In der zweiten Sanierungsphase der Neuen Nationalgalerie wurden die Bausubstanz und die Innenausstattung der Architekturikone grundlegend erneuert.
Im Januar 2018 begann die neue Sanierungsphase in der Neuen Nationalgalerie. In der ersten Bauphase ging es vor allem darum, das Haus auf sein Skelett rückzubauen und die ca. 35.000 Originalbauteile zu sichern, zu restaurieren und zu lagern. Im nächsten Schritt konzentrierten sich die Sanierer von David Chipperfield Architects einerseits darauf, die Gebäudesubstanz zu sanieren, zu modernisieren und um zeitgemäße Infrastruktur zu ergänzen und andererseits begann die Wiedereinrichtung des Innenraums.
Blick vom Dach in die Baugrube für den Depotanbau unter der Terrasse zur Potsdamer Straße. © Staatliche Museen zu Berlin / schmedding.vonmarlin.
Neuer Beton
Im Winter 2017/2018 war die Neue Nationalgalerie bis auf den Rohbau zurückgebaut und hatte damit fast wieder den Zustand wie zum Richtfest vor 50 Jahren erreicht. Nun begann die aufwändige Sanierung der Stahlbetonwände und -decken. Überall im Untergeschoss des Gebäudes zeigten rote Markierungen schadhafte Stellen an, die typisch für die Qualität der Substanz aus den 1960er Jahren sind.
Weil die Betonflächen in der Neuen Nationalgalerie während des Betriebs hinter Granitplatten, Ausstellungswänden oder den Platten der Moduldecke verborgen lagen, konnte erst nach der Demontage ein umfassendes Schadensbild aufgenommen werden. Über die Jahrzehnte hatte der Baustoff durch Witterung und bauzeitliche Mängel zahlreiche Schäden erlitten. Im Zuge der Sanierung wurden abgeplatzte Betonüberdeckungen, freigelegte rostende Bewehrungseisen und Risse saniert. Dafür mussten mehrere Zentimeter von den Außenwänden abgestemmt, neue Stahlmatten eingebracht und eine frische Betondeckung aufgetragen werden.
Im Innern des Gebäudes waren kleinteiligere Reparaturen, vor allem an der Moduldecke, fällig. Im Unter- und Kellergeschoss wurden an der Stahl-Kassetten-Decke Risse, Bohrlöcher und Fehlstellen im Beton entdeckt, die Risse wurden gekittet, indem eine festigende Emulsion injiziert wurde.
Globale Glasbeschaffung
Neben der Betonsanierung begann nun auch die Erneuerung der charakteristischen Stahl-Glas-Fassade, die in der Vergangenheit aufgrund von Klimaschwankungen großer Belastung ausgesetzt war. Die 56 Glasscheiben in den oberen Feldern der Fassade sind jeweils 5,40 Meter hoch und 3,40 Meter breit – ihr kompletter Austausch war eine Mammutaufgabe. Doch der vermehrte Glasbruch, der in der Neuen Nationalgalerie seit Mitte der 1970er Jahren auftrat, machte diesen Schritt notwendig.
„Die Ursachen“, so der Projektleiter Daniel Wendler vom Büro David Chipperfield Architects, „sind Korrosion im Bereich der Glashalteleisten, statisch unterdimensionierte Oberscheiben sowie erhebliche Verformungen der Stahlkonstruktion der Fassade durch Temperaturdehnungen sowie Windlasten“.
Durch die entstandenen Risse und Glasbrüche, aber auch durch die Einfachverglasung der Fassade der oberen Halle, war die Sicherheit dort zuletzt nur noch eingeschränkt gegeben.
Um die gewünschten Proportionen für die Glasfassade erreichen zu können, war der Architekt Mies während der Bauzeit bis ans Limit damaliger Glasproduktionsverfahren gegangen. Im „Libbey-Owens-Verfahren“ wurde das Glas über polierte Stahlwalzen in die gewünschte Form gezogen – so konnten Glasplatten mit bis zu 360 cm Breite hergestellt werden.
Während der Bauzeit des Berliner Museums wurden die letzten noch existierenden Gussglasanlagen für dieses Ziehverfahren weltweit vom qualitativ besseren und wirtschaftlicheren Floatglasverfahren abgelöst. Diese Methode, bei der Glas auf flüssigem Zinn schwimmt, um perfekte Oberflächen zu erreichen, arbeitet mit einer standardisierten Glasbreite von 321 cm.
