Die Künstlerin Tamara Pick im Bode-Museum © hbksaar

Von der Saar an die SpreeZeitsprung im Bode-Museum

Artikel

Lesezeit: ca.  min

Im Rahmen der Sonderausstellung "Zeitsprung. Kunst trifft Kunst" setzen sich zwölf Studierenden der Hochschule der Bildenden Künste Saar mit Exponaten im Bode-Museum auseinander. In einer Intervention stellen sie den historischen Kunstwerken aktuelle Positionen gegenüber.

Im Rahmen der Bund-Länder-Kooperationen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des Saarlands zeigt die Sonderausstellung 'Zeitsprung. Kunst sieht Kunst' vom 15. Februar bis 13.April 2025 Werke von zwölf Studierenden der Hochschule der Bildenden Künste Saar zu Gast im Bode-Museum. Im Dialog mit Kurator:innen der Skulturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst entdeckten die jungen Kunstschaffenden in den zunächst fremdartigen menschlichen Körpern viel Gegenwärtiges und entwickelten Zugänge zur alten Kunst, welche die Objekte anschaulich, lebendig und auf ungewohnte Weise erlebbar machen. Eine Broschüre dokumentiert das Projekt und ist kostenfrei im Museum sowie digital verfügbar.

Im Gespräch mit der SPK geben Eric Lanz, Professor für Video und künstlerische Fotografie an der HBKsaar, sowie die Künstler:innen Claudius Rodenbüsch und Melissa Pelk einen Einblick in die Entstehung der Ausstellung und ihre Erfahrungen.

Studierende der HBK Saar haben im Bode-Museum eine Intervention realisiert: Werke aus der Sammlung des Museums für Byzantinische Kunst und Skulpturensammlung treffen auf zeitgenössische Interpretationen der Studierenden. Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Museum zustande?

 

Eric Lanz: Wir haben eine Exkursion nach Berlin gemacht und uns währenddessen mehrere Häuser in Berlin angesehen. Hier im Bode-Museum ergaben sich die meisten spannenden Begegnungen. Die große zeitliche Distanz zu den Exponaten, die einen Zeitraum von der Spätantike bis ins 18. Jahrhundert umfassen, ließ uns freier experimentieren. In einem zeitgenössischen Museum wäre eine Intervention schwieriger gewesen, hier war die Distanz da und wir konnten mit aktuellen künstlerischen Kommentaren und neuen Perspektiven arbeiten.

 

Wie genau lief der Entstehungsprozess ab? Ihr wart zu Besuch im Museum – was hat euch dort konkret inspiriert?

 

Melissa Pelk: Mich haben vor allem die vielen religiösen Skulpturen inspiriert. Ich bin in einem christlichen Umfeld aufgewachsen, war zur Kommunion und Firmung. Ich bin als Kind sehr oft mit meiner Mutter in der Kirche gewesen und habe die Ikonographien dort betrachtet. Auch wenn ich heute nicht mehr gläubig bin, empfinde ich doch eine gewisse Pietät, wenn ich solche Werke betrachte: Sie wirken heute immer noch sehr stark. Diese soziokulturelle Bedeutung von Heiligen und Märtyrern interessiert mich immer noch sehr.

Hinzu kommt die handwerkliche Meisterhaftigkeit dieser Kunstwerke im Bode-Museum. Die fragilen Objekte strahlen eine besondere Erhabenheit aus. Wenn man davorsteht, ist man fasziniert und ehrfurchtsvoll. Doch hinter diesen Heiligen standen einst reale Menschen – Maria war nicht nur die christliche Gottesmutter, sondern auch eine Frau, und der heilige Crispinianus wurde von Gläubigen verehrt, war aber zugleich „nur“ ein Schuhmacher. Diese Spannung zwischen Heiligkeit und Menschlichkeit finde ich sehr spannend.

 

Es geht um die kleine Skulptur des Crispinianus von 1420, die sich im Bode-Museum befindet?

 

Melissa Pelk: Genau! Ich fand diese kunstvoll gestaltete Figur mit ihren aufwendig gearbeiteten Gewandfalten, Schuhen und Werkzeugen besonders beindruckend. Die Figur kniet ganz vertieft in sein Handwerk und zieht die Betrachtenden in ihren Bann. Doch ihre Hände fehlen – vermutlich fielen sie im Laufe er Jahrhunderte der Witterung oder mechanischer Beschädigung zum Opfer. Diese Kombination aus Verletzlichkeit, Profanem und Heiligem war meine Hauptinspiration für meine Intervention, ein Video. Ich wollte diese Gegensätze visuell einfangen und die Rolle dieser Figuren neu interpretieren. Es war eine spannende Herausforderung!

Eine andere Intervention bezieht sich auf eine Skulptur der Persephone ...

