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Die Relativität des GlücksEin Workshop mit Tiefgang

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In direkter Nachbarschaft zum Weltkulturerbe Museumsinsel Berlin liegt der Dreh- und Angelpunkt der Vermittlungsarbeit der Staatlichen Museen zu Berlin: Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung. Mit Kunstwerken in Verbindung treten können hier alle – Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Das Zentrum ist Start- und Endpunkt von Expeditionen in die Museen unter Anleitung kompetenter Vermittler*innen. Das SPKmagazin hat eine Berliner Schulklasse dabei begleitet, wie sie sich in der Alten Nationalgalerie auf die Suche nach dem Glück begibt.

„Bin ich eigentlich glücklich?“ – eine Frage, die viele Menschen zum Grübeln bringen kann und Alltägliches hinterfragen lässt. Das Streben nach Glück oder einem Zustand von Glückseligkeit scheint auf jeden Fall Zeitgeist zu sein. Schlechte Nachrichten aus allen Ecken der Welt, in Echtzeit aufs Handy, tragen nicht gerade zum Wohlbefinden bei und können eine*n sogar aus der Bahn werfen.

Umso wichtiger scheint heute die Beschäftigung mit dem persönlichen, individuellen Glück und der Frage, wie es erreicht werden kann. Glücksversprechen sind so alt wie die Menschheit und allgegenwärtig: Selbst der morgendliche Teebeutel verspricht eine „zitrusfrische Glücksmischung“. Aber reicht das für moderne Glücksuchende? 

Schüler*innen sitzen an einem langen Tisch in einem Workshopraum
Einblicke in den Workshop "Mit Bildern erzählen". Foto: SMB / Laura Fiori
Schüler*innen sitzen in einem modernen Workshopraum
Einblicke in den Workshop "Mit Bildern erzählen". Foto: SMB / Laura Fiori
Einblicke in einen Workshop im Haus Bastian
Einblicke in einen Workshop im Haus Bastian. Foto: SMB / Valerie Schmidt

Böser Blick und Winkekatze

Im Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung der Staatlichen Museen zu Berlin gibt es jedenfalls einen vierstündigen Workshop speziell für Schulklassen zum Thema „Wie sieht Glück aus? Glücksdarstellungen“. Ausgehend von den eigenen Glücksvorstellungen und den Kunstwerken in den Sammlungen der Staatlichen Museen sollen die Teilnehmenden selbst künstlerisch aktiv werden – mit eigenen Druckstöcken im Hochdruckverfahren.

Die sechste Klasse von Frau Burkhardt aus der Schule am Senefelder Platz stellt sich unter Anleitung von Kunstvermittler Fritjof der Herausforderung und geht auf Glückssuche. Es wird deutlich, dass viele Kinder zu abstrakten Konzepten wie „Glück“ und „Unglück“ bereits sehr konkrete Vorstellungen haben. Als glücksfördernd werden immer wieder zwischenmenschliche Kontakte genannt. Glück entsteht im Austausch mit dem besten Freund, der besten Freundin oder dem in Marokko lebenden Cousin.

Ein Großteil der Klasse hat Wurzeln und Verbindungen in andere Länder und bringt dieses interkulturelle Wissen mit ein. Viele sind bereits mit den Glücksbringern und ihren Geschichten vertraut, die Fritjof mitgebracht hat: Vom Nazar-Amulett, das im Volksglauben vieler Kulturen im Mittelmeerraum vor dem „bösem Blick“ und Ungemach schützen soll, über den seit dem Altertum als Glücksbringer beliebten Skarabäus bis hin zur ikonisch-omnipräsenten „Winkekatze“ (japanisch: Maneki-neko), die einer Überlieferung zufolge auf eine Tempelkatze zurückgeht, die einem japanischen Fürsten durch Herbeiwinken vor einem Blitzeinschlag rettete. Menschen waren schon immer auf der Suche nach dem Glück – und Glücksbringer halfen beim Schummeln.

Blick in einen Ausstellungsraum
"Die sieben mageren Jahre" in der Alten Nationalgalerie. Foto: SMB
Wandgemälde
Die sieben fetten Jahre. Lunette aus dem achtteiligen Zyklus aus der Casa Bartholdy in Rom (Philipp Veit, 1816-1817). Foto: CC BY-NC-SA / Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Andres Kilger
Wandgemälde
Die sieben mageren Jahre. Lunette aus dem achtteiligen Zyklus aus der Casa Bartholdy in Rom (Friedrich Overbeck, 1816-1817). Foto: CC BY-NC-SA / Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Andres Kilger

