Zum Artikel „Diese Grabung ist für uns ein Glücksfall“

„Diese Grabung ist für uns ein Glücksfall“

Artikel

Lesezeit: ca.  min

Friederike Seyfried, Direktorin des Ägyptischen Museums, über die Nekropole der Qubbet el-Hawa Nord, Malereien von bestechender Schönheit und das Scherben-Puzzle

Frau Seyfried, bei Assuan, an den Ufern des Nil, legen Sie mit Ihrem Team mehr als dreitausend Jahre alte Gräber frei, die erst vor gut zehn Jahren entdeckt wurden. Erstaunt Sie das eigentlich, dass so viele Schätze des Alten Ägypten noch immer unerkannt im Sand schlummern?

Seyfried: Nein. Wir vermuten, dass noch weit mehr als ein Drittel der materiellen Hinterlassenschaften nicht ausgegraben ist. Der trockene Wüstensand schützt sie. Das ist ein großes Glück für die Objekte und bietet die Möglichkeit neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.

 „Qubbet el-Hawa-Nord“ heißt die Nekropole, an der sie jetzt arbeiten. Sie liegt rund 800 Meter nördlich des bekannten Gräberberges der „Qubbet el-Hawa“. Wie wurde sie gefunden?

Das war während der unruhigen Zeiten des sogenannten arabischen Frühlings, als die örtliche Polizei nicht sehr präsent war, zwischen 2011 und 2013. Einige Bewohner*innen des Dorfes Gharb-Assuan nutzten die Gunst der Stunde. Sie erweiterten ihr Bauland, stießen dabei auf bis dahin wohl ungestörte Felsgräber und plünderten sie systematisch, im großen Stil, mit mafia-ähnlichen Strukturen. Viele Objekte sollten wohl auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft werden. Und sicher wartet noch heute manch ein Dieb auf eine günstige Gelegenheit, um seine Beute zu Geld zu machen. Die Räuber*innen setzten schweres Gerät ein, Bagger und Presslufthammer. Dabei haben sie einen sehr schönen, mit farbigen Hieroglyphen verzierten Architraven aus einem Grab herausgebrochen.

Das ist schlimm…

Ja, aber sehr engagierte, junge ägyptische Kolleg*innen des örtlichen Inspektorats konnten dem Unwesen bald ein Ende machen. Sie konnten stabile Eisentüren vor den Grabeingängen anbringen, einige Objekte sicherstellen und sie in das staatliche Antikenmagazin überführen.

Grabungsort in der Wüste mit mehrere Personen, Draufsicht
Grabungs- und Dokumentationsarbeiten während der 2. Grabungskampagne. © Foto: SMB / S. Steiß

Und wie kamen Sie und Ihr Team dorthin?

Der damalige ägyptische Antikenminister Mohamed Ibrahim Ali war bei der ITB in Berlin und führte Gespräche mit dem SPK-Präsidenten Hermann Parzinger und mir. Er schlug eine partnerschaftliche Kooperation vor und fragte uns, ob die SPK die ägyptischen Fachleute dabei unterstützen könnte, die Qubbet el-Hawa-Nord zu schützen und zu erschließen. Wir haben da gerne zugesagt. Denn die Grabung ist für uns ein Glücksfall. So erhalten wir einmalige und neue Einblicke in die Struktur der höchsten Elite des Neuen Reichs am südlichsten Ende des damaligen ägyptischen Kernlands.

Sie haben viel Erfahrung.

Ja, seit mehr als 25 Jahren dokumentiere ich schon Gräber dieser Epoche. Aber auch für das Ägyptische Museum ist das Projekt von großer Bedeutung: Es ist das erste Mal seit 1914, seit den Grabungen Ludwig Borchardts in Tell el-Amarna, dass wir im Kernland unseres Forschungsgebiets graben können. Darum sind wir so froh über diese Partnerschaft und so dankbar, jetzt so regelmäßig vor Ort sein zu können.

Da haben Sie es mit viel Sand zu tun…

Allerdings. Wir konzentrieren uns darauf, neun bisher unbekannte Felsgräber freizulegen und zu dokumentieren. Diese Gräber – und vor allen die Grabvorhöfe – sind mit Flugsand verschüttet oder zumindest angefüllt. Dazu kommt der Aushub der Plündernden. Dieser Sand muss von Hand abgetragen werden. Für uns Ägyptolog*innen ist das Alltag. Wir haben viele örtliche Helfer*innen, die diese schwere Arbeit erledigen. Sie sieben den Sand und den Schutt, um auch noch die kleinsten Artefakte zu bergen – eben all das, was die Grabräuber*innen übriggelassen haben.

Haben Sie sich fest eingerichtet?

Wir haben im Dorf eine Unterkunft angemietet, in der wir auch unsere Ausrüstung deponieren können. Der Grabungen beginnen normalerweise morgens um sechs Uhr. Jeder von uns bereitet sein eigenes Frühstück und sein Pausenbrot zu – und dann fahren wir mit einem angemieteten Pickup zur Grabungsstätte, wo wir bis maximal 14 Uhr blieben. Danach ist es einfach zu heiß – auch die offiziell verordnete, ägyptische Arbeitszeit endet um 14 Uhr. Nachmittags geht es dann an den Schreibtisch. Wir werten unsere Funde aus, arbeiten am Computer. Das klingt anstrengend, macht aber großen Spaß.

