Warum sich Museen keinen Interessensgruppen unterordnen sollten

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3sat und die SPK hatten zu einem Abend über Vertrauen in Museen geladen: Es wurde ein großes Gespräch über Neutralität, Freiheit und demokratischer Zivilkultur

„Trau, schau, wem!“ ist nicht nur ein bekanntes Sprichwort, sondern außerdem ein Walzer von Johann Strauß Sohn. Es könnte als Motto einer Studie dienen, die das Institut für Museumsforschung der SPK vorgelegt hat: „Das verborgene Kapital: Vertrauen in Museen in Deutschland“. Denn sagen wir so: Auch da ist Musik drin! Wie sich dabei herausstellte, genießen Museen im persönlichen und institutionellen Umfeld das höchste Vertrauen nach Familie und Freunden und vor Wissenschaftler*innen und Medien. Sie erzielen überdies die höchsten Vertrauenswerte unter allen öffentlichen Einrichtungen und heben sich damit deutlich von politischen Organisationen ab.

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Das freut natürlich alle Museumsleute, und von ihnen hatten sich viele zu den anderen Interessierten gesellt, die zahlreich in das Auditorium der James-Simon-Galerie gekommen waren, um einem Abend beizuwohnen, der das Thema „Vertrauen in Museen“ erweitern wollte. Moderator Gert Scobel eröffnete die Debatte mit der Frage: „Wem vertrauen die Menschen, wenn sie Museum sagen – den Macher*innen? Den Orten? Den Objekten?“

Panel mit sechs Teilnehmenden
3sat und die SPK hatten zu einem Abend über Vertrauen in Museen geladen: Es wurde ein großes Gespräch über Neutralität, Freiheit und demokratischer Zivilkultur. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl
Blick ins Publikum
Zahlreiche Interessierte fanden sich im Auditorium der James-Simon-Galerie ein. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl
Mann spricht in Mikrofon
SPK-Vizepräsident Gero Dimter eröffnete den Abend. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl
Frau spricht in Mikrofon
Kathrin Grotz, stellvertretende Direktorin des Institut für Museumsforschung, gab einen kurzen Einblick in die Studie. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl
Mann spricht in Mikrofon
Moderator Gert Scobel eröffnete die Debatte mit der Frage: „Wem vertrauen die Menschen, wenn sie Museum sagen – den Macher*innen? Den Orten? Den Objekten?“. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl

Die in Zusammenarbeit mit 3sat realisierte Veranstaltung öffnete damit den Bezugsrahmen der Studie, indem deren Parameter aus kulturpolitischer, feuilletonistischer, museumspraktischer und philosophischer Perspektive analysiert wurden. Von der „Verzauberungskraft der Institution Museum“ und von der Freude am Staunen etwa sprach Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, und von der „einzigartigen Erfolgsgeschichte dieser Erfindung aus dem 19. Jahrhundert“. Die gründet unter anderem auf der „großen Freiheit“, die sie ihren Besucher*innen schenkt: Sie können je nach Lust und Laune dahin oder dorthin gehen, Erläuterungen lesen oder nicht, alle ausgestellten Exponate in Augenschein nehmen oder nur manche, die sie besonders ansprechen – ohne dass sie jemand bei den Rundgängen gängelt.

Ähnlich sah es Patricia Rahemipour, Direktorin des Instituts für Museumsforschung und Co-Autorin der Studie. Das hohe Vertrauen in die Einrichtung Museum führte sie auch darauf zurück, dass de facto jeder Mensch schon einmal ein Museum besucht habe – ob mit den Eltern, ob während der Schulzeit oder ob aus eigener Neugierde.

Frau spricht in Mikrofon
Von der „Verzauberungskraft der Institution Museum“ und von der Freude am Staunen sprach Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, und von der „einzigartigen Erfolgsgeschichte dieser Erfindung aus dem 19. Jahrhundert“. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl
Frau spricht in Mikrofon
Patricia Rahemipour, Direktorin des Instituts für Museumsforschung und Co-Autorin der Studie. Das hohe Vertrauen in die Einrichtung Museum führte sie darauf zurück, dass de facto jeder Mensch schon einmal ein Museum besucht habe. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl

Kunst und Wissenschaft sind laut Grundgesetz frei

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, bezeichnete seine schulische Ausbildung als „katastrophal“, weshalb alles, was er für sein privates und berufliches Leben gelernt habe, aus Museen stamme. Sie seien für ihn bis heute „zentrale Lernorte“ und garantierten eine gewisse „Bildungsgerechtigkeit“ – nur „überpädagogisiert“ dürften sie nicht werden, das störe die direkte Zwiesprache zwischen betrachtendem Subjekt und ausgestelltem Objekt.

