Italien erhält 25 Objekte der Antikensammlung zurück: Der stellvertretende Direktor Martin Maischberger über Theater bei Begräbnissen, den ominösen Kunsthändler Medici und warum Verlust auch Glück ist
Herr Maischberger, die Antikensammlung gibt 25 Objekte an Italien zurück. Der Grund ist, dass sie aus „zweifelhafter Provenienz“ stammen. Was bedeutet das?
Martin Maischberger: Das ist eine lange Geschichte. Es geht um 21 Vasen aus Süditalien plus vier weitere Objekte, die wir zurückgeben. Bei Forschungen, die sich über Jahre Zeit hinzogen, kam heraus, dass diese Objekte mit einiger Sicherheit aus illegalen Kontexten stammen. Das bedeutet, dass sie in den 1970ern oder frühen 1980ern illegal ausgegraben und dann aus Italien herausgeschmuggelt wurden. Sie wurden dann auf dem internationalen Kunstmarkt unter Angabe falscher Herkunft zu einem sehr hohen Preis verkauft. Das Hauptkonvolut, von dem wir reden, diese 21 apulischen Vasen, wurden 1984 von der West-Berliner Vorgängerinstitution der Antikensammlung, dem Antikenmuseum in Berlin-Charlottenburg, erworben.
Was ist das Besondere an den apulischen Vasen?
Der Hauptkomplex der 21 Vasen sind Stücke aus der Zeit um 340 vor Christus. Das sind Produktionen von Griechen für Nichtgriechen in Italien. Vor allem in Tarent, einer griechischen Kolonie in Süditalien, wurden Vasen produziert, wie man sie schon seit Jahrhunderten aus Athen kannte. Und diese Objekte fanden die einheimischen italischen Völker höchst interessant. Sie haben sie gekauft und sicherlich auch in einem sepulkralen Zusammenhang genutzt. Dieser interkulturelle Prozess zwischen den griechischen Kolonisatoren einerseits und den italischen Ureinwohnern andererseits ist ein ganz spannendes Thema.

Vorder-und Rückansicht eins Apulischen Volutenkraters, um 340 v.Chr. dem Dareios-Maler zugeschrieben. Vorderseite: Odysseus und Diomedes rauben die Pferde des Rhesos; Rückseite: Dionysisches Treiben. 2024 an Italien zurückgegeben © Antikensammlung / Johannes Laurentius
Was zeigen die Vasen?
Diese Vasen als Grabbeigaben haben einen höchst dichten Gehalt an Bildern, vor allem mythologischen Inhalts, aber auch zum Teil auf die Lebenswelt bezogen. Höchst interessant, weil es zum Teil Versionen von Mythen sind, die etwas abweichen von denen, die man kennt. Man vermutet, dass das auch mit Theateraufführungen einherging. Was waren denn das für Begräbnisse, fragte sich die Forschung schon in den 1990er Jahren. Waren da vielleicht Sänger oder Schauspieler zugegen, die vielleicht auf diese Vasen zeigten, während sie ihre Geschichten erzählten? Die apulischen Vasen haben immer schon die Fantasie angeregt und in Gefilde geführt, die weit über das pure Objekt hinausgehen.

Attische Trinkschale (Kylix), um 510 – 500 v. Chr. Ein Foto des Gefäßes wurde bei den Ermittlungen gegen Medici in Genf in einem Raum beschlagnahmt, den dieser zur Verwahrung von illegal ausgeführten Objekten nutzte. Die Fotos zeigten frisch ausgegrabene Objekte, die nicht gereinigt und nicht restauriert waren. Angesichts der Tatsache, dass ein Foto der Kylix in diesem Lagerraum von Giacomo Medici gefunden wurde, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Kylix aus einer illegalen Grabung in Italien stammt. © Antikensammlung / Johannes Laurentius
Es heißt, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Provenienz hätten bereits seit 1998 bestanden. Warum dann erst jetzt die Rückgabe?
Besagte Zweifel sind tatsächlich nicht bei uns entstanden, sondern kamen von außerhalb. Die wissenschaftliche Community erhob Einsprüche gegen die ersten Publikationen der Berliner Antikensammlung zu diesen Objekten. Das waren zunächst sowohl deutsche als auch italienische Fachkolleg*innen. Irgendwann schalteten sich dann auch Staatsanwaltschaft und Polizei ein, die vermuteten, dass diese Objekte nicht aus einer alten Schweizer Privatsammlung stammen können. Dafür fanden sich dann aber erst 1995 die endgültigen Beweise - zumindest für vier Objekte, nämlich in Form von Polaroidfotos, die im Kontor des italienischen Kunsthändlers Giacomo Medici in Genf beschlagnahmt worden waren. Diese Fotos zeigen vier unserer Vasen in fragmentarischem Zustand, in einer Folge mit Objekten, die in andere Museen gelangten und die später eindeutig als aus Raubgrabungen stammend entlarvt wurden, und legten somit auch für unsere vier Vasen einen Raubgrabungszusammenhang nahe.
Im Laufe der Jahre gab es dann sowohl wissenschaftliche als auch weitere forensische Indizien, die den Verdacht erhärtet haben. Nun kann man fragen, warum wir erst jetzt reagieren?
Das wäre auch unsere Frage …
Es gab ja erstmal nur handfeste Beweise für vier der 21 Objekte. Wir fragten uns: Könnten die anderen Objekte aus anderen Zusammenhängen stammen? Sind sie vielleicht „sauber“? Die wissenschaftliche Diskussion darüber war durchaus kontrovers und erst in jüngerer Zeit haben sich schließlich auch von der wissenschaftlichen Seite her die Indizien verdichtet, dass alle Objekte aus einem einzigen Kontext stammen. Demnach ist auch für die übrigen Vasen, bei denen die wir keine Beweise haben, naheliegend, dass sie illegal ausgegraben, außer Landes geschafft wurden und deswegen zurückgegeben gehören.

