Das Neue Museum gilt heute als Beispiel für eine behutsame und moderne Wiederherstellung eines Museumsbaus und gewann mehrere Preise. Erst kürzlich wählte der „Guardian“ das Haus auf Rang 3 der besten Bauten des 21. Jahrhunderts. Doch nicht immer stieß der Chipperfield-Entwurf auf so viel Bewunderung. Eine kleine Rückschau.
„Ist es wirklich unausweichlich, dass das 50 Jahre aufgeschobene Bauvorhaben, dessen Ausführung Millionen verschlingt, mit der Zerstörung des Objektes endet?“, fragt die Tageszeitung „Die Welt“ im April 2000. Was ist gemeint? Die ergänzende Wiederherstellung durch David Chipperfield wird von einigen Kritikern als „Abspeckung“ des Originals gesehen. Zulässig ist aus ihrer Sicht einzig die Totalrekonstruktion des Stülerbaus: „Abstrahierungsversuche, wie sie in der Restaurierungspraxis der fünfziger Jahre gang und gäbe waren, würden das Bauwerk entstellen.“ Legitimation sucht diese Meinung bei Stülers Lehrer: „Der entscheidende Hinweis auf die Unzulässigkeit eines derartigen Vorgehens stammt von Karl Friedrich Schinkel. Er hatte sich ausdrücklich gegen die ‚rein radicale Abstraction‘ verwahrt, weil sie ‚zwei wesentliche Elemente‘ ausschließe: das Historische und das Poetische.“
Ruine des Neuen Museums, 1985 © bpk / Zentralarchiv, SMB / Schreiber
Während der Entwurf Chipperfields den Befürwortern einer kompletten Rekonstruktion des historischen Zustands viel zu weit geht, geht er anderen nicht weit genug. Leicht enttäuscht konstatiert die Berliner Morgenpost unter dem Titel „Ein Sieg der Tradition“ im November 1997: „Anders als im Pariser Louvre gibt Berlin damit der klassizistischen Alternative den Vorzug.“
Es sind aber nicht nur kritische Stimmen, die sich melden. Ebenfalls im November 1997 ist die ZEIT in Bezug auf Chipperfield überzeugt: „Der Londoner gehört zu den Meistern, denen man die Aufgabe zutraut.“ Auch die Berliner Zeitung empfindet die Entscheidung für Chipperfield als „versöhnlichen Ausgang einer Kulturschlacht“.
Andere kritisieren nicht den Entwurf Chipperfields, sondern das, was die Vorgaben des Denkmalschutzes daraus machen. So urteilt etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung im November 1997: „[…] das Grundproblem der Bauaufgabe Neues Museum, die Versöhnung der Nutzerwünsche mit den Forderungen des Denkmalschutzes, vermag selbst Chipperfield kaum zu lösen.“ Auch die taz ist im November 1997 nicht zufrieden, sieht die Schuld jedoch ebenfalls nicht bei Chipperfield, sondern bei „Museumsmachern und Denkmalpflegern“. Worauf es beim Wiederaufbau wirklich ankomme: „auf die Befreiung des Neuen Museums, nicht seine denkmalgeschützte Gefangennahme.“
Dass die Zwänge des Denkmalschutzes den Entwurf stark beeinträchtigen, hält sich als Motiv der Kritik. „Sie [die Denkmalpflege] setzt voll auf Brösel. Die Ziegelmauern bleiben, aber unverputzt. Eine rohe Betonstiege soll in die oberen beiden Stockwerke führen,“ schreibt der Spiegel 2005. Der Tenor: Der Wille, das Alte zu erhalten, geht so weit, dass als Resultat nur eine instandgesetzte Ruine herauskommen kann, anstatt das Museum wiederherzurichten. „Stillschweigend hat das Berliner Denkmalamt dem Briten ein anderes Konzept aufgeschwatzt. Und das zielt auf Bruch und Verfall. Die Wunden, die der Luftkrieg schlug, sollen sichtbar bleiben.“
Aber auch außerhalb der Presse regt sich Widerstand. Unter dem Motto „Rettet die Museumsinsel“ sammelt 2007 eine Initiative Unterschriften gegen den Entwurf Chipperfields – dieser stelle durch seine sichtbaren Ergänzungen den Krieg und die Schäden in den Vordergrund. Stattdessen solle das Haus in seiner ursprünglichen Form komplett rekonstruiert werden. Auch der Entwurf für das neue Eingangsgebäude ist der Initiative ein Dorn im Auge. Zwar wird die Unterschriftensammlung bald beendet, doch kurze Zeit später wird wieder mobilisiert – diesmal für das Volksbegehren „Historische Mitte“, das dann allerdings auch (ohne die erforderliche Stimmenzahl) abgebrochen wird.
Der bereits stark fortgeschrittene Bau findet nun immer mehr wortreiche Unterstützer. „Chipperfields abstrakte Projekte sind ein Wagnis. Doch passt das zur Geschichte der Museumsinsel“, schreibt die Berliner Zeitung im März 2007. „Rekonstruktionen sind Feinde der Originale. Nur die schrundigen Reste der Fassaden von 1850, ihre verblassten Farben und tiefen Risse erzählen uns, dass dieses Gebäude nicht alt aussieht, sondern alt ist. Wenn daneben nun glatter Putz tritt, wird schnell auch das Alte geliftet werden.“
2009, vor zehn Jahren, eröffnet schließlich das wiederhergestellte Neue Museum und fügt sich – allen Befürchtungen zum Trotz – harmonisch in das Ensemble der Museumsinsel. Die Reaktionen auf die Fertigstellung sind dementsprechend durchweg positiv. Die Zeitschrift „Bauwelt“ etwa lobt zur Eröffnung die „stupende Detailperfektion“ Chipperfields und urteilt: „Die ‚ergänzende Wiederherstellung‘ des Neuen Museums ist zu einer einzigartigen atmosphärischen Raumfolge geworden. Neue, auf den ersten Blick archaisch wirkende Einbauten von David Chipperfield machen die inneren Struktur des Stülerbaus wieder sichtbar.“
Nicht nur die Architekturkritik frohlockt. Was viel wichtiger ist: Auch und vor allem diejenigen, die das Haus nutzen, sind begeistert, die Besucherinnen und Besucher. Seit zehn Jahren ist das Neue Museum eines der beliebtesten und meist besuchten Häuser der Museumsinsel – nicht trotz, sondern auch wegen der Architektur.