Um die gewaltigen Monumente zu erforschen, arbeiten die Wissenschaftler*innen des Ethnologischen Museums eng mit ihren guatemaltekischen Partner*innen zusammen
Es ist einer der eindrucksvollsten Säle im Humboldt-Forum, der Saal 207, mit hohen Decken, hell, freundlich, durch die Fenster strömt das Licht. An der Stirnwand ein Kunstwerk: ein Wandbild aus Terrakottafliesen, gestaltet von Mariana Castillo Deball, einer bekannten mexikanischen Künstlerin. Und in der Mitte: die Stelen von Cotzumalhuapa mit ihren faszinierenden Reliefs, acht Stück an der Zahl, daneben weitere Monumente. Ein Ort zum Verweilen. Und natürlich: um sich begeistern zu lassen. „Die Präsentation der Monumente von Cotzumalhuapa ist definitiv ein Highlight des Ethnologischen Museums“, sagt Ute Schüren, Kuratorin für die Sammlungen zu Mesoamerika, also des Kulturraums, der sich von Mexiko bis Costa Rica erstreckt.
Alejandro Garay von der Universität Bonn erläutert die Bildsprache der Cotzumalhuapa-Kultur anhand eines Ausstellungsobjekts während einer gemeinsamen Veranstaltung der Botschaft von Guatemala und des Ethnologischen Museums zur Geschichte, dem Erwerb und der kulturellen Bedeutung der Cotzumalhuapa-Stelen am 27.04.2023.
Foto: © SPK / photothek / Kira Hofmann
Aber es ist natürlich nicht nur die wunderbare Raumatmosphäre, die Besucher*innen so einnimmt. Es sind vor allem die Reliefs selbst, die einem zum Staunen bringen, und die Geschichten, die sie erzählen, Geschichten von der sehr eigenständigen Cotzumalhuapa-Kultur an der Pazifikküste Guatemalas, die ihre Blüte zwischen 650 und 950 nach der Zeitenwende hatte und die sich von der benachbarten Maya-Kultur stark unterscheidet. Bis heute wirft sie viele Forschungsfragen auf: Was genau machte diese Regionalkultur aus? Welche Sprache haben die Menschen gesprochen? Was genau bedeutet ihre Schrift, denn nur rund dreißig Zeichen sind bekannt, konnten aber bisher nicht entziffert werden. Klar ist: Die Reliefs der Stelen zeigen Menschen, die sich mit ihren Ahn*innen, mit Gottheiten austauschen, ihnen Opfer bringen, auch Menschenopfer, und die sie um Fruchtbarkeit für eine gute Ernte bitten. Auf anderen Monumenten sind Herrscher mit ihren Insignien sind zu sehen, auch der skelettierte Totengott.
Was bei den acht Stelen auffällt, sind die vielen Bezüge zum Ballspiel, das in Mesoamerika weit verbreitet ist. Das war weniger ein Sport, als vielmehr ein Ritual. Ballspielplätze dienten häufig nicht nur als Sport-, sondern auch als Opferstätten. Kein Wunder also, dass die Spanier, die das Christentum verbreiten wollten, das Ballspiel bald nach ihrer Ankunft verboten. Bei einer Spielvariante mussten die Spieler*innen einen mehrere Kilo schweren Gummiball mit der Hüfte stoßen. Das war nicht ungefährlich: Um sich vor dem Aufprall zu schützen, trugen sie breite Gürtel. Auf den Stelen ist das gut zu erkennen.
Das ist Ute Schüren besonders wichtig: Das Wissen über die Sammlungen nicht nur zu erweitern, sondern es auch einem breiten Publikum zugänglich zu machen, beim Forschungscampus-Dahlem genauso wie durch Ausstellungen, Workshops und Veranstaltungen, in engem Austausch mit Partner*innen vor Ort und internationalen und nationalen Wissenschaftler*innen. So wie kürzlich, bei der 24. Mesoamerikanistik-Tagung, als mehr als achtzig Forschende zusammenkamen, ihre neuesten Erkenntnisse austauschten und 28 spannenden Vorträgen lauschten, organisiert vom Ethnologischen Museum, dem Ibero-Amerikanischen Institut und dem Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin.
Um die gewaltigen Monumente der Cotzumalhuapa-Kultur zu erforschen, arbeitete darum auch die frühere Kuratorin, Maria Gaida, für die Vorbereitung der aktuellen Ausstellung des Ethnologischen Museums im Humboldt-Forum eng mit dem Guatemalteken Oswaldo Chinchilla Mazariegos zusammen. Er lehrt in Yale und ist ein führender Kenner der Cotzumalhuapa-Kultur.
