Ein ehrwürdiges Haus im Herzen der InselInterview mit Anette Hüsch, Direktorin der Alten Nationalgalerie

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Seit dem 1. März 2025 leitet Anette Hüsch die Alte Nationalgalerie – mit Respekt vor der Geschichte und einer Vision für die Zukunft. Im Interview spricht sie über Chancen der SPK-Reform, neue Ausstellungsideen und die Bedeutung der Museumsinsel als lebendigen Kulturort.

Die Museumsinsel ist einer der bedeutenden Kulturstandorte in Deutschland, an dem Sie im März als Direktorin der Alten Nationalgalerie Ihre Arbeit aufgenommen haben – kommt da auch bei jemandem wie Ihnen, mit einer bereits beachtlichen Laufbahn, ein bisschen Ehrfurcht auf?

 

Ehrfurcht trifft es vielleicht nicht ganz; eher große Freude über das Amt, verknüpft mit dem Respekt vor der Geschichte des Stammhauses der Nationalgalerie, ihrem herausragenden Sammlungsbestand – und vor den Leistungen meiner Vorgänger im Amt, zusammen mit ihren Teams.

 

Sie kommen inmitten eines grundlegenden Reformprozesses in die SPK. Gerade erst haben die Museumsteams ihre Arbeit begonnen, die den Standorten mehr Autonomie bescheren sollen, auch auf der Museumsinsel. Haben Sie diese Prozesse in den letzten Monaten verfolgt? Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in dieser Transformation?

 

Ja, die Berichterstattung habe ich natürlich verfolgt. In der größeren Eigenständigkeit der Museen liegen Chancen, zugleich sind damit organisatorische Herausforderungen verbunden. Die einzelnen Cluster – wie hier das der Museumsinsel – bieten in dem neuen Gefüge die Möglichkeit, Nachbarschaften, Sammlungen und Ausstellungen zu stärken, wendiger zu werden und fokussierter zu kommunizieren. Ziel ist es ja Menschen einzuladen und ihnen bestmögliche Orientierung zu bieten, analog wie digital.

Die Alte Nationalgalerie mit ihrer herausragenden Sammlung zur Kunst des 19. Jahrhunderts ist ein ganz wichtiger Baustein im Gesamtensemble der Sammlungen auf der Insel – was sind Ihre Pläne für das Haus und wie wollen Sie die Sammlung in den Kosmos Museumsinsel integrieren?  

 

Ein kooperativer Geist auf der Museumsinsel ist wichtig und sicherlich fruchtbar. Es braucht dazu starke einzelne Häuser, die zusammen mehr sind als die Summe ihrer Teile. Ich kann mir viele Formen der Zusammenarbeit vorstellen und freue mich, über den bereits begonnenen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen!

 

Die Alte Nationalgalerie ist über die gemeinsame Sammlung mit den anderen Häusern der Nationalgalerie verbunden. Diese Sammlungseinheit gehört für mich wesentlich zum Profil des Hauses, das die Schätze des „langen 19. Jahrhunderts“ bewahrt. Mit den „Freunden der Nationalgalerie“ haben die Häuser der Nationalgalerie glücklicherweise einen sehr engagierten und treuen Partner an der Seite, der Ausstellungen und Ankäufe ermöglicht, fördert und unterstützt.

Die Lage auf der Museumsinsel, die Sammlungseinheit Nationalgalerie sowie der Schwerpunkt des Hauses bilden die spezifischen historischen, ideellen und räumlichen Bande und Verankerungen der Alten Nationalgalerie aus – auf der Museumsinsel und eben auch darüber hinaus.

Ihr Vorgänger Ralph Gleis hat Ihnen ein gut laufendes Haus hinterlassen, dass er auch mit innovativen Ausstellungsideen vorangebracht hat. Welche Aspekte der Sammlung begeistern Sie und haben Sie schon Ideen für weitere Ausstellungen?

 

Mich begeistern Vielfalt und Güte der Sammlung, zu der ich auch die Architektur zähle. Die Sammlung ist der zu pflegende, zu erforschende und zu vermittelnde Wissensspeicher – Kern und unendlich facettenreicher Impulsgeber für vielfältige Themensetzungen und Sichtachsen, im Rahmen der Sammlungspräsentation ebenso wie für Sonderausstellungen. Wie wurden gesellschaftliche Utopien und Dystopien, Brüche, Widersprüche, Erfindungen und Einflüsse künstlerisch formuliert? Inwiefern haben die Künste Entwicklungen vorausgespürt – und welche Themen interessieren aus der Gegenwart heraus, beispielsweise mit Blick auf die Sammlungsgeschichte? Das sind unter anderem Fragen, die uns in Zukunft weiter beschäftigen werden.

Die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel
Die Alte Nationalgalerie auf der Museumsinsel © Alte Nationalgalerie / David von Becker
Besucher:innen in der Alten Nationalgalerie
Besucher:innen in der Alten Nationalgalerie © Alte Nationalgalerie / David von Becker

Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte und Standortsprecher der Museumsinsel, hat letztes Jahr in einem Interview gesagt, er wolle die Insel als Ganzes in den Vordergrund rücken und noch besser die Besucherinnen ansprechen. Also im Grunde so etwas wie eine Marketing-Offensive für die gesamte Museumsinsel – wie stehen Sie dazu?

 

Die Museumsinsel gut zu bewerben, Publikumsentwicklung nachhaltig zu betreiben, unsere Besucherinnen und Besucher und deren Wünsche immer besser kennenzulernen, ebenso wie Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Interessen einzuladen, halte ich für sehr wichtig. Ich bin gespannt auf den Diskussionsstand.

 

Zu meinen zentralen Aufgaben als Direktorin der Alten Nationalgalerie gehört, das Haus in eine größere Autonomie zu führen – mit den verschiedenen Implikationen, die so ein Prozess mit sich bringt. Für das Haus sind eine starke Eigenmarke und ein klares Selbstverständnis wichtig – dazu gehört zweifellos seine Lage im Herzen der Museumsinsel.

Haben Sie ein Lieblingsobjekt in der Sammlung der Alten Nationalgalerie?

 

Derzeit freue ich mich besonders über den geglückten Ankauf von Camille Claudels „L’Implorante“ (um 1905) mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung. Die Sammlung der Nationalgalerie gewinnt damit den frühesten bekannten der kleineren Bronzegüsse des Pariser Kunsthändlers und Gießers Eugène Blot. Das Werk bereichert die bildhauerischen Positionen und erweitert den Kreis der raren Bestände von Künstlerinnen im 19. Jahrhundert. In diesem Zusammenhang sei der Besuch der Ausstellung „Camille Claudel und Bernhard Hoetger – Emanzipation von Rodin“ sehr empfohlen, die ab dem 6. Juni in der Alten Nationalgalerie zu sehen sein wird.


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