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ElephantineGanz weit weg, 1000 Kilometer südlich von Kairo und zugleich ein unglaublich globaler Knotenpunkt

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Ab Ende April 2024 wird die Sonderausstellung „Elephantine. Insel der Jahrtausende“ des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung – Staatliche Museen zu Berlin auf der Berliner Museumsinsel zu sehen sein. Die Kuratorin der Ausstellung Verena Lepper erläutert im Interview was Elephantine ist, welche Bedeutung die Insel auch heute noch hat und worauf die Besucher*innen der Ausstellung sich freuen können.

Karte Altes Ägypten

Was ist Elephantine?

Verena Lepper: Elephantine ist eine kleine Nilinsel, die nur zwei Kilometer lang ist und an der Südgrenze Ägyptens liegt – aber dort ist außergewöhnlich viel passiert. Es war eine Grenzstation, ein Handelsstützpunkt an der Grenze zum antiken Nubien, in dem eine einmalig diverse multilinguale, multikulturelle und multireligiöse Bevölkerung lebte. Einzigartig auf der ganzen Welt bietet dieser Ort die Möglichkeit, Kulturgeschichte über einen Zeitraum von 4000 Jahren durch schriftliche Quellen quasi "nacherleben" zu können – eine regelrechte Sensation. Durch ein Brennglas betrachtet, können wir nun diese kleine Insel in all ihrer Größe erfahren.

Foto: Landkarte Ägypten Assuan © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung

Durch welche Quellen ist die Kulturgeschichte belegt?

Verena Lepper: Belegt ist sie durch tausende Texte auf Papyri oder Tonscherben, die von der Insel stammen, verfasst in zehn verschiedenen Sprachen und Schriften (u. a. Hieroglyphen, Aramäisch, Koptisch und Arabisch). Gegenwärtig befinden sich diese Artefakte in 60 Sammlungen verteilt auf 24 Länder und wurden im Rahmen eines großen europäischen Forschungsprojekts (ERC) in Berlin entschlüsselt, übersetzt und digital erschlossen. Davon sind jetzt 10.748 Objekte online und in einer Datenbank öffentlich zugänglich.

Arabisches Ostrakon
Arabisches Ostrakon mit Angaben über ein Geldkonto © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung
Brief eines persischen Verwaltungsbeamten an die Priester des Gottes Chnum von Elephantine
Demotischer Brief des persischen Satrapen Pherendates an die Priester des Gottes Chnum von Elephantine © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Prof. Dr. Verena Lepper

Wie viele der alten Sprachen sprechen Sie?

Verena Lepper: Gar keine! Tatsächlich lese ich all diese zehn Sprachen und Schriften, aber spreche sie nicht! In unserem großen Forschungsprojekt hatte ich ein tolles internationales Team von Mitarbeiter*innen und Expert*innen für die verschiedenen Sprachen. Aber ja, ich habe zu Schulzeiten bereits Latein, Griechisch und Hebräisch lernen dürfen. Anschließend hatte ich die Möglichkeit, mich mit den Sprachen Ägyptens sowie den Sprachen des ägyptischen Umfelds auseinanderzusetzen. Denn, wie wir am Beispiel von Elephantine erkennen können, sollte und kann Ägypten nicht isoliert betrachtet werden.

Foto: Verena Lepper

Konnten Sie den Texten entnehmen, ob es Einflüsse einer Religion oder Kultur auf eine andere gegeben hat?

Verena Lepper: Verschiedene Kulturen trafen aufeinander, beeinflussten sich gegenseitig und formten somit eine neue, einzigartige Kultur. Die Offenheit in dieser Zeit übersteigt womöglich unsere heutige Vorstellungskraft. Das Besondere liegt in der multikulturellen Dynamik. Für das Projekt habe ich den Terminus "Glokalisierung" geprägt – ein neuer Begriff in der Ägyptologie, der die Verbindung von Globalem und Lokalem thematisiert. Lokal betrachtet man eine kleine Insel, weit entfernt, etwa 1000 Kilometer südlich von Kairo, während es auf der anderen Seite ein unglaublicher globaler Knotenpunkt ist.

Ostrakon mit Hieroglyphen
Hieroglyphisches Ostrakon mit Schreibvarianten des Namens der Göttin Satet © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung
Teil eines Papyrus
Hieroglyphisches magisches Papyrusfraqgment aus Elephantine © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Opferbecken
Opferbecken des Königs Ptolemaios I. für die Göttinnen Satis und Anuket © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß

Was hat Elephantine uns zu sagen – auch heute noch?