Was haben die Dieb*innen denn übriggelassen?

Leider haben sie ordentlich zugelangt: Das Wertvollste ist verschwunden. Aber einige kleinere Objekte sind noch da, kleine Totenstatuetten und Amulette, auch zersplitterte Holzstücke von Särgen und Kästen. Vor allem aber finden wir viel zerbrochene Keramik, denn für die interessierten sich die Räuber*innen nicht.

Was sind denn die Highlights?

Unter den Gräbern sticht das Grab des sogenannten Bürgermeisters von Elephantine hervor, ein Mann namens User. Das Grab wurde circa 1360 vor Christus in der Regierungszeit Amenophis III. angelegt. In der Nomenklatur unserer Zählung firmiert es unter „QHN 2“, was für „Qubbet el-Hawa Nord- Grab 2“ steht. Es ist mit außergewöhnlich prächtigen Wandmalereien dekoriert, die den Grabherrn mit seinen Freund*innen und Verwandten beim Neujahrfest zeigen. Besonders ungewöhnlich sind die Darstellungen älterer Gastmahlteilnehmer*innen, die graue oder weiße Haare mit Halbglatze zeigen. Ebenso bedeutend ist, dass nicht nur relativ hellhäutige Ägypter*innen zu sehen sind, sondern auch dunkelhäutige Berufskolleg*innen anderer Ethnien, die aber sehr wohl ägyptische Staatsbürger*innen waren. Die Details dieser Malereien sind tatsächlich von bestechender Schönheit.

Zum Artikel „Diese Grabung ist für uns ein Glücksfall“
Wandmalerei im Grab QHN 2 des User, Bürgermeister von Elephantine. © Foto: SMB / S. Steiß

Wie genau gehen Sie vor?

Also, im Grab des User gibt es auch Papyrusfragmente, diese waren Teil eines Totenbuchpapyrus, das der Dame des Hauses gehörte, einer gewissen Tuju. Um die Fragmente kümmert sich Myriam Krutzsch, unsere Papyrusrestauratorin, die eigentlich längst im Ruhestand ist. Es ist ein wunderbares Projekt, finanziert von Spendengeldern des Kuratoriums des Freundeskreises des Ägyptischen Museums Berlin e.V.. Frau Krutzsch ist die weltweit führende Expertin auf ihrem Gebiet. Sie bildet quasi nebenbei auch örtliche Restaurator*innen aus, ganz im Sinne der partnerschaftlichen Kooperation. In mühevoller Kleinarbeit nehmen sie die Fragmente einzeln auf, glätten sie und fügen sie an den passenden Stellen wieder zusammen. Wir hoffen, diesen Papyrus so aufbereiten zu können, dass er in Zukunft einmal im Nubischen Museum ausgestellt werden kann.

Haben Archäolog*innen nicht vor allem mit Scherben zu tun?

Allerdings. Besonders bedeutende Keramikfragmente konnten wir im Vorhof und den Innenräumen des Grabes „QHN 4“ sichern. Das gehörte dem sogenannten Bürgermeister und Priestervorsteher von Elephantine, Amen-hotep, aus der zweiten Regierungshälfte Thutmosis III. um 1440 vor Christus. Die Funde belegen, von welcher Art und welchem Umfang die Bestattungs- und Beigabenkeramik damals war. Dazu kommen ägäische Importgefäße und beschriftete Weinamphorenfragmente, die wir aber noch entziffern müssen.

Und Sie legen all diese Scherben nebeneinander?

Wir ebnen eine Sandfläche, legen darauf größere Matten, und sortieren die Scherben dann darauf nach Herkunft, Form und Machart. Man nennt dies einen Scherbengarten. Dann beginnt das Scherben-Puzzle. Wir kleben die Gefäße zusammen, zeichnen, fotografieren und beschreiben sie und bestimmen sie keramologisch, in der Regel in einfachen Schutzzelten. Alle Erkenntnisse der Dokumentation, von der Keramik bis zur Grabarchitektur und den Inschriften, fügen sich dann in ein Gesamtbild.

Und im September gibt es dann dazu eine Ausstellung im Ägyptischen Museum?

Ja, es wir eine kleine Kabinett-Ausstellung sein, mit dem Titel „Geplündert, Geschunden, Gerettet [?] – die Gräber der Qubbet el-Hawa-Nord“. Wir wollen Besucher*innen des Neuen Museums mit unserer Arbeit vertraut machen und Einblicke in die aktuelle Forschungsarbeit geben. Natürlich können wir keine Funde unserer Grabung zeigen. Besonders faszinierend wird aber die Foto-Replik der Grabmalereien des User sein. Insofern dürfte die Sonderausstellung sicherlich eine gute Ergänzung zu unserer weltweit geschätzten Präsentation der altägyptischen Kultur werden, die alles zu bieten hat, was ein*e ägyptenbegeistert*e Besucher*in zu sehen wünscht.

Geplündert-Geschunden-Gerettet(?), Die Gräber der Qubbet el-Hawa Nord
Sonderpräsentation vom 15. September 2023 bis 10. März 2024


Weitere Artikel zum Thema