Den Begriff „Vertrauen“ differenzierte der Philosoph Julian Nida-Rümelin, denn es sei etwas anderes, einem Exponat in einem Museum zu vertrauen – oder etwa einer Skibindung. Er bezog sodann den politischen Background mit ein und riet zur Vorsicht bei vorschnellen Urteilen, wie bei der Einschätzung der „Washington Post“, die unter dem Eigentümer Jeff Bazos erstmals seit 1988 keine Empfehlung für die US-Präsidentenwahl ausgesprochen habe: „Wie kann man einer Zeitung vertrauen, die eine Wahlempfehlung abgibt?“

Auch Andreas Kilb, Feuilletonkorrespondent der FAZ in Berlin, vertraute der Struktur, der Tradition, den Macher*innen der Museen, wies aber auf nicht wenige Schwierigkeiten mit deren Objekten hin: Woher und wie kommen sie in unsere Museen? Wieso tun sich viele Museen so schwer damit, Transparenz über die Herkunft und den Erwerb ihrer Kulturgüter herzustellen? Kilb erwähnte in diesem Zusammenhang die Kontroversen um das Luf-Boot in der Ozeanien-Sammlung des Ethnologischen Museums und die aktuelle Sonderausstellung „Geschichte(n) Tansanias“ im Humboldt-Forum: „Der Sinn eines Museums ist Aufklärung über das, was war und damit, was ist.“ Diesen Anspruch sah er hier nicht eingelöst und erinnerte an die Gefahr, Vertrauen auch verspielen zu können.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Was tun, wenn politische Parteien versuchen, Einrichtungen wie Museen in ihrem Sinne zu instrumentalisieren? Wie können die ihre Neutralität verteidigen? Das ganze Podium unterstrich die Notwendigkeit der Unabhängigkeit, siehe Grundgesetz, Artikel 5: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“

Patricia Rahemipour verwies auf die zahlreichen, politisch verursachten Krisen in der Geschichte der Museen, wobei sie den Institutionen die Kraft und die Phantasie zusprach, daraus ein stabiles Rüstzeug gegen jedwede Einflussnahme von außen entwickelt zu haben.

„Museen sollen sich keinen Interessensgruppen unterordnen“, so Andreas Kilb, und meinte damit ideologisch rechte wie linke Zugriffsintentionen.

Mann spricht in Mikrofon
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, bezeichnete seine schulische Ausbildung als „katastrophal“, weshalb alles, was er für sein privates und berufliches Leben gelernt habe, aus Museen stamme. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl
Mann spricht in Mikrofon
Den Begriff „Vertrauen“ differenzierte der Philosoph Julian Nida-Rümelin, denn es sei etwas anderes, einem Exponat in einem Museum zu vertrauen – oder etwa einer Skibindung. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl
Mann spricht in Mikrofon
Andreas Kilb, Feuilletonkorrespondent der FAZ in Berlin, vertraut der Struktur, der Tradition, den Macher*innen der Museen, wies in der Diskussion aber auf nicht wenige Schwierigkeiten mit deren Objekten hin. Foto: SPK / photothek / Annette Riedl

Offene Denkprozesse, demokratische Zivilkultur

Ob die Museen unter dem Druck, Einnahmen zu generieren und in der Öffentlichkeit möglichst stark präsent zu sein, vielleicht in Gefahr gerieten, über jedes Stöckchen zu springen, das ihnen Politik und Zeitgeist hinhielten? Als Themen nannte Gert Scobel etwa die grassierende Wokeness, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, koloniale Restitutionsdebatten.

Entschieden distanzierte sich Ulrike Lorenz von derlei Überlegungen, denn die Häuser seien im positiven Sinne „sehr behäbig“, was sie glücklicherweise vor überstürztem Sinneswandel schütze. Wichtig sei es, die Kernkompetenz der Museen zu stärken, deren Mitarbeiter*innen sich als Experten „für gut erzähltes Wissen“ eben hohes Vertrauen in der Bevölkerung erarbeitet hätten. Darin läge auch das Zukunftspotential der Einrichtungen.

„Die Unabhängigkeit der Museen erweist sich in der Art und Weise, wie sie mit dem umgehen, was sie haben und zeigen“: So plädierte Andreas Kilb ebenfalls für die Kernkompetenz der Museen und betonte, dass heutzutage derart viel Wissen wie nie vorhanden und allgemein verfügbar sei: „Museen sollten sich für neue Denkprozesse öffnen.“

Hilfreich wären in diesem Zusammenhang, unterstrich Olaf Zimmermann, moderate Eintrittspreise oder Sonderöffnungszeiten, um die Zugänglichkeit zu erleichtern.

Die eingangs zitierte Studie kam ferner zu dem Schluss, dass Museen das Potenzial haben, das gesellschaftliche Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Bildung ist ein wesentlicher Treibstoff dafür. „Vertrauen in Museen ist auch ein Ferment für demokratische Zivilkultur“, ergänzte Nida-Rümelin.

Nach zwei Stunden intensiven Austauschs hätte es noch reichlich Gesprächsbedarf gegeben – über das konstitutive Ethos der Institutionen und die beste Haltung in schwierigen Zeiten, über die Verlaufsformen der Aufklärung und die Komplexität der Welt, über Aufgaben für die Museen von heute und von morgen und von übermorgen. Da kann ruhig noch die eine oder andere Studie folgen.

Aus dem Publikum kamen zum Abschluss noch mehrere Stimmen, zuletzt Barbara Helwing, der Direktorin des Vorderasiatischen Museums, die aufs schönste die enge Verbindung von Museen und Besucher*innen schilderte. Sie bezog sich auf die Wochen vor der kompletten Schließung des Pergamonmuseums im Oktober 2023, die nötig wurde, um die Sanierung des Hauses durchführen zu können. Da wären unglaublich viele Menschen ins Haus geströmt, und es waren nicht wenige, die sagten: „Wir besuchen noch einmal unser Ischtar-Tor.“ Unser!


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