Verena Lepper: Die Texte bieten eine breite Palette an Inhalten, die sich mit auch heute noch aktuellen Themen auseinandersetzen. Es gibt viel, was wir daraus lernen können. Die Schwerpunkte liegen auf Pluralität, Familie, Religion, Handel, Recht oder Medizin. Diese Themenblöcke möchten wir auch in der Ausstellung präsentieren.

Um die Relevanz für heute zu verdeutlichen, nehme ich als Beispiel die Medizin. In den Texten finden sich Rezepte gegen Rückenschmerzen, für die Ohren, Augen, Nase und sogar gynäkologische Themen. Das Vokabular, das in diesen Texten verwendet wurde, ist äußerst interessant. Es handelt sich um verlorengegangenes Wissen einer hoch entwickelten Kultur. Was dort beschrieben wird, war bis zum 20. Jahrhundert n. Chr. unbekannt. Erst in den 70er Jahren wurde dieses Wissen beispielsweise in unsere gynäkologischen Fachkenntnisse integriert. Beim Lesen wird man demütig, wenn man erkennt, welche Kenntnisse die Menschen dieser vergangenen Ära bereits besaßen.

 

Haben Sie ein Lieblingsexponat?

Verena Lepper: Ja, es ist ein Päckchen, das ganz klein gefaltet war und dann entblättert wurde. Man sieht noch die kleinen Löchlein am unteren Ende des Amuletts. In wenigen Zeilen ist ganz wunderbar zu lesen, dass dieses Amulett dem Schutz eines Neugeborenen diente. Das Neugeborene hat es um den Hals getragen. Es ist eines meiner Lieblingsobjekte, weil es zeigt, wie die persönliche Frömmigkeit im Alten Ägypten und insbesondere auf Elephantine funktioniert hat.

Althieratischer Papyrus
Hieratisches Dokument über Rechtsstreitigkeiten zu Eigentum und Nachlass © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Medizinischer Papyrus
Hieratischer Papyrus mit medizinischen Rezepten gegen Husten © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung
Aramäischer Papyrus
Aramäischer Vertrag über ein großes Silberdarlehen © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß

Was wollen Sie mit der Ausstellung erreichen?

Verena Lepper: Mit Hilfe dieser weltweit ersten umfangreichen Präsentation soll Elephantine nicht nur der Wissenschaftswelt, sondern gerade der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Gezeigt werden herausragende Berliner Objekte zusammen mit ausgewählten internationalen Spitzenstücken. Die vielfältigen Inhalte der Texte werden durch archäologische Funde kontextualisiert und zeitgenössisch interpretiert. Wir möchten Elephantine auf der Berliner Museumsinsel erlebbar machen.

Dabei wollen wir zu den Themen der Ausstellung auch in den Dialog mit den Besucher*innen eintreten. Hier bauen wir auf die Kooperation mit der Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities (AGYA), die ihren 10. Geburtstag mit dieser Ausstellung begeht und eine Dekade erfolgreicher arabisch-deutscher Forschungskooperation und Wissenschaftsdiplomatie feiert. Mit herausragenden Wissenschafter*innen aus Deutschland und 22 arabischen Staaten arbeiten wir gemeinsam durch interdisziplinäre Forschung an Lösungsansätzen globaler, gesellschaftlicher Herausforderungen. In der Ausstellung möchten wir die Besucher*innen partizipativ einbeziehen und zu diesen hochaktuellen Themen befragen. Insofern ist Elephantine ein einzigartiges Modell aus der Vergangenheit in der Gegenwart und für die Zukunft.

Wie viele Exponate werden zu sehen sein und woher werden die Leihgaben kommen?

Verena Lepper: Natürlich können wir keine 10.000 Objekte zeigen. Es geht darum, herausragende Berliner Objekte mit ausgewählten internationalen Spitzenstücken zu zeigen. Wir haben insgesamt ein Dutzend Leihgeber, mit dabei sind das Brooklyn Museum und der Louvre, die auch als Kooperationspartner der Ausstellung fungieren. Wir zeigen allein mehr als 200 Berliner Objekte.

Wie kam die Sammlung nach Berlin?

