Sind Autographen aus dem Besitz des 1943 in Auschwitz ermordeten Antiquars David Salomon rechtmäßig in die Sammlung Adam gelangt? Ein Provenienzforschungsprojekt ergründet, ob es NS-Raubgut im Gedächtnis Preußens gibt
Über den Namen Salomon gestolpert
Vor fünf Jahren fiel einer Mitarbeiterin des Geheimen Staatsarchivs bei der Recherche im Bestand „Sammlung Adam“ (1) der Vermerk „erworben von Sammlung Salomon“ auf. Der auf eine mögliche jüdische Herkunft hin weisende Name „Salomon“ ließ die Mitarbeiterin aufhorchen. Deutete dieser Erwerbungsvermerk auf sogenanntes NS-Raubgut hin?
Bereits nach kurzer Recherche war klar, dass es sich sehr wahrscheinlich um den Berliner Antiquar David Salomon handelte, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Erste biografische Hinweise lieferten die Recherchen des Schriftstellers Bernd-Ingo Friedrich (2), der sich für die Verlegung eines Stolpersteins an Salomons Wohnhaus in der Westfälischen Straße 63 in Berlin-Charlottenburg eingesetzt hatte.
Damit bestand ein ausreichender Anfangsverdacht, um ein Provenienzforschungsprojekt für die im Geheimen Staatsarchiv verwahrte „Sammlung Adam“ zu beantragen, und zwar im Sinne der 1998 erarbeiteten Washingtoner Erklärung. Darin verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland, NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu identifizieren und mit den rechtmäßigen Eigentümer*innen eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden.
Die Autographensammlung Adam
Bei dem Bestand „Sammlung Adam“ handelt es sich um eine ca. 6.000 Einzelstücke umfassende Autographensammlung vom 12. bis zum 20. Jahrhundert. Bei einer Autographensammlung stehen die Handschriften bekannter Persönlichkeiten im Vordergrund, während Inhalt und historischer Kontext eines Schriftstücks für viele Sammler*innen zunächst zweitrangig sind.
Aufgebaut hatte die Sammlung der Berliner Kaufmann Herbert Adam (1903-1979) seit Ende der 1930er Jahre. Noch zu seinen Lebzeiten bemühte sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Sammlung zu erwerben und damit der Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich zu machen. Die Verhandlungen konnten schließlich wenige Monate nach dem Tod Herbert Adams abgeschlossen werden. Über 11.000 Autographen wurden dank der finanziellen Unterstützung der Lotto-Stiftung in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übernommen.
Die literarisch-künstlerischen und wissenschaftlichen Autographen werden seither in der Staatsbibliothek und die politisch-historischen Autographen im Geheimen Staatsarchiv verwahrt. Die Grundlage für die archivfachliche Erschließung der Sammlung im Geheimen Staatsarchiv bildete ein von Herbert Adam erstellter Zettelkatalog. Für jede Person hatte Adam eine Karteikarte angelegt, auf der die zugehörigen Autographen mit einer Kurzbeschreibung, dem Erwerbungsdatum und der Bezugsquelle erfasst wurden. Inhaltlich waren die politisch-historischen Autographen in 65 Untergruppen nach thematischen, geographischen, chronologischen sowie formellen Kriterien geordnet. Diese Ordnung wurde auch in der Archivdatenbank beibehalten. Hingegen wurde die ursprüngliche Aufbewahrung der Autographen in Schubern aus Gründen der Bestandserhaltung durch säurefreie Archivverpackungen ersetzt.
Beginn der Provenienzforschung
Für den Start der Provenienzforschung war es ein großes Glück, dass Herbert Adam den Erwerbungszeitpunkt sowie seine Bezugsquelle dokumentiert hatte. Doch tatsächlich waren die retrokonvertierten Verzeichnungsdaten (also die von den analogen Karteikarten in eine digitale Datenbank übertragenen Verzeichnungsdaten) nicht sofort für die Provenienzforschung nutzbar.
Auf den Karteikarten ist durch die Reihenfolge und die verwendeten Schreibmaterialien in der Regel visuell gut zu erkennen, welcher Erwerbungsvermerk zu welchem Schriftstück gehört. In der Archivdatenbank ist diese Zuordnung jedoch nicht mehr mit Sicherheit möglich. Denn die Schriftstücke wurden dort teilweise zur besseren Nutzbarkeit chronologisch nach ihrem Entstehungszeitpunkt geordnet oder mehrere Verzeichnungseinheiten wurden digital zusammengeführt. Dadurch ist in der Archivdatenbank häufig nicht mehr zu erkennen, worauf sich die Angaben im Datenbank-Feld „Vorbesitz“ beziehen.
