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Mondtöpfe, Stoffbündel und ein Schiffscontainer

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Mit der Ausstellung (Un)Folding Bottari hat die südkoreanische Künstlerin Kimsooja hellsichtig-diskrete Interventionen für das Museum für Asiatische Kunst und das Ethnologische Museum des Humboldt Forums entwickelt.

Mobilität ist das zentrale Element der Moderne – Gedanken, Erfindungen, Traditionen, alles ist in Bewegung und wandert von Ort zu Ort, von Land zu Land, und ähnlich tun es die Menschen. Sie verreisen aber nicht nur wohlgelaunt oder ziehen hoffnungsvoll um, sie müssen oft auch Hals über Kopf vor Unruhen, Kriegen, Naturkatastrophen fliehen. Im westlichen Kulturkreis ist es meist ein Koffer, in dem im Notfall die nötigsten Habseligkeiten mitgenommen werden. In Südkorea ist das anders, wie die Ausstellung „Kimsooja - (Un)Folding) Bottari“ der 1957 geborenen Konzeptkünstlerin Kimsooja im Humboldt Forum zeigt. Sie hat im Museum für Asiatische Kunst und im Ethnologischen Museum eine Anzahl von prall gefüllten, farbenfrohen Stoffbündeln verteilt. Diese skulpturalen Gebilde sind strahlend rot oder grün oder gelb, oft gemustert, immer rund, oben verschnürt. Meist sind es Bettlaken, die traditionell und bis ins 20. Jahrhundert für solche Bottaris benutzt wurden. Oder sollte man zweckentfremdet sagen? In ihnen lässt sich jedenfalls alles verstauen, was man bei einem mehr oder weniger hastigen Aufbruch zusammenpacken muss. Sie schützen und verhüllen, was sie enthalten. Einerseits verweisen sie auf Heimat, andererseits auf Heimatlosigkeit, auf Hausstand wie auf Migration.

Die international vertretene Künstlerin hat einige ihrer Bottaris zum Beispiel 2017 bei der documenta 14 präsentiert. In den Sammlungen im Humboldt Forum erscheinen sie jetzt wie apart bunte Kontrapunkte, prononciert zwischen den Vitrinen in den verschiedenen Räumen verteilt. Sie liefern irritierende Akzente, die als elegante Interventionen den Museumskontext betonen und übersteigen. Im Ethnologischen Museum etwa stehen zwei filigrane Baguette-Wagen aus Metallgeflecht, wie sie in Frankreich für das Anliefern der Brotstangen verwendet wurden. In ihnen sind nun allerdings Bottaris untergebracht. Dies erinnert an die Einkaufswagen von Obdachlosen, die man auch hierzulande kennt. Die Baguette-Wagen stammen aus der Reihe „Deductive Objects“, in der Kimsooja Alltagsgegenstände in ihre künstlerische Praxis integriert und nachhaltig weiterverwendet. Aufgebaut sind sie zwischen hohen, schwarz-weißen Fotowänden, was ihre Farbigkeit noch unterstreicht. Die historischen Fotos vertiefen das Thema „Den Westen entdecken“ anhand der politischen Verhältnisse im 19. Jahrhundert. „Der Einbezug der osmanischen und iranischen Wirtschaft in den kapitalistischen Weltmarkt führte zu einer immer größer werdenden Abhängigkeit von Europa“, heißt es da. Im Spannungsfeld dieser Machtkämpfe mit ihren folgenschweren gesellschaftlichen Instabilitäten passen die Bottaris als Kollateralschäden der globalen Umbrüche überzeugend in die Dauerausstellung. Wie Fundstücke einer entwurzelten Zivilisation treten sie mit den vorhandenen Exponaten in einen interdisziplinären und philanthropischen Dialog.

 

Nähen und Malen mit der Nadel

Kimsoojas künstlerisches Spektrum ist, wie die vierzehn Werke und Werkgruppen belegen, überaus vielschichtig. Besonders fallen natürlich die großen, hellen „Moon Jars“ („Deductive Object - Bottari“) auf, die sich auf einem ovalen Spiegelpodest erheben, in dem sich ihre wunderbar organischen Formen verdoppeln. Diese „Mondtöpfe“ dienten im 18. Jahrhundert als Vorratsgefäße und sind heute eine symbolträchtige Ikone der koreanischen Kunst. Kimsoojas Varianten entstanden in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen, wo die sphärischen Körper aus dem „weißen Gold“ gedreht – nicht gegossen - und entgegen sonstigen Meissen-Standards mit rauen, unebenen, unglasierten Oberflächen hergestellt wurden. Das entspricht den Originalen, in denen sich ebenfalls Gebrauchsspuren, Risse, Kratzer und Flecke von durchgeschlagenen Speisen abzeichneten. Hier sind die Gefäße jedoch nicht offen, sondern weisen oben bloß ein winziges Loch auf, mit dem Kimsooja deren ursprüngliche Bedeutung zitiert. Nun bergen sie statt Vorräten eine Leere und eine Dunkelheit, die wir nicht sehen, indes als imaginäre Wissensspeicher für die Zukunft nutzen können.

