Das Weltkulturerbe auf der Museuminsel hat eine unsichtbare Vorgeschichte. Dazu gehört ein Garten, den der Philosoph und Kunstwissenschaftler Johann Georg Sulzer in der Mitte des 18. Jahrhunderts anlegte und zu einem Ort der Reflexion über das Kunstschöne und Treffpunkt der Berliner Aufklärung machte. Eine Spurensuche.
Ein Eigenheim mitten in der Stadt, idyllisch am Wasser gelegen, umgeben von einem weitläufigen Gartengrundstück – dieser Traum konnte in der Mitte des 18. Jahrhunderts auf der heutigen Berliner Museumsinsel noch in Erfüllung gehen. Etwa dort, wo die Alte Nationalgalerie steht, wurde um 1749 eine Bastion der barocken Festungsanlage geschleift. Der aus der Schweiz stammende Gymnasialprofessor Johann Georg Sulzer war der erste, der auf der sumpfigen Landzunge zwischen zwei Spreearmen bauen durfte. Er schwärmte 1751 in einem Brief an einen Freund in der Heimat, den Philologen Johann Jakob Bodmer: „Der König hat mir ein fürtreffliches Stück Land mitten in der Stadt geschenkt, da ich ein Haus bauen will. Ich werde dabei des Epikurs Garten wieder herstellen und mitten in der Stadt zwischen zwei Flüssen und nur ein paar Steinwürfe weit von dem Königlichen Schloss ein Landgut haben.“
Sulzer, 30 Jahre alt, hatte im Vorjahr geheiratet und war in die Berliner Akademie der Wissenschaften aufgenommen worden, allerdings ohne zusätzliches Gehalt. Seinen Brotberuf als Mathematiklehrer im Joachimsthalschen Gymnasium fand er „höchst unangenehm“, wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt, denn „unter der zahlreichen da studierenden Jugend war kein Schatten von guter Disziplin“. Um den Kopf freizubekommen, legte der vielseitig interessierte Gelehrte in seinem Garten gerne selber Hand an. Die Botanik zählte zu Sulzers lebenslangen Leidenschaften und der Artikel über Gartenkunst in Sulzers ab 1771 erschienener Enzyklopädie „Allgemeine Theorie der schönen Künste“, ist noch heute lesenswert. Sulzer empfahl, die Natur zur Richtschnur zu nehmen und warnte vor „zu viel Kunst und Regelmäßigkeit“. Entsprechend naturnah dürfte Sulzer, ein Freund englischer Landschaftsgärten, seinen Hausgarten auf der Museumsinsel angelegt haben.
Ein Gedicht auf das Elysium
„Ich bin auf allen Seiten mit Wasser und Bäumen umgeben und Schwanen kommen in Herden an meinen Garten. Daselbst kann ich zu Schiff gehen und, ohne gesehen zu werden, außer der Stadt fahren. Längs der einen Seite des Gartens ist einer der schönsten öffentlichen Spaziergänge, und mit dem allem bin ich in dem Mittelpunkte der Stadt“, schrieb Sulzer 1752, da waren die Bauarbeiten am Haus noch im Gange. Damals führte ein beliebter Spazierweg von der heutigen Friedrichsbrücke am südlichen Spreeufer entlang bis zur Weidendammer Brücke, heute ist dieser Pfad durch das bis ans Wasser reichende Bodemuseum versperrt. „An seinem Rücken schwillt auf grünenden Terrassen / Ein Garten sanft zum schönsten Tempel an: / Hier schwitzt Vertumnus, ihn in Lauben einzufassen / Und Bacchus pflanzet Traubenhügel dran. // Er ziert dein stilles Haus, worin die Weisheit wohnet, / O Sulzer! den sie ihren Liebling nennt / Und ihm mit Freuden der Natur sein Forschen lohnet / Die nur ihr Schüler schätzt und kennt“, so hat die Dichterin Anna Louisa Karsch 1761 das Sulzersche „Elysium“ in einem Gedicht auf die Uferpromenade am Weidendamm besungen.
Die Karschin war mit Sulzer über Jahre hinweg befreundet, und ihr Gedicht gibt einen Fingerzeig darauf, dass das Anwesen zu den denkwürdigen Adressen der Berliner Aufklärung zählte. Denn Sulzer war einerseits Mitglied und seit 1776 Direktor der philosophischen Klasse an der international besetzten Klasse der Akademie der Wissenschaften, gleichzeitig war er gut vernetzt mit bürgerlichen Autoren wie Lessing, Nicolai, Mendelssohn und Ramler. In dem von Sulzer mitgegründeten „Montagsklub“ traf man sich, aber gerne auch in den Berliner Gärten. Sulzer machte den brillanten Netzwerker und Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim mit der Stehgreifpoetin Anna Louisa Karsch bekannt. Die beiden Männer sorgten dafür, dass ihre „Auserlesenen Gedichte“ zum Druck gelangten, um der alleinerziehenden Poetin durch den Verkaufserlös eine dauerhafte Existenz in Berlin zu ermöglichen.
