Die Kuratorin Maria Sobotka über eine Sonderausstellung mit berührenden Tonaufnahmen, Masken sündiger Mönche und moderne Hutkreationen
Frau Sobotka, Ari-Arirang – so ist der Titel der Korea-Ausstellung, die vom 13. Oktober an im Humboldt Forum zu sehen sein wird. Wie kommen Sie darauf?
Arirang ist so etwas wie die inoffizielle koreanische Nationalhymne, ein Lied, das jeder kennt. Die Schönheit der Berge und Flüsse wird darin besungen, der klare Himmel, die Sehnsucht nach der Heimat, Liebe. Das Ethnologische Museum besitzt von diesem Lied wertvolle Aufnahmen. Sie stammen aus den Jahren 1916/17. Anfang des 20. Jahrhunderts, nach der Annektierung Koreas durch Japan, flohen Familien aus den nördlichen Regionen nach Russland, getrieben von Hungersnot, Überschwemmungen und den schwierigen Lebensumständen.
Die koreanisch-russischen Beziehungen sind ja gerade wieder sehr aktuell. Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un war in Russland zu Gast…
Damals gingen koreanische Männer in die russische Armee, um die russische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Sie kämpften dann im Ersten Weltkrieg für Russland. Einige von ihnen wurden gefangengenommen, kamen in deutsche Lager in Königsbrück und Münster. Die Königlich Preußische Phonographische Kommission hat Volkslieder und Militärgesänge der Gefangenen dort aufgenommen, auch Lieder, die in der koreanischen Unabhängigkeitsarmee gegen Japan gesungen wurden. Das Anliegen der Phonographischen Kommission war es, die Stimmen der in den Lagern internierten Soldaten unterschiedlicher Nationalitäten zu dokumentieren. Die UNESCO übrigens erklärte die Sammlung des Berliner Phonogrammarchivs 1999 zum Weltdokumentenerbe. Heute besitzen wir elf Wachswalzenaufnahmen koreanischer Lieder, darunter auch Arirang.
Maria Sobotka ist Kuratorin für die Korea-Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst
Foto: Maria Sobotka
Ein Zeitdokument also?
Absolut. Die klanglichen Zeugnisse zeigen, wie die in Russland lebenden Koreaner ihre Traditionen gepflegt haben. Das ist berührend zu hören. Zwei dieser Aufnahmen präsentieren wir in der Ausstellung. Uns geht es dabei vor allem auch um die Beziehungen zwischen Deutschland und Korea, um ihre verschiedenen Facetten. In diesem Jahr, 2023, jähren sich die offiziellen diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Korea ja zum 140. Mal.
Darum jetzt die Ausstellung?
Nein. Meine Kollegen Henriette Lavaulx-Vrécourt und Claudius Kamps haben in den vergangenen beiden Jahren die koreanische Sammlung des Ethnologischen Museums aufgearbeitet. Sie haben das zusammen mit Professor Emerita Lee-Kalisch, ehemals Freie Universität zu Berlin, gemacht. Dabei wurden sie unterstützt von der Overseas Korean Cultural Heritage Foundation. Diese Arbeit bildet die wissenschaftliche Grundlage für die Ausstellung. Denn im Ethnologischen Museum gibt es rund 1800 koreanische Objekte vielfältiger Art, die bisher kaum bekannt sind. Daraus präsentieren wir erstmalig eine größere Auswahl. Das diplomatische Jubiläum ist ein schöner Zusatz.
Worauf können sich die Besucherinnen und Besucher freuen – neben den Tondokumenten natürlich?
Wir präsentieren 120 Werke, darunter auch Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen. Wir wollen zeigen, wie reich die koreanische Kultur ist und wie groß das deutsche Interesse daran. Die Faszination gibt es seit den 1870er Jahren, als sich die koreanische Halbinsel dem Westen öffnete. Bis heute schauen beide Länder mit großer Neugier aufeinander.
Was sind die Highlights?
Highlights gibt es viele: welche das sind, das muss jede Besucherin und jeder Besucher selbst entscheiden. Manchen gefällt unsere historische Hutsammlung vielleicht besonders gut. Den Hüten ist eine eigene Sektion in der Ausstellung gewidmet. In der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts wird Korea ja als das Land der Hüte bezeichnet.
Wie kam das?