 

Claudius Rodenbüsch: Wir sind durch das Museum gegangen und haben geschaut, was uns anspricht. Mir ist dabei sofort die Skulptur „Raub der Persephone“ aufgefallen. Der Gesichtsausdruck der zentralen Figur wirkte auf mich nicht freiwillig, was mich sofort an einen sexuellen Übergriff erinnerte. Später stellte ich fest, dass die Skulptur im Englischen „The Rape of Proserpina“ heißt. Im eigentlichen Mythos geht es um die Erneuerung der Jahreszeiten, doch aus moderner Sicht liegt in der Darstellung auch eine Zwangshandlung, die in der klassischen Interpretation oft nicht thematisiert wird. Diese Perspektive fand ich spannend und wollte sie künstlerisch herausarbeiten.

 

Im Entstehungsprozess trafen zwei Institutionen mit sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen und Organisationsformen aufeinander – wie war das für euch?

 

Claudius Rodenbüsch: Organisatorisch war vieles nicht so umsetzbar, wie wir es uns anfangs vorgestellt hatten. Zum Beispiel wollte ich ursprünglich direkt mit einem Beamer auf die Skulptur projizieren, was nicht möglich war. Wir mussten Kompromisse finden und alternative Lösungen entwickeln. Aber letztlich haben wir innerhalb der Rahmenbedingungen eine funktionierende Form gefunden und sind damit zufrieden.

 

Eric Lanz: Als Künstler:innen gehen wir anders mit Räumen um, wir nutzen die Räume als Teil unserer Arbeit, als Instrument. In Museen ist alles streng organisiert – man kann nicht einfach etwas hineinstellen oder verändern. Deshalb haben wir eine virtuelle Ebene genutzt, etwa durch QR-Codes, die Videos oder 3D-Objekte abrufbar machen. So konnten wir unsere Ideen sichtbar machen, ohne konservatorische Grenzen zu überschreiten.

 

War diese Einschränkung auch eine Lernmöglichkeit?

 

Claudius Rodenbüsch: Auf jeden Fall. Die Zusammenarbeit mit einer großen Institution hat uns gezeigt, dass Prozesse dort langsamer laufen als etwa an der Hochschule. Es war eine Herausforderung, innerhalb dieser Strukturen eine künstlerische Aussage zu finden, zu der wir stehen können. Ich denke, das ist uns gelungen. Und dass es nicht so einfach war, hat uns künstlerisch herausgefordert und war lehrreich.

 

Melissa Pelk: Ich fand es besonders spannend, mich intensiver mit der Recherche auseinanderzusetzen, das habe ich bisher noch nicht so intensiv gemacht wie bei dieser Arbeit. Ich habe einen 500-seitigen Katalog zu den Werken studiert. Vorher hätte ich mir als Museumsbesucher nie darüber Gedanken gemacht, wo eine Skulptur in ihren 500 Jahren überall gestanden hat. Ich bin tief in die Welt der Märtyrer eingetaucht – ihre Geschichten sind oft absurd, aber faszinierend. Diese intensive Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext werde ich sicher auch in zukünftige Arbeiten mitnehmen.

 

Stichwort Learnings: Was nehmt ihr darüber hinaus mit? Und gibt es schon Pläne für weitere Kooperationen?

 

Eric Lanz: Wir habe auf jeden Fall viel gelernt und es könnten tatsächlich weitere Kooperationen mit Museen geben, da gab es bereits unverbindliche Anfragen zuhause im Saarland. Es war spannend zu sehen, dass trotz der Unterschiede zwischen Kunsthochschule und Museum – mit ihren unterschiedlichen Rhythmen und Aufgaben – ein echtes Interesse an Zusammenarbeit bestand. Besonders beeindruckend war, dass Kuratoren, die sich sonst vielleicht mit antiken Textilien beschäftigen, so großes Interesse an unserer Arbeit hatten. Das zeigt, dass solche interdisziplinären Projekte fruchtbar sind. Es gab bereits erste Stimmen, die Interesse an weiteren Kooperationen geäußert haben. Jetzt müssen wir überlegen, wie wir das weiterentwickeln.

In Berlin und generell im Kulturbetrieb wird oft diskutiert, wie Museen relevant bleiben und alte Kunst für die Gegenwart greifbar machen können. Solche Interventionen wie eure schlagen eine Brücke. War euch diese gesellschaftliche Dimension bewusst, oder habt ihr euch rein auf die Objekte konzentriert?

 

Eric Lanz: Das war nicht unser primärer Fokus. Unsere Auseinandersetzung war eher persönlich und künstlerisch – wir wollten verstehen, was uns anspricht und wie wir darauf reagieren können, ohne eine übergeordnete Metaebene zu reflektieren. Vielleicht macht das die Arbeiten so direkt.

 

Melissa Pelk: Aber ich glaube, man kommt gar nicht mehr um diese Ebene herum. Jede künstlerische Arbeit trägt immer eine gewisse politische Haltung in sich – nicht zwangsläufig aktivistisch, aber es schwingt immer etwas mit. Allein der Vergleich zwischen der Lebensrealität eines Künstlers vor 500 Jahren und der eines heutigen Künstlers, der an seinem Laptop arbeitet, birgt eine politische Dimension. Dieser Kontrast ist unausweichlich – und oft auch gerade der spannende Aspekt.