Attisch-rotfiguriger Skyphos, um 480 v.Chr. Das aus Fragmenten zusammengesetzte Gefäß wurde 1970 von dem in Genf ansässigen Kunsthändler N. Koutoulakis erworben. Wie heute bekannt ist, gehörte dieser zum Kreis um die Kunsthändler und Hehler Giacomo Medici und Robert Hecht, die nachweislich mit raubgegrabenen Objekten handelten. In den Korrespondenzen gibt es eine Aussage, die mit heutigem Wissen so zu interpretieren ist, dass sie Bezug auf Raubgrabungen nimmt. Der Skyphos war außerdem Gegenstand der Ermittlungen der italienischen Carabinieri in Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen Giacomo Medici, Marion True, Robert Hecht und Robin Symes. Eine Aufforderung zur Rückgabe nach Italien hat es aber nie gegeben. © Antikensammlung / Johannes Laurentius
Dreh- und Angelpunkt dieses Raubgrabungskrimis ist der ominöse Kunsthändler Medici. Was weiß man über ihn?
Im Unterschied zu vielen anderen Beteiligten wie dem Archäologen und Kunsthändler Christoph F. Leon, der den Komplex an Berlin verkauft hat, lebt Giacomo Medici noch. Die italienische Presse hat ihn auch schon mal vor die Kamera gebracht, wo er sich selbst als das Bauernopfer stilisiert hat, indem er sagte, dass er der Einzige sei, der für diese Sache geradestehen musste, weil er zu Gefängnisstrafe und Geldzahlung verurteilt worden war. Andererseits wurde gerichtlich verfügt, dass ihm das Corpus Delicti, also die Polaroids, als Privateigentum wieder zurückgegeben werden und man damit nicht mehr argumentieren darf.
Was sagt dieser ganze Fall über die Geschichte Ihres Hauses?
Wir verurteilen keinen unserer früheren Kollegen. Man kann gar nicht oft genug betonen, dass auch unsere Vorgängergeneration schon eine Kehrtwende eingeleitet hatte: Bereits in den späten 1980ern verpflichtete man sich, nur noch Objekte zu erwerben, die eine tadellose Provenienz haben. West-Berlin war da durchaus federführend, also eben auch Wolf-Dieter Heilmeyer, der Vorgänger des jetzigen Direktors der Antikensammlung, der diese Vasen angekauft hatte.
Aber sie wurden doch eben angekauft.
Die Zeiten waren einfach anders. Andere Museen sind bis zum heutigen Tage noch der Meinung, dass die Herkunftsforschung eher überbewertet ist und kaufen noch immer Objekte mit zweifelhafter Provenienz. Insofern ist Berlin ein Vorreiter gewesen. Dennoch hat man nicht konsequent genug aufgearbeitet, was noch bis in die jüngere Vergangenheit hin gekauft worden ist und hat sich allzu leichtgläubig Geschichten erzählen lassen.

Lukanischer Glockenkrater des Pisticci-Malers mit Theseus, 5. Jh. Das Gefäß wurde 1993 aus der Sammlung Brommer als Schenkung erworben. Den Glockenkrater hat er im Sommer 1980 vom Schweizer Händler Francesco Italiano erworben. Allerdings gehört auch dieses Gefäß zu den Objekten, die in Verbindung mit Giacomo Medici stehen und Gegenstand der Ermittlungen der italienischen Behörden gegen den Kunsthändler waren. Auch von diesem Gefäß existiert ein Foto in nicht restauriertem Zustand, dass bei Medici in dem Lagerraum für illegal ausgegrabene Objekte beschlagnahmt wurde. Damit liegt auch hier eine Raubgrabung sehr nahe. © Antikensammlung / Johannes Laurentius
Ist diese Rückgabe in Verbindung zu sehen mit dem Positionspapier der Staatlichen Museen zum Umgang mit Antiken?
Das lief zwar parallel, es gibt aber trotzdem einen Zusammenhang. Die archäologischen Sammlungen der Staatlichen Museen haben sich einen klaren Auftrag gegeben: Wir wollen transparent sein, wir müssen mit der Geschichte unserer Sammlungen und ihren eventuellen Problematiken an die Öffentlichkeit gehen. Gleichzeitig braucht es die Offenheit für Diskussionen und für den Austausch mit anderen archäologischen Museen. Neben der juristischen Ebene gibt es auch die moralische. Unabhängig vom Positionspapier hat man uns von italienischer Seite immer wieder auf diese Vasen angesprochen. Das Positionspapier und die Vasenrückgabe sind parallele Stränge, die aber letztendlich zu ein und demselben Ziel führen.
Sind die Berliner Museen auch international Vorreiter?
Global gesehen haben die amerikanischen Museen wie das Metropolitan in New York und das Getty in Los Angeles mindestens zeitgleich ihre Geschichten aufgearbeitet. Die waren zum Teil einem noch stärkeren Druck ausgesetzt. Gerade das Getty hat ja eine Sammlung, die erst in jüngerer Vergangenheit überhaupt aufgebaut wurde und fast ausschließlich vom Kunstmarkt stammt. Im europäischen Kontext geht es eher um Grabungen aus dem 19. Jahrhundert und daraus folgende Fundteilungen, was ja auch bei uns ein Thema ist. Bestes Beispiel ist der Streit zwischen dem British Museum in London und Griechenland.

