Frischer Wind auf der MuseumsinselZu Gast im ersten SPK-Sommerinterview: Matthias Wemhoff

Artikel

Lesezeit: ca.  min

Was die großen Anstalten können, das können wir schon lange. So dachten wir und starten hiermit die SPK-Sommerinterviews. An den schönsten Orten der Stiftung treffen wir ihre Protagonist*innen, um sie zu befragen. Den Anfang macht Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte und Mitglied des SPK-Interimsvorstandes.

Noch vor der Sommerpause stand fest, dass Marion Ackermann auf Hermann Parzinger als erste Präsidenten der SPK folgen wird. Eine gute Wahl?

Matthias Wemhoff: Ja! Es wird Kontinuität geben, weil Marion Ackermann mit den wichtigen Themen der Stiftung, ebenso wie mit der Führung eines großen Verbundes, bereits vertraut ist. Ich habe es auch sehr geschätzt, dass sie in ihrer ersten Pressekonferenz betont hat, dass sie sich auf einen kollegialen Vorstand freut.

 

Die SPK befindet sich in einer heißen Reformphase, die aber offenbar zu unbekannt ist. Warum sonst wird in den Medien von einer „Selbstverzwergung“ des Museumsverbunds gesprochen?

Was gerade passiert, ist aus den Museen heraus entwickelt worden. Als der Wissenschaftsrat empfahl, die SPK aufzulösen, war uns klar: Das wollen wir nicht! Gerade der Verbund aller Überlieferungsformen und kulturellen Zeugnisse ist zeitgemäß und bringt uns weiter. Aber die damalige Komplexität aus Generaldirektion und Stiftungsleitung bedurfte dringend einer Veränderung. Wir wollten eine stärkere Eigenständigkeit der Museen und dafür sind jetzt die Grundlagen bereits geschaffen. Die Möglichkeiten der Führung und der Ausrichtung durch die einzelnen Direktorinnen und Direktoren sind durch die Zuweisung von Budgets und den hohen Grad der Eigenständigkeit enorm gesteigert. Bis Ende des Jahres werden zudem Museumsteams an den verschiedenen Standorten gegründet sein, die gemeinsame Aufgaben wahrnehmen.

Aber starten die „Teams“, die die Museen an den Standorten steuern sollen, nicht mit halbleerem Tank? Ihnen fehlt doch Geld und Personal.

Das stimmt. Wir brauchen eine bessere Ausstattung mit Mitteln und Personal. Die Defizite, vor allem in den Bereichen Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, sind nun wirklich allen bekannt. Dazu laufen derzeit Gespräche zwischen Bund und Ländern und es freut mich sehr, dass sich im Stiftungsrat bereits gezeigt hat: Alle ziehen da an einem Strang!

 

In der Presse war auch von bleiernen Jahren unter Präsident Parzinger die Rede. Ist das nicht verkehrte Welt?

Ich finde das völlig unangemessen! In den vergangenen sechzehn Jahren hat sich das Rad unheimlich schnell gedreht, es gab massive Entwicklungen. Das soll bitte erstmal jemand nachmachen. Das Humboldt Forum mit all den intensiven Debatten, die Diskussion über Kolonialismus und Provenienzen – all das sind völlig neue Entwicklungen gewesen, an denen so mancher verzweifelt wäre. Ich finde, Hermann Parzinger hat das richtig in die Wege geleitet und gemanagt, ohne die Ruhe zu verlieren. Er war in der Lage, den Stiftungsverbund in seiner ganzen Vielfalt zu repräsentieren und alles im Blick zu behalten. Und er hat die Reform zu seiner Sache gemacht. Auf der Museumsinsel wird man den frischen Wind sehr bald spüren können. Im Übrigen geht es bei der SPK nicht nur um die zeitgenössische Kunst. Diesen Eindruck kann man als Zeitungsleser oft haben. Parzinger hat die SPK immer in ihrer Vielfalt vertreten und insgesamt auf Kurs gehalten. Das bleibt!