Weltweit konnte 2018 nur ein einziger Glashersteller gefunden werden, der Floatglasscheiben in der für das Sanierungsvorhaben notwendigen Breite produziert. Südlich von Peking wurde das Basisglas hergestellt und von einem Glasveredler mit übergroßen technischen Einrichtungen, ebenfalls ansässig in der chinesischen Metropole, weiterverarbeitet. Ein enormer Aufwand, der sich lohnte: Die neuen Scheiben reichen in Glasfarbe und Anmutung nah an die Originale heran, bieten aber größere Sicherheit und stärkeren Schutz vor weiterem Glasbruch.
Ein neuer Gebäudeteil
Neben Sanierungsarbeiten entstand in der zweiten Bauphase an der Neuen Nationalgalerie auch ein ganz neuer Gebäudeteil: Unterhalb der Potsdamer Straße liegt nun ein neuer, zeitgemäßer Depot- und Technikraum. Die Fläche des Museums wurde an dieser Stelle unter der vorderen Haupttreppe, also zukünftig unsichtbar für die Museumsbesucher, um 900 Quadratmeter erweitert.
Die alten Depotflächen wurden für die Garderobe und den Buchladen umgebaut, das Depot mit 600 Quadratmetern Fläche wurde außerhalb des Gebäudes verlagert. Die neue Raumfolge hat wesentliche logistische Vorteile für die Anlieferung von Kunstwerken und ermöglicht es, den von Mies geplanten Ausstellungsrundgang im Innern wieder herzustellen.
Neben diesen grundlegenden Erneuerungen der Bausubstanz mussten in der zweiten Sanierungsphase auch die technische Ausstattung und die Inneneinrichtung modernisiert bzw. wiederhergestellt werden. Das Abwägen zwischen Denkmalschutz und den Ansprüchen modernen Bauens war hierbei eine stetige Herausforderung für die involvierten Architekt*innen und Fachleute.
Erneuerung der Klimatechnik
Ein stabiles Raumklima ist eine unumgängliche Voraussetzung für den heutigen Museumsbetrieb – plötzliche Temperaturstürze sind für empfindliche Farbschichten auf Gemälden genauso gefährlich wie zu viel Feuchtigkeit für Trägermaterialien wie Holz oder Papier. Im internationalen Leihverkehr haben sich inzwischen sehr strenge Klimawerte durchgesetzt, die man bei Ausstellungen vertraglich einhalten muss. Heutige Klimaanlagen müssen also für schwankungsfreie Raumwerte sorgen und zugleich energieeffizient und umweltfreundlich arbeiten.
Bei der Neuen Nationalgalerie mussten die Fachleute besondere Hürden nehmen, um die notwendigen technischen Neuerungen unter Einhaltung des Denkmalschutzes erreichen zu können. Klimatisches Sorgenkind des Baus ist seine eigentliche Ikone – die rundum verglaste Ausstellungshalle. Die 8,40 Meter hohe Stahl-Glas-Fassade umfasst ein Raumvolumen von 25.000 Kubikmetern. Bereits ursprünglich war für die Halle eine Fußbodenheizung vorgesehen, die im Zuge der Sanierung wieder hergestellt wurde. Eine über die Pfeiler und die Decke angelegte Zu- und Abluftversorgung wurde technisch neu angelegt und verbessert. Eines der größten Probleme war die Bildung von Kondensat an den großen Scheiben.
Dem Architekten Mies van der Rohe war dieses Phänomen wohl bewusst – er hat es für die Schönheit seiner Architektur in Kauf genommen. Bei der Sanierung wurde das Problem durch moderne Fassadenlüftungstechnik gelöst: Eine eigens entwickelte Anlage bläst nun Luft die mehr als acht Meter hohen fassadenscheiben hoch und reduziert so Kondensatbildung weitgehend.
Modernisierte Beleuchtung
Eine weitere technische Herausforderung technischer Art war die Beleuchtung des Hauses. In der Präsentation zum Neubau der Neuen Nationalgalerie formulierte Mies den Wunsch einer homogenen Beleuchtung, die die Ausstellungswände nicht durch hellere und dunklere Zonen untergliedert. Erreicht werden sollte dies mit Wallwashers (Wandfluter), die an den Wänden angebracht werden und nach oben leuchten sollten.
Im Rahmen der Grundinstandsetzung wurden die rund 2.400 vorhandenen Einbauleuchten denkmalgerecht und schonend auf LED-Technik umgerüstet und die Leuchtenkorpusse aufgearbeitet. So konnte das ursprüngliche Lichtbild, die bauzeitliche Lichtverteilung und die sichtbaren Originalteile der Leuchten erhalten bleiben, während gleichzeitig ein moderner Standard erreicht wurde. Künftig kann über eine neue Steuerung jede einzelne Leuchte individuell in der Helligkeit verändert und besser dem Tageslicht und der Lichtempfindlichkeit von Kunstwerken angepasst werden.