„Nicht ganz gesund“: Vorbei an fetten Jahren

Doch wie sieht es mit den „Glücksdarstellungen“ aus? In diesem Teil des Workshops geht es zur Kunst, genauer gesagt in die Tiefen der Alten Nationalgalerie. In deren umfassender Sammlung von Gemälden aus Romantik bis Impressionismus findet sich die Dichotomie des Glücks in all ihren Facetten wieder. Fritjof verweilt mit einer Gruppe von Kindern vor dem achteiligen Zyklus der Josephsgeschichte aus der Casa Bartoldy in Rom. Diese Fresken, die Anfang des 19. Jahrhunderts von romantischen Künstlern für den preußischen Generalkonsul in Rom gemalt wurden, sind seit 1887 in der Alten Nationalgalerie zu sehen. Im Zyklus vis-à-vis hängen die Werke Philipp Veits „Die sieben fetten Jahre“ und Friedrich Overbecks „Die sieben mageren Jahre“ – Parabeln für glückliche und unglückliche Zeiten.

Erstaunlich am Feedback der Schüler*innen ist nicht nur die Feststellung, dass die Babys der „fetten“ Jahre ja auch nicht „ganz gesund“ aussähen (Glück ist eben relativ). Ein Schüler war sogar bestens mit der Josephsgeschichte aus dem 1. Buch Mose vertraut, die neben jüdischer und christlicher Bibel auch in Sure 12 des Korans Erwähnung findet. Außer Glück und Unglück zeigt die im Bilderzyklus vermittelte Story so auch die gemeinsamen Wurzeln der großen monotheistischen Weltreligionen, wie Vermittler Fritjof betont. Es klingt auf jeden Fall zivilisatorisch glücksfördernd sich der Gemeinsamkeiten bewusst zu werden anstatt sich gegenseitig zu bekriegen.

Momente glücklicher Einsamkeit

Im 250. Geburtstagsjahr des Starmalers der Romantik darf natürlich auch Caspar David Friedrich nicht fehlen. Wenn auch einige seiner bekanntesten Werke zurzeit in Hamburg gastieren, so üben Motive romantischer Sehnsucht immer noch eine große Faszination auf junge Museumsbesuchende aus. Ausgerüstet mit Zeichenbrett, Papier und Bleistift sollen die Kinder ihre Lieblingsarbeiten finden und abzeichnen. Die meisten wählen Motive des Vorreiters der Moderne, dem ab dem 19. April 2024 eine große Sonderausstellung in der Alten Nationalgalerie gewidmet ist.

In Friedrichs Bildern, die im Geiste der Romantik starke Gefühle wie Fernweh, Naturehrfurcht und Sehnsucht zeigen, finden sich auch oft glückliche Momente der Einsamkeit, sagt Fritjof: Ist die „Frau am Fenster“ (1822) einsam und unglücklich, weil sie alleine am Fenster steht? Oder strahlt sie nicht doch eine Grundgelassenheit aus, die wir uns in unserer hektischen Zeit so oft wünschen?

Modernes Gebäude auf der Berliner Museumsinsel

Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung

Haus Bastian ist ein Ort für ein breites Publikum: Schüler*innen und Studierende, Kinder und Familien, Jugendliche und Erwachsene. Sie finden hier in zentraler Lage einen idealen Startpunkt, um in alle 15 Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin auszuschwärmen und ihre Beobachtungen, Erfahrungen und Fragestellungen in kreativer Form nachzubereiten, zu erweitern und zu diskutieren. Neben großen regionalen wie überregionalen Bildungsprojekten, die hier umgesetzt werden, bietet Haus Bastian ein Forum, um über aktuelle und zukunftsweisende Fragestellungen der Bildungsarbeit wie gesellschaftliche Teilhabe, Inklusion oder politische Bildung zu verhandeln.

Foto: SMB / Juliane Eirich

Im Anschluss geht es zurück ins Haus Bastian, um Eindrücke und Zeichnungen zu reflektieren. Mit geschärftem Blick erstellen die Schüler*innen nun Selbstportraits. Dabei kommen unterschiedliche Hilfsmittel wie Spiegel, Videoprojektionen und sogar eine Camera obscura zum Einsatz. Anschließend werden die Werke auf Styreneplatten (eine Art dünne Styroporplatte) übertragen. Diese fungieren dann als Druckstöcke für die Selbstportraits, die im Hochdruckverfahren mit Linoldruckfarbe zu Papier gebracht werden.

Obwohl der Workshop ganze vier Stunden ging, sind die Kinder bis zum Ende begeistert dabei und man kann sich dem Eindruck nicht verwehren, dass der Tag abseits schulischen Alltags den einen oder anderen Glücksmoment beschert hat.


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