Apropos frischer Wind auf der Insel. Wo und wie weht der denn?

Wir haben uns hier auf der Museumsinsel Berlin ganz bewusst entschieden, mit allen ansässigen Museen gemeinsam zu agieren und die Insel nach außen, für die Besuchenden, als Einheit zu repräsentieren. Unseren Gästen ist es egal, ob sie bei uns im Neuen Museum durch Räume des Museums für Vor- und Frühgeschichte oder des Ägyptischen Museum wandeln. Auch im Pergamonmuseum wechselten die Besucherinnen und Besucher bisher durch die Räume und erlebten Exponate aus dem Vorderasiatischen Museum, aus der Antikensammlung und aus dem Museum für Islamische Kunst als Einheit. Im Grunde bieten wir hier auf der Museumsinsel ein einzigartiges Panorama von Kulturen der alten Welt. Und mit dem Museum für Byzantinische Kunst und Skulpturensammlung im Bode-Museum können wir diesen Bogen bis in die Renaissance und weiterspannen.

 

Es geht also im Kern um mehr Besucher*innen?

Das Potential dafür ist da! Die Sammlungen haben natürlich ihre eigenen Ausrichtungen, sie sind wissenschaftlich absolut einzigartig, auch international, und jede bedient andere Facetten. Aber für die Besuchenden muss es auch einen guten Gesamteindruck und ein ansprechendes Besuchserlebnis geben.

Auf der Museumsinsel geht es voran. Die Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie war ein Erfolg, die Schau zur Nilinsel Elephantine im Neuen Museum läuft auch gut. Gleichzeitig gibt es zusätzliche Schließtage und auch die Corona-Pandemie wirkt nach. Sind Sie trotzdem zuversichtlich?

Ich bin ganz überzeugt davon, dass wir hier auf der Museumsinsel absolute Stärken haben, mit denen wir wuchern müssen. Die Baustelle im Pergamonmuseum ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance. In drei Jahren eröffnet der Nordflügel.

Die zusätzlichen Schließtage sind natürlich sehr unglücklich und wir hoffen, dass wir nächstes Jahr eine auskömmliche Finanzierung haben werden. Da ist die Politik eindeutig gefordert. Das brauchen wir auch, denn wir wollen im kommenden Jahr das 200. Jubiläum der Grundsteinlegung der Museumsinsel feiern. Wir wollen den Blick fünf Jahre lang – bis zur 200-Jahr-Feier der Eröffnung in 2030 – immer wieder auf unterschiedliche Häuser und Themen lenken und haben bereits begonnen, gemeinsam mit VisitBerlin, dem Land Berlin und weiteren Partnern an dem Programm zu arbeiten.

 

Die finanziellen Schwierigkeiten entstanden vor allem durch Einbußen während der Pandemie. Spüren Sie darüber hinaus noch Folgen der Coronazeit?

Wir sind hier auf der Insel stark davon abhängig, wie sich der Tourismus verändert. Der Rückgang von Besucherzahlen, den wir dieses Jahr spüren, hängt damit zusammen, dass der Flughafen BER nicht ausgelastet ist. Die Zahl der günstigen Flüge aus Europa hat seit letztem Jahr deutlich nachgelassen. Berlin ist der einzige Flughafen, der heute nicht dasselbe Passagieraufkommen hat wie vor der Pandemie. Das spüren wir direkt auf der Museumsinsel. Auch fehlen bisher internationale Verbindungen etwa nach Asien und Amerika weitgehend. Man kann uns inhaltlich mit dem Louvre oder dem British Museum vergleichen, aber dann muss man im selben Atemzug auch darauf schauen, wie viele internationale Flüge täglich in Paris und London ankommen.