Decken, Böden, Wände: Die Inneneinrichtung
Im Rahmen der Erneuerung der Innenausstattung mussten zunächst grundlegende Elemente wie Wände, Deckenverkleidung und Bodenbeläge ausgetauscht werden.
So hatte Mies modulare Deckenelemente vorgesehen, die schnell umgebaut werden konnten und so eine Anpassung der Räume ermöglichten. In der Praxis war dies mit den Holzelementen, die an einem Holzraster festgeschraubt und überspachtelt waren, nicht einfach umzusetzen. Hinzu kam die Brandgefahr, die von dieser Konstruktion ausging und die modernen Sicherheitsansprüchen nicht mehr genügt. „Ziel der Grundinstandsetzung war es, die Konstruktion in Bezug auf Brandschutz und Bedienbarkeit zu verbessern und gleichzeitig das Erscheinungsbild der Decke zu erhalten“, erläutert Michael Freytag von David Chipperfield Architects.
Es wurden neue Elemente eingesetzt, die aus Metall und brandsicherem Vermiculit bestehen und künftig feldweise ausgehängt und ausgetauscht werden können. Wie schon in der bauzeitlichen Decke, enthalten die Platten Öffnungen für die technischen Komponenten.
Auch der Teppichboden wurde grundlegend erneuert. Ein Bouclé-Teppichboden aus reiner Schurwolle spiegelte ursprünglich das Raster der kassettierten Moduldecke. Der bauzeitliche, vollflächig im Raum verlegte Teppich wurde über die Jahrzehnte der intensiven Beanspruchung im Museumsbetrieb mehrfach ausgetauscht. Die Rekonstruktion des Teppichs musste ohne bauzeitliche Muster nur anhand von Fotos und Zeitzeugenaussagen erfolgen. Mit der Herstellung eines neuen Teppichs aus einem Wolle-Polyester-Gemisch wurde die bereits 1968 beteiligte Firma beauftragt.
Garderobe und Museumsshop
Zu den letzten Baustellen der Sanierung im Innenraum gehörten neben Möbeln und Kleinteilen die Garderoben und der Museumsshop.
Die Originalgarderobe entspricht in ihrem Umfang schon lange nicht mehr den Ansprüchen eines heutigen Museumsbetriebs. Die Besucherzahlen sind in den vergangenen fünfzig Jahren so weit angestiegen, dass eine Lösung für weitere Garderobenständer gefunden werden musste. Weil passende Räumlichkeiten fehlten, war die Garderobe im nördlichen Museumsgang untergebracht worden, wo sie jedoch den von Mies van der Rohe angelegten Museumsrundgang unterbrach und einen Fluchtweg blockierte.
Weil durch den Anbau unterhalb der Potsdamer Straße neuer Platz entstanden war, konnte das Büro David Chipperfield Architects die Garderobe in ein ursprüngliches Gemäldedepot verlegen. Mit dem Mehr an Platz können künftig zusätzliche Garderobenhaken, eine Gruppengarderobe, Schließfächer sowie eine Ausleihstation für Buggys und Rollstühle untergebracht werden, außerdem verbindet ein neuer Personenaufzug im Rahmen einer barrierefreien Erschließung des Museums die Ausstellungshalle mit dem Vorraum der Garderobe.
Auch der Museumsshop musste umziehen. In den Planunterlagen zum Museum hatte Mies einen Verkaufstisch im „Erfrischungsraum“ vorgesehen, dem Raum, der in den ersten Jahren nach der Museumseröffnung als Automatencafé für die Besucher*innen genutzt wurde. Mit steigendem Flächenbedarf für den Verkauf von Artikeln wurden in der Treppenhalle 1979 gläserne Wände gegenüber dem Café eingebaut, wo sich fortan ein eigenständig operierender Buchladen befand.
Ebenso wie bei der Garderobe nutzten die Architekt*innen des Büros David Chipperfield Architects auch hier das Skulpturendepot für den Einbau eines Museumsshops, der weiterhin gegenüber dem Café liegt. Nun steht eine größere Verkaufsfläche zur Verfügung, die als abgeschlossene Einheit an einen externen Betreiber vermietet werden kann.
Mit all diesen teils langwierigen und herausfordernden Arbeitsschritten haben David Chipperfield Architects und alle beteiligten Fachleute es nun tatsächlich geschafft, eine der großen Architekturikonen Berlins grundlegend zu modernisieren, ohne den ursprünglichen Charme und die Vision Mies van der Rohes zu beeinträchtigen. In diesem Sommer wird das Haus nun nach fünf Jahren wieder eröffnen – hoffentlich gut gerüstet, um auch in den nächsten 50 Jahren einen modernen und weltklassigen Museumsbetrieb zu gewährleisten.