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Vollsanierung des PergamonmuseumsAlles wird neu

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Das Pergamonmuseum wird ab Oktober 2023 komplett für die Sanierung geschlossen. Barbara Helwing, Direktorin des Vorderasiatischen Museums, und Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst, sprechen im Interview über Chancen dieser Erneuerung und Experimente, die die Sammlungen weiterhin in der Stadt präsent halten.

 

Das Pergamonmuseum wird ab Oktober 2023 komplett saniert und dafür für mehrere Jahre vollständig geschlossen. Warum ist die Sanierung und Schließung des Hauses jetzt notwendig?

Barbara Helwing: Das Pergamonmuseum ist vor 93 Jahren zum ersten Mal eröffnet worden. Seither hat ein Weltkrieg seine Spuren an dem Haus hinterlassen und es ist immer nur notdürftig und uneinheitlich saniert worden. Es gibt viele Bauschäden, die sich nach und nach verschlimmert haben und auch die technischen Anlagen sind nicht auf dem aktuellen Stand. Eine Rundum-Sanierung ist einfach angesagt und je länger wir warten, desto komplexer und teurer wird es. Deswegen sind wir froh, dass wir jetzt diesen nötigen Schritt machen, der übrigens auch schon immer Teil des Masterplans Museumsinsel war.

Stefan Weber: Wir sind mit dem Museum für Islamische Kunst im Obergeschoss des Hauses und freuen uns vor allem darauf, dass das Dach saniert wird, denn es ist undicht. Darüber hinaus wird durch die Sanierung des Hauses auch Barrierefreiheit hergestellt, wir bekommen neue Aufzüge und leichter zugängliche Räume, so dass sich in Zukunft wirklich alle Menschen uneingeschränkt bei uns bewegen können.  

Eine Sanierung ist also unumgänglich – was passiert in der Zeit der Schließung mit den Sammlungen?

SW: Das Museum für Islamische Kunst wird dreieinhalb Jahre nicht geöffnet sein. In dieser Zeit packen wir 90.000 Objekte im Museum ein, restaurieren die Besten und ziehen damit in den Nordflügel um. Unter den Objekten sind ja auch Großobjekte wie die Mschatta-Fassade, es wird also eine logistische Herausforderung, aber insgesamt weniger aufwendig als beim Vorderasiatischen Museum.

BH: Bei uns ist es in der Tat komplizierter. Zum einen gibt es im Vorderasiatischen Museum zwei große Monumente, die Prozessionsstraße und das Ischtar-Tor von Babylon, die auch vor Ort stehen bleiben werden. Sie werden dort in eine klimatisierte Schutzhülle eingebaut. Alles andere – und das schließt bei uns auch tonnenschwere Steinobjekte ein – wird erst mal nach draußen bewegt. Vieles wird in Außendepots verbracht und wird dort restauratorisch betreut. Die kleineren Objekte gehen in andere Depots und auch bei diesen besteht Restaurierungsbedarf. Damit werden wir eine ganze Weile beschäftigt sein. Parallel dazu entsteht zurzeit auch noch ein neues Außendepotgebäude in Friedrichshagen, das wir dann ebenfalls mit unseren Objekten beziehen werden.

Ausstellungsansicht der Mschatta-Fassade
© Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Ausstellungsansicht der Mschatta-Fassade
© Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Ausstellungsansicht des Aleppo-Zimmers
© Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Ausstellungsansicht der Prozessionsstraße
© Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Ausstellungsansicht des Ishtar-Tors
© Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Ausstellungsansicht des Ishtar-Tors
© Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Was werden Sie unternehmen, um die Sammlungen auch während der Schließung weiterhin in der Öffentlichkeit präsent zu halten?

SW: Wir hoffen, in der Zeit eine Ausstellung in der James-Simon-Galerie zu präsentieren, begleitet durch Führungen zum gesamten Unesco Weltkulturerbe Museumsinsel von unseren Vermittler*innen aus dem Multaka-Projekt.  