Und dann war da der wunderbare Abend, den die Botschaft Guatemalas in Berlin und Carlos Alberto Haas, ein engagierter guatemaltekischer Historiker an der Universität München, initiiert hatten, zusammen mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Mitten im Saal 207, vor den prächtig beleuchteten Stelen, saßen viele Gäste und lauschten Vorträgen über den historischen Kontext und die Bildersprache der Monumente, über ihre Herkunft und ihre Bedeutung, die ihnen heute in Guatemala beigemessen wird. Denn die Monumente von Santa Lucía Cotzumalhuapa verweisen auf das indigene kulturelle Erbe Guatemalas, das bis in die Gegenwart wirkt – bis heute leben Teile der indigenen Bevölkerung in Armut, sind politisch marginalisiert.
Aber wie genau kamen die Monumente überhaupt nach Berlin? Gefunden wurden sie bei dem Ort St. Lucía Cotzumalhuapa, der der Kultur ihren Namen gab, genauer gesagt in der Nähe dreier Fincas: Bilbao, El Baúl und Castillo, und zwar, als die Plantagenbesitzer begannen, das Land dort intensiv zu roden und zu bearbeiten, für Baumwolle, Zucker, später auch Kaffee. Als Adolf Bastian, einer der Gründungsdirektoren des damaligen königlichen Museums für Völkerkunde, von der Entdeckung hörte, reiste er 1876 selbst nach Guatemala und erwarb die Monumente für die Sammlungen. Andere Objekte wurden ihm von den Plantagenbesitzern geschenkt. In einem Aufsatz schrieb er damals: „…beim Roden des Waldes für den Anbau der Hacienden stieß man überall auf diese Altertümer, die also erst seit Kurzem aufgedeckt liegen… außerdem haben bereits einige neugierige Besucher angefangen, sie zu verstümmeln, soweit es das Gestein zulässt, wie gewöhnlich mit dem Abschlagen der Nasen beginnend. Es ist also die höchste Zeit, sie in einem Museum zu sichern.“ Das zeigt: Teile der lokalen Bevölkerung hatten schon damit begonnen, manche Monumente für andere Zwecke wiederzuverwerten. Bastian betrachtete seinen Erwerb als ihre Rettung vor dem Vandalismus.
So ließ er die Objekte zur Küste bringen, unterstützt von deutschen Diplomaten und Ingenieuren, auch von einem Wissenschaftler, der bald darauf starb. Der Transport war nicht einfach und musste mit Ochsenkarren erfolgen. Per Schiff kamen die Skulpturen nach Deutschland. Die ersten Stelen trafen im August 1881 in Berlin ein. Bei der Vorbereitung der Monumente für den Transport war man aber ebenfalls nicht zimperlich vorgegangen: Um das Gewicht der kolossalen Steine zu reduzieren, wurden die Reliefs abgetrennt und zusätzlich ausgehöhlt. Dabei kam es zu weiteren Beschädigungen. Beim letzten Transport, im Februar 1886, geschah ein besonderes Missgeschick: Ein wertvolles Relief mit einer Vogeldarstellung fiel im Pazifikhafen San José bei unruhiger See ins Wasser. Da liegt es nun am Grunde des Meeres. Bis heute wurde es nicht geborgen.
Die problematische Geschichte, von der die Dokumente Zeugnis ablegen, steht im Mittelpunkt der neuen Ausstellung. Die Brüche wurden auf Anraten der Restauratorin Kai Engelhardt bewusst offengelegt. Der Überzug, der sie und auch die Fugen zwischen Kasten und Relief einst im Dahlemer Museum kaschierte, wurde nun entfernt. Damit verweist die Ausstellung bewusst darauf, dass die Museen, anders als häufig bekundet, die Unversehrtheit der Objekte, die sie sammelten, nicht immer in den Mittelpunkt stellten. Die Vorbereitung der Monumente von Santa Lucía Cotzumalhuapa für den Abtransport nach Berlin unterschied sich in ihrer Ruppigkeit nur wenig von der Behandlung durch Teile der lokalen Bevölkerung, die vor allem ihre Wiederverwertung für den Bau im Sinn hatten. „Das Museum setzt sich mit seiner eigenen Geschichte kritisch auseinander. Auch geht es uns darum, Unrechtskontexte zu identifizieren, etwa im Rahmen der Provenienzforschung zu den Sammlungen“, sagt Ute Schüren. „Doch keineswegs alle Objekte sind Raubgut aus kolonialen Kontexten. Die Objektgeschichten sind vielfältig.“