Verena Lepper: Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine gezielte Papyrus-Grabung im Auftrag der damals königlichen Museen zu Berlin. Im Rahmen der Fundteilung kamen die Elephantine Papyri nach Berlin. Aufgrund der Geschichte Berlins waren sie dann bis 2013 in vielen Kisten und Boxen in der Ost- und Westberliner Papyrussammlung verteilt. Nach der Wiedervereinigung der Sammlung im Archäologischen Zentrum konnte nun „Forschung im Museum“ betrieben werden. Als Studentin im zweiten Semester habe ich beispielsweise die ersten Elephantine Papyri gelesen und es hat mich nicht wieder losgelassen.

Öffnen einer Blechkiste
Grabungskiste mit Papyri aus Elephantine vor Öffnung © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Verena Lepper

Was erwartet die Besucher*innen der Ausstellung?

Verena Lepper: Es ist gar nicht so einfach, trockene Papyri „sexy“ zu machen, wenn ich das mal so sagen darf und um diese Inhalte in einen Zusammenhang zu stellen, werden wir nicht nur auf archäologische Funde, sondern auch auf zeitgenössische Interpretationen setzen. Wir möchten die Sinne unser Besucher*innen ansprechen. Sie werden Elephantine hören, sehen, riechen und tasten. Wir konnten junge ägyptische Musiker*innen, Djs und Djanes gewinnen, die Geräusche für uns komponieren und damit Elephantine einmal ganz anders erlebbar machen. Beim Thema Handel planen wir die Präsentation eines Gewürzmarktes. Dort werden die in den Texten überlieferten Gewürze sichtbar und erfahrbar gemacht. Eine europäische Duftkünstlerin wird die verschiedenen Themen und Stationen von Elephantine durch kunstvolle Duftkompositionen interpretieren. Zudem planen wir, die verschiedenen Materialien wie Papyrus, Pergament und Leder, die auf Elephantine Verwendung fanden, in Fühlstationen zu integrieren.

Möbelteil
Möbelteil bekrönt von einem sitzenden Löwen mit der Kartusche des Aspelta © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Koptisches Ostrakon
Ostrakon mit koptischer Inschrift © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Verena Lepper

Wo wird die Ausstellung zu sehen sein?

Verena Lepper: Die Ausstellung wird an zwei miteinander verknüpften Orten gezeigt. Das ist einmal die James Simon Galerie mit ihrem wunderbaren großen Sonderausstellungsraum. Schon bereits im Vorraum, das darf ich verraten, wird eine tolle Inszenierung präsentiert werden, die gerade noch in den Details ausgehandelt wird. In Themeninseln werden die Objekte szenographisch präsentiert und mit einem großen Zeitstrahl verbunden. Ferner wird die Ausstellung in mehreren Räumen des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel gezeigt. Im Griechischen Hof erwartet die Besucher*innen die Inszenierung eines großen Inselmodells, im folgenden Raum wird das Elephantine-Forschungsprojekt präsentiert, dort können die Besucher*innen den Forschenden direkt über die Schulter blicken und sehen, wie etwa das internationale Papyruspuzzle funktioniert und natürlich mitmachen! Zum ersten Mal in der Geschichte der Papyrusforschung können Papyri und Papyruspäckchen virtuell durch eine Kooperation mit Physiker*innen und Mathematiker*innen lesbar gemacht werden. Ein sensationeller Forschungsdurchbruch.

Beabsichtigen Sie Besucher*innen mit Migrations und Flüchtlingshintergrund anzusprechen?

Verena Lepper: Auf jeden Fall, alle Label- und Ausstellungstexte, aber auch die gesamte Ausstellung wird in Arabisch, Englisch und Deutsch konzipiert. Das heißt, wir möchten so viele Besucher*innen wie möglich ansprechen, insbesondere auch die arabischsprachigen.

Die Ausstellung wird in Kooperation mit der Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities (AGYA) von Ende April 2024 bis Ende Oktober 2024 gezeigt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Land Berlin und aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds gefördert.
Das Ausstellungsprojekt wird gemeinsam mit dem Ägyptischen Ministerium für Antiken (SCA)
co-kuratiert, ebenso mit Studierenden der Humboldt Universität zu Berlin reflektiert, wo gemeinsam mit den SMB ein eigenes Forschungsinstitut u.a. für Elephantine-Forschungen gegründet wurde, das Institut für Altorientalische und Hellenistische Religionsgeschichte.


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