BH: Wir werden uns in der Schließzeit weiter vernetzen und Kontakt zu anderen Museen ausbauen. Ich bin bereits mit den Kolleg*innen vom Kupferstichkabinett im Gespräch und mit den Kollegen vom Hamburger Bahnhof haben wir ja schon ein Projekt besprochen. Generell möchten wir unsere Objekte einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten – zum Beispiel als Kunstobjekte. Eine Idee ist es, die Objekte als Botschafter in andere Museen in Berlin, aber auch weltweit, zu schicken und sie einem anderen Publikum nahezubringen. Mir liegt vor allem am Herzen, dass diese Dinge einmal anders kontextualisiert werden, und auch in Berlin vielleicht als kleine Sahnestückchen in anderen Ausstellungen sichtbar werden.

Bedeutet die Schließung für Sie und die Sammlungen auch eine – vielleicht sogar willkommene – Gelegenheit, eine Bestandsaufnahme zu machen und die Objekte zu restaurieren, wie es im Alltagsbetrieb gar nicht möglich ist?

SW: Wir sind unter großem Druck, weil wir den Anspruch haben, unsere Depots und Grabungskonvolute in der Zeit umfassend aufzuarbeiten. Wir graben uns dafür durch 100 Jahre Sammlungsgeschichte und arbeiten parallel an der digitalen Erschließung und Vermittlung des Museums. Das sind Prozesse, an denen wir schon seit Jahren arbeiten, aber wir wollen nach der Schließzeit damit fertig sein. Nach dem Umzug wollen wir mit einer gut erforschten, digital aufgenommenen und verschlagworteten Sammlung an den Start gehen. Außerdem restaurieren wir so viele Objekte wie nie zuvor, es werden Hunderte Objekte gereinigt und restauriert und unter anderem wird auch das berühmte Aleppo-Zimmer endlich von seinem schädlichen, porösen Firnis befreit und dann in seiner ursprünglichen Pracht erstrahlen wie zuletzt vor 400 Jahren. Neben all diesen Dingen haben wir noch einen weiteren, ganz zentralen Wunsch: Wir möchten bis zur Wiedereröffnung möglichst viele Provenienzen der etwa 1000 Objekte, die wir ausstellen, aufgeklärt haben und benennen. Am Ende wird es in der Neupräsentation, auf fast der dreifachen Fläche im Vergleich zu heute, Angebote zu Themen wie Diversität oder Familie geben, es werden 2000 Texte und 70 Medienstationen bereitstehen und informieren, Führungen für Kinder und Jugendliche medial anbieten und wir wollen möglichst inklusiv sein. Wir werden auf jeden Fall um Einiges besser aufgestellt sein, als wir es bisher waren.

Das klingt nach einer kompletten inhaltlichen Neuausrichtung der Sammlungspräsentation im Museum für Islamische Kunst. Wird es bei Ihnen ähnlich radikal, Frau Helwing?

