Noch voller, noch grüner: zum zweiten Mal luden die Anrainer*innen des Kulturforums zum Tag im Grünen
Wer dachte, dass der extraordinäre „Tag im Grünen“ 2022 eine schillernde Eintagsfliege gewesen sei, der irrte: die Anrainer*innen des Kulturforums bewiesen in Zusammenarbeit mit Kulturprojekte am 3. September 2023, dass ihre große Endsommerfeier mit der wohltemperierten Flairmixtur von nachbarschaftlichem Berliner Hoffest, buntem Kulturfestival, langem Museumstag (im Sinne von langer Museumsnacht) und rauschendem Open-Air-Konzertspektakel alles andere als eine ephemere Erscheinung war. Mehr noch, es gab ordentlich Nachschlag: Es war noch voller und vor allem noch grüner.
Es schien, als hätten sich noch viel mehr Menschen als vergangenes Jahr aufgemacht, die „Unentdeckten Gärten des Kulturforums“ zu entdecken – gut, dass ein Meer von Liegestühlen zum Verweilen vom Flanieren einlud. Für das Mehr an Grün sorgte, naja, ein Meer an Grün in Form von in Bautubben überall auf dem steinernen Kulturforum platzierten jungen Bäumen, auch bekannt als die künstlerisch-gärtnerische Rauminstallation „Baumschule Kulturforum“ unter der künstlerischen Leitung von Klaus Biesenbach und atelier le balto. Grün war zunächst auch die Wand aus Schultafeln, auf denen die Besucher*innen mit Kreide ihre „Wortgeschenke“ machen konnten. A propos Tafel, Herzstück des Festivals war natürlich die weiß betischtuchte „größte Festtafel des Tiergartens“, die auf den Scharounplatz umgezogen und außerdem gewachsen war: Hier traf man sich zu Kaffee und Kuchen bzw. Currywurst und Kaltgetränk gen Abend und genoss das familiäre Festivalfeeling unter idyllischem Spätsommerhimmel zu den von der auf der Piazzetta aufgebauten „Grünen Bühne“ hinüberziehenden Klängen von Hip-Hop, Poety Slam und Bigband-Sounds.
Und so kam es, dass die neben der durch einen hochwertigen Bretterzaun abgeschirmte Baugrube im Zentrum des Kulturforums für den Neubau der Neuen Nationalgalerie aufgestellte Festtafel einen von der Apotheose des Kulturforums träumen ließ, in der das dann fertiggestellte Museum „berlin modern“ sozial und ökologisch nachhaltig Kultur und Menschen zusammenbringen wird.
Aber zurück in die Gegenwart, in der die Anrainer*innen des Kulturforums das Grüne in ihren Programmangeboten nachgerade pastos aufgetragen hatten:
Die St. Matthäus-Kirche servierte in ihrer „Bar unter den Bäumen“ unter dem Stichwort „Spritz“ Pflanzendrinks aus dem Kulturforum: dafür hatte die portugiesische Künstlerin Marisa Benjamim ess- und trinkbare Essenzen aus Blumen, Blättern und Pflanzen von vor Ort destilliert. Außerdem ließ der Stadthistoriker und Landschaftsarchitekt Alexander Darda bei seinen Führungen „Die verschwundenen Gärten des Alten Tiergartenviertels“ so plastisch werden, dass man fast meinte, den Flieder in den Gärten der großbürgerlichen Villen riechen zu können.
Um das verlorene Tiergartenviertel und seine Bewohner*innen ging es auch in der Kunstbibliothek: Hier erzählten Joachim Brand und Gesa Kessemeier vom Mythos Tiergartenviertel und holten faszinierenden Anwohner*innen aus der Vergessenheit: berühmte Modejournalist*innen, Schauspieler*innen, Kunstsammler*innen und sogar einen James-Bond-Szenografen.
In der benachbarten Gemäldegalerie „grünte es so grün“ in Kurzführungen und im Familienworkshop ging es um Stadtlandschaften, während das Kupferstichkabinett sich in diversen Facetten der Natur in der Zeichenkunst widmete. Neu dabei war 2023 der Anrainer Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das in seinen Garten des Wissens zu Expert*innentalks lud.
Und dass es die für ein ordentliches Festival obligatorische Musik gab, dafür sorgten die Spezialist*innen von Philharmonie und Staatlichem Institut für Musikforschung: letzteres schickte wieder ihren Leierkastenmann ins Rennen und bot außerdem Kammermusik von Antonín Dvořák. Und auch sonst tönte es im östlichen Teil des Kulturforums an ungewohnter Stelle: in der Staatsbibliothek gab es Chansons und Lieder von Brecht bis Kästner zu hören und das Ibero-Amerikanische Institut lud zum Tanz auf seinem Parkplatz zum Sound der afro-kolumbianische Band „La Cura“. Vorher ging es aber natürlich um die europäische Rezeption des lateinamerikanischen Dschungels als Ort der Faszination und des Schreckens.
Einzig im Kunstgewerbemuseum war es eher schwarz-weiß statt grün: Verantwortlich dafür war die eigens für den Ort entwickelte, temporäre Installation der Künstlerin Esther Stocker, die aus horizontalen schwarzen Linien im Treppenhaus des Gutbrod-Baus bestand. Dieser Anachronismus wurde aber durch Aktionen im idyllischen Garten und Kinderaktionen zu „Blumen und Design“ wieder eingefangen.
Architektur war es dann tatsächlich auch, die eine wunderbare Kulisse für den fulminanten Tagesabschluss bereitetet: Auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie ließen 2Raumwohnung Reminiszenzen an das Berlin der frühen 2000er wiederauferstehen. Angestrahlt von Schweinwerfern, hinter und über dem Elektropopduo die von quadraten dominierte hängende Decke des Miesbaus, vor ihnen die wogende Menge sang Inga Humpe mit klarer Stimme zu fetten Beats „Wir trafen uns in einem Garten“ – wie passend.