Fotografie einer in schwarz gekleideten, mittelalten Frau in einem Ausstellungsraum
Portrait der Künstlerin in ihrer Ausstellung. Foto: © SPK / Pierre Adenis
Ein grünes Stoffbündel vor Glasschrank
Die Künstlerin hat im Museum für Asiatische Kunst und im Ethnologischen Museum eine Anzahl von prall gefüllten, farbenfrohen Stoffbündeln, sogenannte Bottaris, verteilt. Foto: © SPK / Pierre Adenis
Einkaufswägen gefüllt mit bunten Stoffsäcken
Im Ethnologischen Museum stehen zwei filigrane Baguette-Wagen aus Metallgeflecht, wie sie in Frankreich für das Anliefern der Brotstangen verwendet wurden. In ihnen sind nun allerdings Bottaris untergebracht. Foto: © SPK / Pierre Adenis
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Kimsoojas Varianten der koreanischen „Moon Jars“ entstanden in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen. Foto: © SPK / Pierre Adenis
gelbe Wände mit seltsam-bunten Objekten auf ihnen, dazwischen eine Buddha-Statue
In „To Breathe: Mandala“ (2010) drehen sich zwei Vintage-Jukebox-Lautsprecher auf gelben Wänden meditativ im Kreis. Foto: © SPK / Pierre Adenis
ein großes, altes Gebäude, davor ein bunter Schiffscontainer, im Hintergrund der Berliner Fernsehturm
Ein alltägliches Objekt, kreativ umgedeutet: Schiffscontainer auf dem Vorplatz an der Südseite des Humboldt Forums. Foto: © SPK / Pierre Adenis

Porzellan ist für Kimsooja überhaupt ein inspirierendes Material, wie die Reliefplatten aus Biskuitporzellan zeigen. Für „Sewing into Soil: Invisible Needle, Invisible Thread“ perforierte sie die noch feuchte Porzellanmasse mal langsam, mal schnell in variierendem Rhythmus und in unterschiedlichen Richtungen. Dadurch bilden sich inhomogene Oberflächen, die rein optisch an eine Partitur für serielle Musik und mit ihrer Haptik an die Braille-Schrift denken lassen sowie überdies den horizontalen und vertikalen Strukturen des Yin und Yang zu folgen scheinen. Malen mit der Nadel – auch das kann Kimsooja, zumal wenn ein Qualitätspartner wie die Porzellan-Manufaktur Meissen zur Seite steht.

Vielleicht, weil alles mit allem zusammenhängt und im hybriden Austausch ist, hat sie eine graphische Darstellung der Schwingungen ihres Atems während einer Klangperformance als digitale Stickerei auf Seide gebracht und damit Immaterielles greifbar gemacht („One Breath“, 2014/2016). Oder sie hat ortsspezifische Textilarbeiten angefertigt, wie das doppelbödige Video „Sewing into Walking – Kyungju“ erzählt, in dem man sie sieht, wie sie in Gwangju Stoffteile vom Boden einsammelt und daraus ein Bündel schnürt – und im Kontext einer weiteren Performance – zugleich an die Studierendenproteste von 1980 gegen die damalige Militärdiktatur erinnert: Nähen als verbindende Kulturtechnik, da ist der Faden der Ariadne nicht weit, der den Weg in die Freiheit verspricht.

 

Unterschiede, die sich leise versöhnen

Einerseits kontemplativ in fernen Gefilden, andererseits hoch sensibel für die Gegenwart – Kimsoojas stille Kunst verknüpft so demütig wie selbstbewusst die Räume, Zeiten und kulturellen Praktiken. Bei aller Präsenz im Augenblick wirkt sie stets narrativ mobil und geistig flexibel, wie auch die zwei Vintage-Jukebox-Lautsprecher in „To Breathe: Mandala“ (2010) belegen. Mandalas (Sanskrit: Kreise) sind Diagramme, die das Universum interpretieren und auf spirituelle Erfahrungen verweisen. Sie sind bei ihr aber weder gemalt noch aus Farbpulver geformt, sondern werden durch die leuchtenden Jukebox-Lautsprecher verkörpert, die sich auf gelben Wänden meditativ im Kreis drehen. Die Tonspuren für dieses Ready-Made in den fünf typischen Farben des koreanischen Spektrums (Obangsaek) – schwarz, weiß, gelb, rot, blau - hat Kimsooja neu eingespielt: Zum einen hört man den rhythmisch vibrierenden Atem der Künstlerin, zum anderen gregorianische und tibetische Gesänge sowie islamische Gebetsrufe. Der Bezug zum Museumskontext ist hier besonders ausgeprägt, denn zwischen den beiden Lautsprechern befindet sich eine Bodhisattva-Skulptur aus der Song-Dynastie in der Wasser-Mond-Pose, sitzend mit aufgestelltem rechten und abgewinkeltem linken Bein. Dieses kontemplative Ensemble ergänzt sich trotz der inhaltlichen Differenzen durch subtil korrespondierende Analogien: Alles ist im Fluss und dabei hoch konzentriert, völlig in der Zeit und doch beredt darüber hinaus.

So schafft Kimsooja eine Art von universeller Transzendenz, in der sich die Widersprüchlichkeiten der Welt leicht, leise und friedlich versöhnen. Die ausgesuchten Örtlichkeiten im Museum für Asiatische Kunst und im Ethnologischen Museum werden zu Resonanzräumen für eine künstlerische Praxis, die globale Themen auf eine persönliche Weise reflektiert, welche freilich auch als allgemeine Metaphorik gelesen werden kann. Wie der in den obangsaesk-Farben bemalte Schiffscontainer draußen auf dem Vorplatz an der Südseite des Humboldt Forums: Ein alltägliches Objekt, das kreativ umgedeutet wurde und auf die Realität der Ausstellung im 3. Obergeschoss verweist wie auf die Metaebene von Bewegung und Transformation. Oder, wie es Kimsooja einmal selbst sagte: „Mir geht es um die Ganzheit der Wahrnehmung und um deren Umsetzung.“

Einkaufswägen gefüllt mit bunten Stoffsäcken

Kimsooja: (Un)Folding Bottari. Humboldt Forum, Schloßplatz, 10178 Berlin, im Museum für Asiatische Kunst und im Ethnologischen Museum; Mo, Mi, Do, Fr, Sa, So 10:30 – 18:30 Uhr, Di geschlossen, Eintritt ist frei.


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