BH: Im Vorderasiatischen Museum sieht das ein bisschen anders aus. Zum einen werden wir viel länger geschlossen sein als das Museum für Islamische Kunst, so dass wir dann glücklicherweise auch von dem profitieren können, was die Kolleg*innen dort bereits an Konzepten für Barrierefreiheit, Inklusion und Vermittlung erarbeiten. Bei der Neueröffnung des Nordflügels werden wir dann zunächst mit nur einem großen Raum vertreten sein und so eine Art Schaufenster haben, wo wir natürlich vieles von dem, was Herr Weber und seine Kolleg*innen erarbeiten einfließen lassen werden. Der große Unterschied zwischen unseren beiden Sammlungen ist aber, dass unser Bestand im Vorderasiatischen Museum zum überwiegenden Teil aus gut dokumentierten wissenschaftlichen Grabungen aus der Zeit von den 1880er Jahren bis in die 1930er Jahre stammt. Bei uns spielen also die Provenienzen nicht so eine große Rolle. Unsere Ausstellung beruht auf Forschung und ich habe als Museumsdirektorin den Anspruch, dass unser Haus auch weiterhin ein Institut der Forschung ist. Wir sind hier stets offen für Anfragen und wollen dies auch während der Schließung und des Umzugs aufrecht erhalten. Es wird also keine Verschnaufpause für uns geben, denn die ganze Sammlung auch während des Umzugs weiterhin zugänglich zu halten, ist eine große Herausforderung. Eine weitere Aufgabe ist wohl für alle Museen heutzutage die Digitalisierung und auch dort werden wir neben Umzug und Restaurierungen weiterarbeiten. Wir haben die gesamte aktuelle Dauerausstellung digital dokumentiert. Es gibt jetzt einen kompletten 3D-Scan des Museums von innen mit all seinen Objekten, und es wird voraussichtlich ab dem Winter 2023 die Möglichkeit geben, virtuell durch das  ganze Vorderasiatische Museum zu gehen, sodass unser Haus also nicht ganz von der Bildfläche verschwunden sein wird.

Rendering des Gartensaals
Gartensaal, Abbildung: neo.studio neumann schneider architekten PartG mbB, 2021
Rendering des Ausstellungssaals "Wandel und Austausch am Mittelmeer"
Wandel und Austausch am Mittelmeer, Abbildung: neo.studio neumann schneider architekten PartG mbB, 2021
Rendering des Ausstellungssaals "Wandel und Austausch am Mittelmeer"
Wandel und Austausch am Mittelmeer, Abbildung: neo.studio neumann schneider architekten PartG mbB, 2021
Rendering des Konya-Raums
Konya-Raum, Abbildung: neo.studio neumann schneider architekten PartG mbB, 2021
Rendering des Konya-Raums
Konya-Raum, Abbildung: neo.studio neumann schneider architekten PartG mbB, 2021

Was wird denn bis zur Schließung noch in den beiden Museen passieren?

SW: Wir haben noch zwei Sonderausstellungen und zwei Events im Museum für Islamische Kunst. Die eine Ausstellung ist eine kleine Buchkunstausstellung über Musik in indischen Gärten, dazu wird es auch eine Musikintervention geben, und die andere Ausstellung wird etwas größer, darin präsentieren wir chinesisch-arabische Kalligrafie eines bedeutenden chinesisch-muslimischen Künstlers. Im Rahmen dieser Ausstellung werden wir auch Objekte erwerben. Und von den Veranstaltungen ist vor allem das zehnjährige Jubiläum des Syrian Heritage Archive Projektes zu erwähnen, das wir dieses Jahr feiern. Das Projekt läuft noch immer und wir sind auch gerade wieder in Aleppo unterwegs und restaurieren dort ein Haus.

BH: Am Vorderasiatischen Museum bereiten wir uns auf die Schließung vor, indem wir einen Blick zurückwerfen. Dafür haben wir den zeitgenössischen Künstler Liam Gillick eingeladen, sich kritisch mit der Geschichte des gesamten Pergamonmuseums auseinanderzusetzen. Das ist ein Experiment, das wir gemeinsam mit den Kollegen Till Fellrath und Sam Bardaouil vom Hamburger Bahnhof entwickelt haben. Mit dem Einsatz von Licht und Sound werden dabei die verschiedenen Schichten angesprochen, die sich in 93 Jahren in diesem Museum abgelagert haben. Darauf freue ich mich schon, das wird eine spannende sensorische Auseinandersetzung mit dem Haus. Und darüber hinaus wird es bei uns auch noch mehrere Lesungen und Performances sowie einen Antiquity Slam vor der Kulisse des Ischtar-Tores geben.

Es kommt jetzt eine lange Zeit der Schließung und viel Arbeit auf Sie zu. Worauf freuen Sie sich am meisten für die Zeit nach der Schließung? Was ist der Lichtblick am Ende des Tunnels für Sie?