 

Zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität auf der Insel trägt dieses Jahr auch die Neuerung der Kolonnaden bei, die nach längerer Bauphase wieder komplett zugänglich sein werden. Zum ersten Mal kann man wie vor 100 Jahren über die Insel schreiten und die Aufenthaltsqualität genießen …

Die Kolonnaden stehen für ein geradezu mediterranes Lebensgefühl: Berlin am Wasser. Wir haben diesen Moment mit Freude erwartet und haben uns darauf vorbereitet. Das schönste Format dafür, das wir bereits aus den vergangenen Jahren kennen, ist die Kolonnaden Bar, die wir in diesem Jahr wieder ins Leben gerufen haben.

 

Dieses neue Leben unter den Kolonnaden – Bar, Filmnächte, DJs – war noch vor einigen Jahren nicht denkbar. Der Kolonnadenhof erschien wie ein heiliger Ort der Kultur, fernab von profanen Vergnügungen.

Wir wollen den Kolonnadenhof und die Museumsinsel insgesamt zu einem lebenswerten Ort machen und viel stärker in der Stadtgesellschaft verankern. Dafür müssen wir uns öffnen. So eine Kolonnaden Bar richtet sich direkt an die Berlinerinnen und Berliner, die abends herkommen und diesen Ort wiederentdecken. Gleichzeitig sind wir natürlich trotz allem sehr fürsorglich mit dem Welterbe Museumsinsel. Wir wissen, dass eine Übernutzung schädlich ist. Aber ich denke, die Veranstaltungen, die wir jetzt hier machen, die vermitteln dieses Verantwortungsgefühl.

Neben den großen Veränderungen in diesem „Reformsommer“ stehen auch zwei Personalien an. Mit Anette Hüsch und Antje Scherner kommen zwei neue Direktorinnen auf die Insel und übernehmen in der Alten Nationalgalerie bzw. im Bode-Museum. Wie blicken Sie auf diesen Personalwechsel?

Ich freue mich, dass schon am 15. August Antje Scherner ihren Dienst als Direktorin des Bode-Museums antritt. Es ist wichtig, dass dieses Haus wieder eine reguläre Direktion bekommt und nach einer längeren Interimsphase hoffentlich viel frischer Wind und neue, mutige Ideen Einzug in das dortige Museum für Byzantinische Kunst und Skulpturensammlung erhalten. Das Museum ist ein absolut wichtiger Bestandteil der Insel – das meistfotografierte Haus des Ensembles – und gerade wir in den archäologischen Sammlungen freuen uns natürlich darauf, dort an die byzantinische Kunst, das Früh- und Hochmittelalter bis hin zur Renaissance anknüpfen zu können. Das ist ganz wichtig, um die kulturelle Gesamtdimension hier zu verstehen.

In der Alten Nationalgalerie wird derweil Ralph Gleis das Haus noch bis Ende des Jahres weiterleiten und wir freuen uns ebenfalls, dort dann Anette Hüsch begrüßen zu dürfen.

 

Fast nebenbei wurde diesen Sommer auch noch ein weiteres Haus dem Portfolio der SPK hinzugefügt, das PETRI. Es soll ein Haus der Berliner Archäologie werden, eng verzahnt mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte – was muss man sich darunter vorstellen?

Das „PETRI Berlin – entdecke die Archäologie“ ist etwas ganz Besonderes. Es befindet sich direkt am Petriplatz, quasi im Schatten von Museumsinsel und Berliner Schloss. Doch kaum jemand weiß, dass das mal ein ganz zentraler Ort für Berlin war, denn dort befindet sich das historische Zentrum von Cölln. Berlin begann als Doppelstadt Berlin-Cölln und wurde erst 1710 zur preußischen Residenzstadt Berlin vereint. Wir haben dort ausgegraben und die Reste des alten Cölln gefunden: einen Friedhof, eine Kirche und eine Lateinschule. Genau über den Ruinen der alten Lateinschule steht heute das PETRI.