Ca. 31 cm hoher Apulisch-rotfiguriger Skyphos aus dem 4. Jh. v. Chr. mit der Abbildung eines weiblichen Kopfes, zugeschrieben dem Armidale-Maler zugeschrieben. Restituiert an Italien 2024 © Antikensammlung / Johannes Laurentius
Nun gehen nicht nur 25 Objekte zurück nach Italien, sondern es kommt dafür auch etwas aus Italien nach Berlin. Was wird das sein?
Das ist für uns eines der wichtigsten Elemente dieser freiwilligen Restitutionsaktion. Aufgrund von Verjährung und anderer Aspekte gibt es nämlich keinen juristischen Zwang, diese Vasen zurückzugeben. Es wurde eine Kooperation vereinbart, wonach Objekte aus Italien längerfristig als Leihgaben nach Berlin kommen. Bei der Auswahl haben wir uns auf Objekte konzentriert, die es in unserem Bestand so gut wie gar nicht gibt. Das sind vor allem Malereien aus Gräbern der so genannten Lukaner, einem einheimischen Volksstamm Italiens, der sich im vierten Jahrhundert vor Christus in Richtung Griechenstädte an die Küste bewegt und sehr viele Kriegergräber hinterlassen hat, die mit entsprechenden Dekorationen versehen sind - also Krieger zu Fuß, zu Pferd, oder Krieger, die sich von ihren Frauen verabschieden. Wir bekommen also Objekte, die alle aus der Region kommen, aus der auch die Vasen stammen. Und sie sind aus ähnlicher Zeit.
Die Vasen waren ein Highlight der Sammlung. Schmerzt Sie die Rückgabe nicht auch?
Das war absolut ein Highlight der Sammlung! Seitdem die Vasen in Berlin waren, wurden Sie prominent präsentiert. Das war schon im Charlottenburger Antikenmuseum so, wo ein ganzer Raum extra für sie eingerichtet wurde. Bei der ersten Ausstellung im Alten Museum von 1998 bis 2010 war das nicht anders. Seit 2011 stehen die Vasen direkt hinter der Göttin von Tarent, in einer großen Vitrine, von fast allen Seiten ansichtig, schön arrangiert, so dass sie in der ganzen Monumentalität erfahrbar sind. Das ist ein Verlust, gar keine Frage.
Es handelt sich um sehr qualitätvolle Vasen, die auch innerhalb dieser Gattung herausragen - stilistisch und ikonografisch. Man muss die Erwerbung auch im Kontext der damaligen Zeit sehen. Berlin war geteilt und West-Berlin besaß keine apulischen Vasen, Ost-Berlin hingegen schon. Die Ost-Berliner Vasen stammten aus altem Besitz aus dem frühen 19. Jahrhundert. Heute befinden sie sich in der vereinten Sammlung, die Gattung wird also weiterhin vertreten sein. Insofern ist der Verlust ist groß, aber nicht unersetzlich, weil wir durch die alte Sammlung zum Glück Vergleichbares haben. Und jetzt kommen noch die Leihgaben hinzu.

Dieses Sammlungshighlight geht zurück nach Italien: Die Apulischen Vasen im Alten Museum© Antikensammlung / Johannes Laurentius
Steht schon fest, wo und wie die Vasen in Italien gezeigt werden?
Das können wahrscheinlich selbst die Italiener jetzt noch nicht beantworten. In Rom gibt es ein Museum für Schätze, die man aus dem Ausland zurückgeholt hat. Das ist ein sehr schöner, achteckiger, überkuppelter Raum innerhalb des Komplexes der Diokletiansthermen nahe dem Hauptbahnhof Stazione Termini, der vor einigen Jahren hergerichtet wurde. Das wäre ein möglicher Ort. Möglich ist aber auch, dass die Vasen in die Herkunftsregion zurückkehren. Also nach Apulien.