Daher war es der erste Schritt, die vorhandenen Verzeichnungsdaten in einer Excel-Tabelle so aufzubereiten, dass dadurch eindeutige Informationen über die Erwerbungsvorgänge für die weitere Recherche zur Verfügung stehen würden. Dazu wurden die Daten aus dem Feld „Vorbesitz“ separiert und normiert (also die Schreibweise vereinheitlicht). Dieser Prozess erfolgte für über 5.000 Verzeichnungseinheiten selbstverständlich nicht manuell, sondern wurde soweit möglich unterstützt durch Excel-Funktionen automatisiert durchgeführt. Am Ende der Datenaufbereitung konnten knapp 180 namentliche Vorbesitz-Einträge festgestellt werden. Davon wurden 40 Namen bereits identifiziert – darunter Antiquariate, Auktionshäuser und private Sammler*innen. Ebenso hat die Datenauswertung ergeben, dass Adam in 688 Fällen eine Versteigerung als Erwerbungsform angegeben hat. Daraus ergeben sich mindestens 124 einzelne Versteigerungstermine. Für die Provenienzforschung ist das besonders hilfreich. Denn mithilfe von Auktionskatalogen lassen sich diese Angaben zum einen überprüfen, zum anderen finden sich dort Chiffren der einliefernden Personen. Die dahinterstehenden Personen lassen sich im glücklichen Fall rekonstruieren, sofern archivalische Quellen erhalten und zugänglich sind.
Die von Adam erstellten Erwerbungsangaben werden nun, sofern die Namen bereits zugeordnet werden konnten, überprüft, um weitere Informationen zu erhalten. Denn die von Adam getätigte Erwerbung ist nur ein Teil der zu erstellenden Provenienzkette. Diese reicht im Idealfall von der Entstehung des Dokuments bis zum Erwerb durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Im Rahmen des aktuellen Projekts liegt der Fokus jedoch darauf, die Eigentümer*innen bzw. den Eigentumswechsel für den Zeitraum 1933 bis 1945 lückenlos zu belegen. Erst dann kann abschließend bewertet werden, ob es sich um einen rechtmäßigen oder unrechtmäßigen Erwerb handelt.
Recherchestand zur Sammlung Salomon
David Salomon wurde 1866 in Nakel im heutigen Polen als Kind jüdischer Eltern geboren. Beruflich zog es ihn nach Berlin. Hier war er zunächst viele Jahre als Seifenfabrikant und später als Geschäftsführer für eine Gesellschaft, die die Desinfektion von Telefonapparaten anbot, tätig. Im Jahr 1912 entschied er sich, aus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin auszutreten.
Zum Autographenhandel kam er wohl über seinen Sohn, Gerhard Salomon (später: Hans Roger Madol). Dieser betrieb Anfang der 1920er Jahre für kurze Zeit ein Antiquariat am Savignyplatz. Sein Vater David Salomon unterstützte ihn bei der Geschäftsführung des Antiquariats. Das scheint David Salomon den Anstoß gegeben zu haben, im Alter von rund 60 Jahren ebenfalls in den Antiquariatshandel einzusteigen. Er ließ fortan regelmäßig Kataloge drucken, die er an interessierte Sammler*innen verschickte. Sein „Privatarchiv“, wie er sein Angebot in einem Katalog bezeichnete, war zwar sehr umfangreich. Sein Gewinn scheint aber die Grenzen eines Kleingewerbes nicht überschritten zu haben. Denn ansonsten hätte Salomon sein Antiquariat im Handelsregister eintragen lassen müssen, was aber nicht geschehen ist. Dadurch ist auch unklar, wann Salomon seine Gewerbetätigkeit einstellte bzw. aufgrund der Repressionen des NS-Regimes einstellen musste. Hinweise darauf geben seine Kataloge, die ca. zwischen 1923 und 1935 erschienen, sowie das Berliner Adressbuch, in dem das Antiquariat D. Salomon das letzte Mal in der Ausgabe für das Jahr 1939 aufgeführt ist.
Herbert Adam notierte auf seinen Karteikarten, einige wenige Stücke aus der „Sammlung Salomon“ im Jahr 1937 erworben zu haben. David Salomon bot im Jahr 1937 einige Autographen auf einer Auktion der Autographenhandlung Stargardt an. Die von Adam erworbenen Stücke konnten jedoch bisher in keiner Auktion nachgewiesen werden. Es ist daher möglich, dass Adam die Stücke direkt von David Salomon erworben hat.
Über 600 Autographen erwarb Adam jedoch erst im Jahr 1957. Was mit der Sammlung Salomon passierte, nachdem David Salomon den Autographenhandel – zumindest offiziell – Ende der 1930er Jahre einstellen musste, ist bisher unklar. Konnte Salomon seine Sammlung in den 1940er Jahren unbemerkt privat weiter verkaufen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, bis er 1943 verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurde? Verblieb die Sammlung im Besitz der nichtjüdischen Ehefrau, Martha Salomon, sodass Adam einen Teil davon 1957 von ihr erwarb? Oder übernahm der ebenfalls als Antiquar tätige Sohn, Hans Roger Madol, die Sammlung und sie gelangte nach dessen Tod 1956 in London aus seinem Nachlass in den Autographenhandel?
Belege dafür zu finden, welchen dieser möglichen Wege die Sammlung Salomon tatsächlich genommen hat und in wessen Besitz sie zu welchem Zeitpunkt war, ist eines der Ziele im laufenden Provenienzforschungsprojekt zur Sammlung Adam im Geheimen Staatsarchiv.
Quellen
1) GStA I. HA Rep. 94 A Slg. Adam
2) https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/geschichte/stolpersteine/artikel.180019.php
3) https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32638799