Die freiberufliche Restauratorin Anke Scharrahs widmet sich seit mehr als 25 Jahren der Erforschung, Konservierung und Restaurierung von prächtig bemalten und verzierten Holzvertäfelungen aus Syrien. Seit 2003 ist Scharrahs mit verschiedenen Fragestellungen und seit 2020 mit der praktischen Konservierung und Restaurierung des Aleppo-Zimmers im Museum für Islamische Kunst betraut. 2024 steht zudem der Umzug des Zimmers innerhalb des Pergamonmuseums an. Hier beantwortet sie Ihre Fragen.
Foto: Anke Scharrahs bei der Retusche von Fehlstellen
Wie kam das Aleppo-Zimmer nach Berlin und wieso wird es im Museum gezeigt?
Scharrahs: Die Wandvertäfelung stammt aus dem Wohnhaus eines vermögenden Kaufmanns aus Aleppo, der diese reich bemalten Rahmen, Gesimse und Paneele zwischen 1600 und 1603 für das wichtigste Zimmer seines gesamten Hauses in Auftrag gegeben hatte: für den Empfangsraum für Gäste. Das Haus wechselte im Laufe der Jahrhunderte seine Besitzer und gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts der Familie Wakil.
Aus den überlieferten Archivalien geht hervor, dass die Familie Wakil ihr Haus renovieren und die 300 Jahre alte Vertäfelung verkaufen wollte. Martha Koch, eine Deutsche, die seit einigen Jahren in Aleppo lebte und in der Stadt bestens vernetzt war, erfuhr von den Verkaufsabsichten und berichtete dem sich auf der Durchreise befindlichen Kunstkenner und -sammler Friedrich Sarre davon. Friedrich Sarre war einer der ersten und damals bedeutendsten Spezialisten für Textilien und Teppiche aus der muslimisch geprägten Welt – und erkannte den einzigartigen Schatz, den diese mit kostbaren Textilmustern und figürlichen Darstellungen bemalten Vertäfelungen bedeuteten.
Sarre trieb eine beachtlich hohe Summe für den Ankauf dieser Kostbarkeit auf und sah darin einen besonderen Beitrag der „islamischen Abteilung“ des damaligen Kaiser-Friedrich-Museums (heute Bode-Museum) in Berlin, lange, bevor das „Museum für Islamische Kunst“ gegründet wurde. Das Aleppo-Zimmer ist eines der Herzstücke des heute im Pergamonmuseum beheimateten Museums für Islamische Kunst, da es mit großem Abstand das älteste und am prächtigsten geschmückte Zimmer dieser Art ist, das sich aus Syrien erhalten hat.
Im Zuge der Grundinstandsetzung des Pergamonmuseums wird das Aleppo-Zimmer restauriert, abgebaut und an einem neuen Ort wiederaufgebaut. Wie macht man das? Wie wird das Zimmer dann aussehen?
Scharrahs: Die Holzvertäfelung des Aleppo-Zimmers wird für den Umzug in Einzelteile zerlegt. Dafür werden die Paneele, Türen und Gesimse vom Rahmenwerk der je zehn Wände demontiert. Das rote Rahmenwerk der zehn Wände wird jedoch nicht in seine einzelnen Bretter zerlegt, da die großen Rahmen seit 1930 auf eine Unterkonstruktion aus Holzbrettern aufgeschraubt sind, deren Auseinanderbau eine zu starke Belastung für das über 400 Jahre alte und mit erschütterungsempfindlichen Farben bemalte Zedernholz wäre. Die Rahmen werden deshalb in ihrer Größe von 3,50 m x 2,90 m im Ganzen durch das Gebäude transportiert. Dies ist die schonendste Variante, um die Wände zu bewegen.
Am neuen Aufstellungsort wird die ursprüngliche Architektur des Raumes in höherem Grade rekonstruiert, als es am bisherigen Aufstellungsort seit 1960 der Fall war. Das Niveau des Fußbodens und der umlaufenden Sockelzonen wird korrigiert und den originalen Größenverhältnissen entsprechen, so dass man die prächtige Vertäfelung aus der gleichen Perspektive bewundern kann, wie es im Ursprungshaus der Fall war.
