konnten wir dabei auf viele Open-Source-Bibliotheken zurückgreifen.

Im Ergebnis ist es daher weniger ein ausgereiftes Gerät als vielmehr ein Proof of Concept mit einer gewissen Retro-Anmutung im Stile der 1990er Jahre.

 

Können Sie ein Beispiel für eine audiovisuelle Demonstration nennen, die hier ausgewählt werden kann?

HJM: Ein thematischer Schwerpunkt liegt auf Fragen der klanglichen Realisation von Musik. Die Demo-Themen behandeln sowohl grundsätzliche populäre als auch spezielle experimentalwissenschaftliche Fragestellungen. Viele Leute interessieren sich z.B. für die klanglichen Unterschiede zwischen verschiedenen Tonträgern oder die interpretatorischen Unterschiede, die Musizierende oder Tonschaffende bewirken. Diese Einflussgrößen haben wir herausgearbeitet und so deren verschiedene Ausprägungen im Labor vergleichbar gemacht.

MH: Zu Erfahrungen, die man im realen Alltag tatsächlich nicht machen kann, gehören akustische Aufführungsräume, die nicht den optischen Aufführungsräumen entsprechen, oder das Innere einer Orgelkammer, die man physisch nicht betreten darf.

 

Was waren unerwartete Hürden und Schwierigkeiten, auf die sie während der Vorbereitung und Durchführung des Projekts stießen?

MH: Wir haben die technische Komplexität eines inhaltsoffenen und neu zu entwickelnden Systems unterschätzt, für das es keine Blaupause gibt. Die Demos folgen jeweils ganz eigenen Ablauflogiken, benötigen andere Parametersets, ggf. auch andere Ein- und Ausgabegeräte, und beruhen auf ganz anderen Open-Source-Anwendungen und -Bibliotheken. Unterschätzt haben wir auch die Dauer der Arbeiten in der hohen Verschiedenartigkeit und Fertigungstiefe: Raumvorbereitung, Beschaffungen, Bohren, Schrauben, Löten, Design und 3D-Druck von Spezialteilen, Programmieren, Literaturrecherche, Grafikerstellung, Tests, Rechteklärungen.

ein Tisch mit Bedienelementen
Das Hardware User Interface (HUI) des Sound & Vision Experience Lab.
© Hans-Joachim Maempel
Ein Schaltfeld mit bunten Knöpfen
Das HUI im Close-Up.
Foto: SPK / Killisch
Videoaufnahmen aus dem Inneren einer Orgel vor einer Bedientafel.
Mit dem Sound & Vision Experience Lab kann z.B. der Sound aus dem Inneren einer Orgelkammer erlebbar werden.
Foto: SPK / Killisch
Der Arm einer Person bedient Knöpfe einer Schaltfläche vor einer Videoproduktion eines Schallplattenspielers
Auch Klangunterschiede zwischen den Medien (hier Schallplatte) lassen sich darstellen.
Foto: SPK / Killisch

Was sind die überraschendsten Erkenntnisse, die sie bisher aus Selbstversuchen und dem Feedback der ersten Benutzer*innen gewonnen haben?

MH: Eigentlich gilt für alle Demos, dass das Herausarbeiten der Einflussfaktoren, die man in Echtzeit ändern kann, offenbar sehr instruktiv wirkt. Dies wird an der populären Diskussion um den Vergleich von analogen und digitalen Audiomedien deutlich. Hält man alle nicht-medienspezifischen Faktoren konstant, indem man z.B. für synchrones Abspielen und gleiche Lautheit von Schallplatte, Tonband, Kassette, CD und MP3 sorgt, sind viele überrascht, dass die eigentlichen Klangunterschiede zwischen den Medien gar nicht so groß sind, wie man angesichts der Leidenschaftlichkeit der Diskussionen in einschlägigen Foren erwarten würde.

HJM: Umgekehrt überrascht viele die Unterschiedlichkeit der Musik aufgrund der primären Interpretation der Musiker*innen sowie aufgrund der sekundären Interpretation der Produzent*innen im Zuge der Audiobearbeitung. Auffällig ist generell die Diskussionsfreude der Besuchenden nach den einzelnen Demos.

 

Kann das SV_XL die Musikwissenschaft voranbringen?

HJM: Interessante Forschungsfragen in den Bereichen Akustik und Musikpsychologie gibt es natürlich mehr als genug. Nicht alle lassen sich empirisch klären. Mit dem Labor lassen sich Hörversuche unter Einsatz virtueller Akustik durchführen – aber eben auch Experimente mit akustisch und optisch variierten Testreizen. Daher bietet sich hier die Forschung zu Fragen der audiovisuellen Musikwahrnehmung an, z.B. zur Rolle des Hörens und Sehens bei der Wirkung musikalischer Interpretation.

MH: Indem das Labor unabhängig von einer bestimmten Forschungsfrage die Möglichkeit bietet, Reaktionen auf bestimmte Reize zu erfassen, können die Nutzer*innen bei Einwilligung selbst zu Versuchspersonen werden.

 

Wie geht es nun weiter mit dem Projekt? Wird das SV_XL auch Besuchenden des Musikinstrumente-Museums offenstehen?

HJM: Das Projekt war befristet und ist beendet. Die weitere systemtechnische Pflege und die inhaltliche Erweiterung des Demo-Portfolios sind insoweit ungeklärt. Wir werden versuchen, diesen Effekt mit dem Bestandspersonal etwas abzufedern. Bislang sind sieben Demos zu Restaurierungsmethoden, Lautsprecher-Wiedergabeverfahren, Tonträgern, musikalischen Interpretationen, Abmischungen, Hörpositionen und Aufführungsräumen implementiert. Diese werden den Besuchenden des Musikinstrumenten-Museums regelmäßig zu bestimmten Zeiten in kleinen Gruppen vorgeführt werden. Ob und unter welchen Bedingungen das Labor einmal ohne Führung und damit für eine längere Zeit in der Woche geöffnet werden kann, werden wir aufgrund unserer Erfahrungen mit den Führungen entscheiden.

Das Sound & Vision Experience Labs (SV_XL) des Staatlichen Instituts für Musikforschung wurde aus Mitteln des Kuratoriums Preußischer Kulturbesitz und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) realisiert.


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