Ich bin nicht nur Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, sondern auch, in enger Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt Berlin, Berliner Landesarchäologe. Durch diese Doppelfunktion kommen die Funde aus der Berliner Archäologie als Depositum zu uns ins Neue Museum und werden von uns betreut. Das neue Haus haben das Landesdenkmalamt Berlin und das Museum für Vor- und Frühgeschichte gemeinsam mit dem Berliner Senat als Gebäude für die Archäologie konzipiert, wo wir einerseits wichtige Arbeitsbereiche wie Magazin und Restaurierungswerkstätten unterbringen und andererseits unsere archäologische Arbeit auch zeigen wollen. Denn unsere eigentliche Arbeit können wir hier im Neuen Museum nicht im gleichen Umfang präsentieren, sie findet hinter verschlossenen Türen statt – dabei ist sie so spannend und ich erlebe immer wieder, wie Museumsbesucher*innen fasziniert davon sind und viele Fragen stellen. Und genau das zeigen wir im PETRI: Über sieben Etagen werden Besuchende dort durch den ganzen archäologischen Arbeitsprozess geführt und können zusehen. Von der Fundebene, wo gegraben und dokumentiert wird, über die Fundwäsche und Restaurierung bis hin zur Interpretation und Präsentation der Funde. Das Haus ist also kein Museum, sondern eher ein Labor der Archäologie.

Wir haben 2019 schon einmal zu einem Interview zusammengesessen, darin ging es viel um Publikumsbegeisterung. Heute treffen wir uns wieder und das Institut für Museumsforschung hat gerade eine Studie veröffentlicht, die Museen als Vertrauensorte identifiziert, die den Menschen direkt nach Familie und Freunden, noch vor Medien, Wissenschaft und Parteien als vertrauenswürdig gelten. Einerseits vertrauen uns die Leute, andererseits kommen sie nicht ins Museum – was bedeuten solche Erkenntnisse für die Arbeit im Museum?

Es ist eine enorme Verpflichtung für die Museen, mit diesem Vertrauen angemessen umzugehen. Es ist natürlich ein toller Vertrauensbeweis und zeigt, dass z.B. die Berliner Museen sich im Laufe ihrer 200-jährigen Geschichte zu einer Institution entwickelt haben, die allen Zeitläufen widerstehen konnte. Die Frage, wie man eine solche Institution resilient macht und wie stark sich Museen an gesellschaftlichen Debatten beteiligen sollten, beschäftigt uns intensiv. Die Museen können natürlich ein Spiegel der Diskussion sein, aber inzwischen bin ich eher skeptisch, inwieweit jede gesellschaftliche Debatte auch in den Museen ausgetragen werden sollte. Sie werden darauf in ihrer Vielfalt sicher unterschiedliche Antworten finden.

 

Diese Skepsis findet sich auch in der erwähnten Studie wieder: Die Menschen kommen in die Museen, um ihre Urteilskraft zu schärfen, nicht um eine Meinung vorgegeben zu bekommen …  

Friedrich Wilhelm IV. bestimmte die Museumsinsel bei ihrer Entstehung zur "Freistätte für Kunst und Wissenschaft". Dieser Anspruch gilt auch heute noch und er beinhaltet, dass man hier eine gewisse Ruhe braucht, zur Besinnung kommen soll und nicht jede aktuelle Debatte hierher holen muss. Die Museumsinsel mit ihren Häusern kann auch ein Ort der Rückversicherung inmitten der gehetzten Gegenwart sein. Ein Ort des Innehaltens, an dem man mal fragen kann: Welches Potential hat Gesellschaft denn überhaupt? Gerade unsere kulturgeschichtlichen Museen können aufzeigen, was alles schon passiert ist, was sich entwickelte, was es vielleicht auch schon mal gegeben hat. Und dann gewinnt man eine gewisse Ruhe und kann mal die Hitze und das Ideologische draußen lassen und auf dieser Basis dann in die Gesellschaft hineinwirken.