 

Eine spannende Position ist auch die von Tamara Pick, die von Christine Streichert-Clivot, der saarländischen Ministerin für Bildung und Kultur, beim Rundgang erwähnt wurde. Pick kommentiert die Rolle von Museen kritisch, indem sie das das Thema Selfies und den Umgang der besuchenden mit dem Museum thematisiert.

 

Eric Lanz: Das Werk von Tamara Pick greift den Diskurs um Museen als Orte der Selbstdarstellung auf. Sie hat Selfies im Museum platziert, die diesen Trend kritisch kommentieren. Ihre Arbeit zeigt, dass Besuchende oft versuchen, die Posen von Skulpturen nachzuahmen und sich quasi selbst in Skulpturen verwandeln. Dabei „verkommen“ Museen aber auch zu Orten reiner Selbstdarstellung, ohne eine Reflexion oder Auseinandersetzung mit deren Inhalten. Diese Entwicklung greift sie ironisch auf, indem sie sich selbst auf diese Weise inszeniert. Ihre Bezüge reichen jedoch weiter. Wenn Tamara Pick sich vor die Skulptur eines Pilgers stellt, verweist sie ironisch auf die „Kulturpilger“ und inszeniert sich als Teil des Kunstwerks. Sie hat auch Postkarten mit ihrem Bild produziert, wodurch sie sich selbst symbolisch erhebt.  

 

Eine Intervention erreicht oft ein Publikum, das wenig Berührungspunkte mit zeitgenössischer Kunst hat. Viele Besuchende des Bode-Museums erwarten solche Kunstformen nicht. Was erhofft ihr euch von ihrer Reaktion?

 

Claudius Rodenbüsch: In erster Linie hoffe ich, dass die Menschen unsere App nutzen, die wir im Rahmen des Projektes entwickelt haben, und dadurch eine neue Perspektive gewinnen. Vielleicht kann ich ja mit meiner Assoziation jemanden erreichen und zum Nachdenken bringen …

 

Eric Lanz: Museen werden oft mit Ehrfurcht betreten, da die ausgestellten Werke als kulturell bedeutsam gelten und das große handwerkliche Können beeindruckt. Doch Kunst kann auch einen direkten Bezug zur Gegenwart haben. Unsere Intervention regt dazu an, über aktuelle Themen wie sexuelle Übergriffe nachzudenken. Darauf kommt man vielleicht nicht direkt, aber das Museum gibt diese Themen her, wenn man genauer hinschaut. Dies zeigt sich auch im Motiv unseres Ausstellungsplakats: Eine Alabasterskulptur von einer Gottheit des Schweigens trägt Kopfhörer, wodurch sie zur „Soundskulptur“ wird. Ein scheinbar kleiner Eingriff mit großer Wirkung. Es geht also immer um eine Aktualisierung, die Spuren hinterlässt und neue Perspektiven auf die alten Kunstwerke eröffnet.

 

Die Ausstellung zur Intervention läuft noch bis zum 13.4 im Bode-Museum. Gibt es auch eine Publikation zu dem Projekt?

 

Eric Lanz: Ja, wir wollten auch die Vorarbeit dokumentieren, die einen großen Teil des Projekts ausmacht. Die Broschüre stellt immer jeweils auf einer Doppelseite das Museumsstück vor, ergänzt durch einen Text der/des Kunststudierenden. Auf der nächsten Doppelseite wird dann die Intervention präsentiert, die aus der Begegnung entstanden ist. Einige Konzepte, die am Ende nicht realisiert wurden, sind ebenfalls enthalten. Die Broschüre gibt so einen umfassenden Einblick in den Prozess. Zudem enthält sie einen Index der behandelten Skulpturen, der in Absprache mit dem Kuratorenteam entstanden ist, und einen alternativen Parcours durchs Museum vorschlägt.

Die Sonderausstellung "Zeitsprung. Kunst sieht Kunst. HBKsaar zu Gast im Bode-Museum" entstand im Rahmen der Bund-Länder-Kooperationen des Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlands (MBK) und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) mit finanzieller Unterstützung des Föderalen Programm der SPK für die Reise- und Ausstellungskosten sowie des MBK für eine studentische Videodokumentation.

Dr. Elisabeth Ehlers, Dr. Cäcilia Fluck und Dr. Tobias Kunz betreuten das Projekt seitens der Skulpturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst. Die Werke und Broschüre entstanden in Seminaren der Lehrgebiete Kunstgeschichte, Kunsttheorie, Prof. Dr. Matthias Winzen, sowie Video und künstlerische Fotografie, Prof. Eric Lanz, an Hochschule der Bildenden Künste Saar mit Unterstützung durch die Leonore Leonardy. Beteiligte Studierende der HBKsaar sind: Ham Babaei, Clara Höferlin, Diana Kadochnikova, Nils Kammer, Haegang Lee, Thekla Lüken genannt Klaßen, Constanze Metzel (Symposium), Anna Nau (Symposium), Sarah Niecke, Melissa Pelk, Tamara Pick, Claudius Rodenbüsch, Heidrun Stern, Elisabeth Sunik (Symposium) und Jennifer Trenkel.


Weitere Artikel zum Thema