Oberhalb der Vertäfelung werden umlaufend Wände gebaut, so dass die Kubatur des ursprünglichen Raumes wiederentsteht. Dadurch können auch die vier Gitterfenster (mashrabiya), die seit dem Ankauf 1912 im Depot lagern, wieder oberhalb der Vertäfelung in die Wandflächen eingebaut werden. Die fünf Fenster innerhalb der Vertäfelung, die ursprünglich zum Innenhof des Hauses gerichtet waren und in der bisherigen Aufstellung mit geschlossenen Fensterläden ausgestellt waren, werden in der Neuinstallation geöffnet präsentiert, so dass Licht durch die Fenster einfallen und die Besucher*innen den Raum besser verstehen können. Am neuen Aufstellungsort ist bereits eine speziell errichtete Stahlunterkonstruktion gebaut, an die die Holzvertäfelung an geeigneten Stellen so befestigt wird, dass das Holz sich bewegen kann, aber die Vertäfelung trotzdem stabil steht.
Im Zentrum des Raumes ist bereits ein Steinmosaikfußboden verlegt, der sich am noch existierenden Originalfußboden des Ursprungshauses in Aleppo orientiert und einen Eindruck von der als Gesamtkunstwerk konzipierten opulenten Innenarchitektur vermittelt, ohne das Original kopieren zu wollen. Der Star soll natürlich auch in Zukunft das Original sein, also die kostbar bemalte und einzigartige Holzvertäfelung aus Aleppo, die vor 425 Jahren für den Kaufmann Isa ibn Butrus in Aleppo geschaffen wurde.
ForschungsFRAGEN
Wie restauriert man eigentlich Papier? Woran erkennt man, ob ein Gemälde echt ist? Und wie spielt man denn nun Beethoven richtig? Mit den ForschungsFRAGEN geben wir Ihnen die Gelegenheit, uns Ihre Fragen zu stellen. In jeder Ausgabe des Forschungsnewsletters beantwortet ein*e Wissenschaftler*in aus der SPK ausgewählte Fragen aus der Community zu einem speziellen Thema.
Kann man es eigentlich auch in Aleppo wiederaufbauen? Wissen Sie, was Syrer*innen dazu sagen?
Scharrahs: Natürlich könnte man das Zimmer auch wieder in Aleppo aufbauen. Allerdings haben es die damaligen Besitzer, die Familie Wakil, 1912 aus freien Stücken an das Berliner Museum verkauft, als sie ihr Haus renovierten und dann jahrzehntelang als Hotel und Restaurant betrieben. Das Haus gibt es noch in Aleppo. Es wurde jedoch 2015, 2017 und bei dem Erdbeben 2023 beschädigt, und die fast 12 m hohe Kuppel, die sich über dem Mittelteil des Raumes erhebt, in dem die Holzvertäfelung ursprünglich angebracht war, ist teilweise eingestürzt. Deutsche und syrische Spezialist*innen und Handwerker*innen arbeiten jedoch daran, das Gebäude vor dem weiteren Verfall zu retten und zu restaurieren.
In den 25 Jahren, in denen ich als Restauratorin an den syrischen Holzvertäfelungen arbeite, habe ich oft gehört, dass die Syrer*innen stolz darauf sind, dass ein so außergewöhnlich schönes Zimmer im berühmten Pergamonmuseum in Berlin ausgestellt ist und es dort täglich viele Menschen bestaunen können. Sie freuen sich, dass Syrien nicht nur mit bombardierten Stadtvierteln und menschlichem Leid in Verbindung gebracht wird – die Bilder, die in der medialen Berichterstattung überwiegen – sondern dass das Aleppo-Zimmer stellvertretend für das reiche kulturelle Erbe Syriens Augen und Herzen der Besucher öffnen kann und einen anderen Blick auf ihr Land erlaubt. In den letzten Jahren haben mehr als 10.000 Syrer*innen das Zimmer in Berlin besucht und dabei auch jedes Mal ein Stück vertraute Heimat weitab von ihrem Heimatland gefunden.