Mit dem Maler Anton Graff, dem wir ikonische Porträts der bürgerlichen Aufklärer verdanken, verband Sulzer eine besonders enge Beziehung: Graff heiratete 1771 Sulzers Tochter Elisabeth Sophie Auguste. Graff hat seinen Schwiegervater, seine Ehefrau und Enkel mehrfach ins Bild gesetzt. Das anmutige Porträt von Sulzers Tochter mit der Enkelin Caroline Susanne schenkte Graff dem befreundeten Kupferstecher Daniel Chodowiecki, es hängt heute in der Berliner Gemäldegalerie. Chodowiecki wiederum fertigte Kupferstiche zur „Allgemeinen Theorie der Schönen Künste“ und kümmerte sich nach Sulzers Tod als Vertrauensperson um dessen Nachlass, zu der auch eine Kupferstichsammlung gehörte.
Ein Porträt des Ehepaares Sulzer ist nicht bekannt, denn die Ehefrau starb bereits 1761 an den Folgen einer Schwangerschaft. Eine schwere Depression machte den Gelehrten danach arbeitsunfähig, er ließ sich vom Schuldienst beurlauben und plante, mit seinen Töchtern in die Schweiz zurückzukehren. Anfang 1764 verkaufte er das Anwesen auf der Museumsinsel. 1779 erwarb es der jüdische Hofbankier Daniel Itzig und schenkte es später seiner Tochter Sara Levy, die als Saloniére und Mäzenin das Berliner Musikleben förderte. Ein Teil des Sulzerschen Anwesens wurde noch zu ihren Lebzeiten für den Bau des Neuen Museums abgerissen, der Rest später zugunsten der Alten Nationalgalerie.
Ein neuer Garten in Moabit
Die geplante Rückkehr Sulzers in die Schweiz vereitelte jedoch Friedrich der Große, der den pädagogisch begabten Philosophen unbedingt in Berlin halten wollte. Zunächst bot er eine Pension von jährlich 200 Talern für Sulzers Verbleib an der Akademie an. Sulzer lehnte ab. Darauf folgte der unwiderstehliche Vorschlag, eine neue Schule für den Adel, die sogenannte Ritterakademie, zu leiten - bei einem Jahresgehalt von 1500 Talern. Und Sulzer bekam obendrein ein neues Wassergrundstück in Moabit zum Geschenk, weitläufig genug, um dort ein weiteres Haus mit Garten zu bauen und aus Amerika importierte Bäume anzupflanzen. Mit dem Boot über die Spree war die Innenstadt von dort sehr viel bequemer zu erreichen als auf dem Landweg. Das neue Anwesen erstreckte sich ungefähr zwischen der heutigen Lessingbrücke und der Turmstraße, in Anlehnung an Ciceros Gespräche nannte es Sulzer sein „Tuskulum“. Dort starb er nach jahrelanger Lungenkrankheit im Jahr 1779.
In Moabit und auf der Museumsinsel erinnert nichts an diesen sympathischen Philosophen und Schriftsteller, der kein trockener Stubengelehrter war, sondern von sich sagte, er lebe „mit gleicher Lust in der Welt und in dem ruhigen Wohnsitze der Wissenschaften“. Ganz im Geist der Aufklärung glaubte Sulzer an die zivilisierende Macht des Schönen in der Natur und der Kunst. Gleichzeitig verteidigte er die Fähigkeit zum Kunstgenuss als ein eigenständiges Vermögen neben Gefühl und Verstand und ebnete damit späteren Theoretikern der Kunstautonomie wie Kant den Weg. Dass sich rund um sein Gartengrundstück einmal eine „Freistätte der Kunst und Wissenschaft“ als Weltkulturerbe etablieren würde, hat Sulzer nicht ahnen können. Gefallen hätte es ihm sicher.
Weiterführende Links
- Michael Bienert: "Das aufgeklärte Berlin. Literarische Schauplätze", Verlag für Berlin und Brandenburg, Berlin 2022
- Sulzer-Digital: Informationen über Editionsprojekte und Materialien zu Johann Georg Sulzer
- "Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert": Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, bis 6. April 2025