SW: Wir sind im Tunnel und fokussieren uns in den wöchentlichen Sitzungen auf alle Themen dieses Umzugs und für mich ist das jedes mal ein kleines Weihnachtsfest, weil wir dabei Stück für Stück unsere Zukunftsvision entpacken. Wir sind uns alle sicher: Wenn all das, was wir uns vorgenommen haben, realisiert wird, dann wird das einfach großartig werden, Kunst und Kultur als Erlebnis für alle, aber nicht für alle gleich, für jeden etwas. Wir leben für dieses Fach und arbeiten vor allem für die Menschen und diese tollen Objekte und es ist für uns einfach das schönste, wenn wir diese Leidenschaft mit einem großen Publikum teilen können, wenn es erlebbar wird. Und gleichzeitig kommen immer wieder neue Erkenntnisse dazu. Wir haben zum Beispiel bei uns in der Sammlung einen Brunnen aus Aleppo, dachten wir, der eigentlich immer im Depot stand. Jetzt haben wir begonnen, uns damit intensiv zu befassen und haben herausgefunden, dass es ein Weihwasserbecken von 1635 ist, das beim Neubau einer maronitisch christlichen Kirche ausagiert wurde, und im Jahr 1900 vom Erzbischof ans Museum ging – in Zukunft können wir Dank des Aleppo-Zimmers und dieses Objektes also auch die christliche Tradition im Osten und deren Verbindung zur islamischen Kunst noch besser zeigen. Für mich ist das eine tolle Geschichte, da wir ja mit Syrer*innen zu Aleppo arbeiten und ein Beispiel dafür, welches Potential in der Sammlung steckt. Wir werden einiges ausprobieren – mit Licht und Immersion, wie Frau Helwing es gerade beschrieben hat, aber auch mit Gerüchen, mit Sound und Musik und mehr. Wenn wir das schaffen, dann bin ich stolz wie Oskar und dann hat sich all die Mühe gelohnt.  

BH: Wir haben ja wie erwähnt eine viel längere Zeitspanne bis zur Wiederöffnung. Deswegen muss ich mir unterwegs Meilensteine suchen, auf die ich mich zwischendurch schon freuen kann. Einer davon wird sicherlich das Einrichten des Raums im Nordflügel. Ich freue mich darauf, dass unsere Highlights dort ganz anders präsentiert werden, als sie momentan in der Dauerausstellung zu sehen sind. Sie werden mit ganz neuen Formaten eine Geschichte erzählen. So wird es beispielsweise ein Tastmodell eines Drachens vom Ischtar-Tor geben, das unsere Restauratorin in den letzten zwei Jahren vorbereitet hat. Das ist ein ganz tolles Stück und wir werden es jetzt auch noch kurzfristig bis zur Schließung vor dem Ischtar-Tor aufstellen. Wir laden damit die Besucher*innen ein, die Objekte, die sie sonst nur von weitem betrachten dürfen, mit allen ihren Sinnen zu erkunden. Außerdem hoffe ich darauf, dass wir im Interimsgebäude, in dem derzeit die Antikensammlung mit dem Pergamon-Panorama gastiert, eine eigene Ausstellung konzipieren können. Dort wollen wir dann einmal ganz andere Fragen stellen, als es bei uns derzeit möglich ist. Die Dauerausstellung des Vorderasiatischen Museums ist toll und historisch, aber sie ist auch recht unbeweglich. In dem Interimsbau werden wir die Möglichkeit bekommen, eine ganz neue Geschichte zu erzählen. Wir wollen uns mit der Frage auseinandersetzen, was der Ort Babylon für Berlin bedeutet. Die besondere Beziehung zwischen unserer Stadt und der Stadt Babylon war ja schon in diversen Büchern und Serien Thema, und wir möchten sie dann auf unsere Weise erkunden.