Es ist jedes Mal sehr berührend zu sehen, wie dieser Raum, der dafür geschaffen wurde, Gäste zu beherbergen und zu erfreuen, eine solch starke Wirkung auf Besucher*innen hat, unabhängig davon, ob sie aus Syrien oder von woanders herstammen.
Man muss zudem auch wissen, dass man in Syrien nicht ohne weiteres solche Innenräume in den Wohnhäusern sehen kann, da es sich in den allermeisten Fällen noch immer um private Räume im Inneren der Häuser handelt, zu denen man als Fremde*r oder Tourist*in keinen Zugang hat. Allerdings gibt es auch etliche Häuser, die in den letzten Jahrzehnten zu Hotels und Restaurants umgebaut wurden. Dabei sind die historischen Holzvertäfelungen jedoch oft übermalt, lackiert oder umgebaut worden, um den Bedürfnissen heutiger Generationen zu entsprechen. Deshalb ist es aus meiner Sicht und der vieler meiner syrischen Freund*innen ein großes Glück, dass das Aleppo-Zimmer nach Berlin gelangt ist und hier allen Besucher*innen offensteht und zum Eintauchen in eine faszinierende Vergangenheit einlädt.
Das Aleppo-Zimmer mit seinen Einflüssen aus China, dem Iran, der Mongolei, Indien, der Hofkunst am Sultanshof in Istanbul und vielem mehr ist ein eindrucksvoller Beleg für die kulturelle Blüte von Aleppo um 1600, als die Stadt mit ihrer Lage an der Seidenstraße ein Zentrum von Handel, Wissenschaft, Kunst und Musik war und bereits auf eine 5000-jährige Geschichte als Stadt zurückschaute.
Man darf auch nicht vergessen, dass alles schon immer gewandert ist: Objekte, Wörter, Wissen, Güter, Lebensmittel, Musik, Baustoffe, Technologien, Menschen, Pflanzen, Tiere... Wer weiß heute in Deutschland, dass die deutsche Sprache mehr als 500 Wörter enthält, die aus dem Arabischen stammen: von Alkohol, Kuppel, Koffer und Kabel bis zu lila, Papagei und Albatros. Das Aleppo-Zimmer könnte stundenlang spannende Geschichten erzählen… Einiges davon wird am neuen Aufstellungsort erfahrbar sein.
Überwältigt Sie manchmal die kleinteilige Arbeit? Denken Sie etwas wie „Das schaffe ich nie!“? und haben Sie Angst, durch Fehler jahrhundertealte Arbeiten zu zerstören?
Scharrahs: Nein, die kleinteilige Arbeit überwältigt mich nicht. Es ist für mich eher jeden Tag ein großes Privileg und eine große Ehre, dass ich an diesem einzigartigen Kunstwerk arbeiten darf. Bereits 2003 habe ich gemeinsam mit Naturwissenschaftler*innen die Malschichten genauestens untersucht. Damals wurden Pigmente, Blattmetalle und Bindemittel bestimmt, um genau zu wissen, woraus die Malereien bestehen und mit welchen Materialien man sie restauratorisch bearbeiten darf, um sie nicht zu beschädigen. Diese umfangreichen Untersuchungen dienen dazu, zu verhindern, dass die prächtigen Malereien beschädigt oder gar zerstört werden.
Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich mich zudem sehr detailliert mit der verloren gegangenen Herstellungstechnik dieser syrischen Holzvertäfelungen beschäftigt. Darüber hinaus arbeite ich seit 25 Jahren als Restauratorin an der Bewahrung solcher holzgetäfelten Zimmer in und aus Syrien in Museen weltweit. Dank dieser Erfahrung habe ich mich ausreichend sicher gefühlt, diese besondere Arbeit am Aleppo-Zimmer auszuführen. Es war mir dabei auch immer wichtig, mein gesammeltes Fachwissen bei Konferenzen und in Publikationen mit Fachkollegen zu teilen und an syrische Restaurator*innen zu vermitteln.