Als die ersten Diplomaten und Abenteurer nach Korea kamen, fielen ihnen die eigentümlichen Kopfbedeckungen besonders ins Auge. Das waren Hüte unterschiedlichster Art, die vor allem Männer trugen, um ihren sozialen Status zu unterstreichen. In der Zeit der Joseon-Dynastie, also zwischen 1392 und 1910, waren die Hüte für die staatlichen Beamten Ausdruck ihrer Autorität, sie zeugten von der klaren hierarchischen Struktur der Gesellschaft. In der Ausstellung spannen wir aber auch den Bogen zur Gegenwart: Wir zeigen Kreationen der Berliner Modistin Fiona Bennett, die drei Couturehüte eigens für diese Ausstellung angefertigt hat. Sie hat sich inspirieren lassen von den phantasievollen historischen Hüten unserer Sammlung. Die Hüte bringen wir an anderer Stelle auch zum Sprechen - und lassen sie als „Talking Hats“ aus ihrem bewegten Leben erzählen. Lassen Sie sich überraschen!
Sehr gern… Was gibt es noch?
Masken! Sie wurden vor allem in einer Art Tanztheater verwendet. Die Masken offenbaren den koreanischen Humor, den koreanischen Sinn für Satire. Im Maskentheater konnte sich das einfache Volk amüsieren. Hier wurde die gesellschaftliche Elite karikiert: So gibt es zum Beispiel Masken, die frevelhafte Adelige oder auch sündige Mönche verkörpern. Einige Masken wurden verwendet, um für gute Ernten zu bitten oder böse Geister abzuwehren, etwa bei Beerdigungen oder Zeremonien am Hof. Sie sind von Region zu Region unterschiedlich. Die Masken stehen also für eine Tradition, die teilweise bis auf die frühe Silla-Zeit zurückgeht, bis ins Jahr 688. Und die sich bis heute bewahrt hat!
Wie kommt es, dass Sie auch Leihgaben aus dem National Museum of Korea zeigen?
Wir arbeiten grundsätzlich eng mit unseren koreanischen Partnerinstitutionen zusammen. Das National Museum of Korea gehört dazu. Von dort stammen vier Porträtmalereien, die wir in unserer Ausstellung zeigen. Das ist spektakulär – eine einmalige Gelegenheit, die sich Museumsbesuchern in Deutschland oder auch in Europa selten bietet. Aus konservatorischen Gründen können wir von den vier Porträts im Laufe der Ausstellung immer nur je zwei präsentieren. Sie zeigen hochrangige koreanische Beamte der Joseon-Zeit mit ihren üblichen Attributen, wie Hüten oder Büchern. Die Feinheit koreanischer Malerei fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Die Porträts zeigen aber auch, wie man in Korea westliche Maltechniken adaptiert hat, etwa die Dreidimensionalität.
Und daneben gibt es zeitgenössische Kunst zu sehen?
Genau. In der Ausstellung sind zum Beispiel zwei Malereien des Künstlers Bae Unseong, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Paris und Berlin studierte und später nach Nordkorea emigrierte. Bei ihm geht es um Themen wie Heimat und Identität. Wir zeigen aber auch Werke der Künstlerin Yerin Hong. In ihrem sogenannten Berlin-Zyklus setzt sie sich mit ihrer Zeit in Berlin auseinander. Ihre Beobachtungen bieten eine Reihe von Assoziationen für in Berlin lebende Koreanerinnen und Koreaner, aber auch für uns Deutsche. Sie sind sehr humorvoll.
Frau Sobotka, Sie sind Kuratorin für die Korea-Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Woher kommt Ihr Interesse an Korea?
Ich habe Wirtschaftswissenschaften, vor allem aber Ostasiatische Kunstgeschichte studiert und mich schon früh auf Korea spezialisiert. Das lag für mich nahe, denn meine Mutter ist Südkoreanerin. Ich kenne das Land seit meiner Kindheit: In den jährlichen Sommerferien haben wir stets unsere Verwandten besucht. Später konnte ich meine Kenntnisse zu Kunst und Kultur des Landes bei Arbeits- und Forschungsaufenthalten noch vertiefen. In meiner Masterarbeit habe ich mich dann mit der kulturellen Repräsentation Koreas in Deutschland beschäftigt. Ich wollte wissen, wie Korea in Deutschland wahrgenommen wird. Und inwiefern dieses Bild Koreas in Deutschland ein Bild ist, das von Südkorea selbst kreiert wurde.
Und ist es das?
Ja, durchaus. Dazu gehört auch die kulturelle Abgrenzung zu China und Japan. Das konnte ich anhand des koreanischen Gartens in den Gärten der Welt in Berlin-Marzahn demonstrieren. Nun habe ich als Kuratorin die Möglichkeit, das Bild Koreas in Deutschland entscheidend mit zu gestalten. Ich möchte das historische, aber auch das moderne Korea zeigen - und verdeutlichen, dass die Faszination beider Länder füreinander schon länger existiert. Die Sonderausstellung ist dafür ideal.
„Ari-Arirang. Korea – Faszination für ein verschlossenes Königreich“ ist eine Sonderausstellung des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Die Ausstellung ist zu sehen auf der 3. Etage des Humboldt Forums, vom 13. Oktober 2023 bis zum 21. April 2024.