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Stadtgespräch sein!

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Für das Dossier des Kulturrats schreibt SPK-Präsident Parzinger über das Potential der Stiftung

Ein Wort wie Stadtgespräch fällt mir beim Schreiben dieses Textes ein. Wir wollen wieder Stadtgespräch sein. Und: Wir sind Stadtgespräch! Das klingt simpel, ist aber für uns die schönste Anerkennung unserer Arbeit.

Man hört im Bus von den Schlangen vor der Alten Nationalgalerie, die zur fulminanten "Sezessionen"-Ausstellung führen. Man wird anderswo auf die 30.000 Besucherinnen und Besucher beim "Tag im Grünen" am Kulturforum angesprochen. Oder auf die junge Lebendigkeit im Hamburger Bahnhof, auf all die neuen Willkommensgesten in der Staatsbibliothek oder auf die großartigen Vermittlungsprogramme zur musikalischen Bildung im Musikinstrumenten-Museum.

 

Trennlinien überwinden

Diese Beispiele zeigen, dass wir die vergangenen Jahre genutzt haben, viel Neues auf den Weg zu bringenund uns zu modernisieren. Die Reform ist noch im Fluss, aber wir haben Stärken und Schwächen identifiziert. Neue Köpfe kamen mit neuen Ideen. Die Stiftung wirkt lebendiger als im Sommer vor drei Jahren, als auf offener Bühne ihre Abschaffung diskutiert wurde.

Der Wissenschaftsrat hatte der SPK attestiert, überkomplex und dysfunktional zu sein. Vieles, was im Gutachten steht, war berechtigt, aber eines wollten wir ebenso wie die Kulturpolitik in Bund und Ländern nicht so ohne Weiteres hinnehmen: die Auflösung dieses einzigartigen Verbundes aus Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, der die unterschiedlichsten Sparten der kulturellen Überlieferung verbindet und damit wichtige Brücken von der Vergangenheit in die Zukunft zu schlagen vermag.

Gerade in einer vernetzten Welt wie heute braucht es ein Modell wie das unsere, das die historisch gewachsenen, aber heute immer obsoleter werdenden Trennlinien zwischen Museen, Bibliotheken, Archiven und Forschungsinstituten nicht verfestigt, sondern eben gerade überwindet.

Menschen strömen durch eine blau-gekachelte Pforte

Besuchenden-Highlight im Pergamonmuseum

Der Südflügel des Hauses mit dem Ischtar-Tor und der Prozessionsstraße
von Babylon wird derzeit grundlegend saniert und soll 2037 wieder zugänglich sein.

Foto: SPK / Benne Ochs

Und doch muss man sich die selbstkritische Frage stellen, was geschehen muss, damit sich dieses enorme Potenzial endlich besser entfalten kann. Im Inneren gab es bei Führungskräften wie in der übrigen Mitarbeiterschaft aller Einrichtungen der SPK eine große Bereitschaft, nicht auf bessere Tage zu warten, sondern den Umbau selbst in die Hand zu nehmen und sofort zu beginnen, wissend, dass es ein langer Weg werden würde.

Wir erarbeiten Modelle für mehr Autonomie und Eigenverantwortung der Einrichtungen, treiben neue Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität, digitale Transformation oder mobiles Arbeiten voran und erproben mehr Miteinander.

Am wichtigsten, zugleich aber auch am herausforderndsten ist die Umstrukturierung der Staatlichen Museen zu Berlin, deren einzelne Museen und Institute künftig nicht mehr von einer Generaldirektion zentral gesteuert werden, sondern viel eigenständiger agieren und auch wirtschaften sollen. Ob Pergamonmuseum oder Neue Nationalgalerie, die einzelnen Häuser sind es doch, die die Millionen von Besucherinnen und Besuchern aus der ganzen Welt im Sinn haben, wenn sie an Museen in Berlin denken.

 

Vision "SPK 2030"

Sichtbares Zeichen der SPK-Reform ist aber auch ein neues kollegiales Vorstandsmodell, das die zentralen Belange der Stiftung strategisch steuern wird. Es ist nicht mehr die SPK der fünf – Staatliche Museen zu Berlin (SMB), Staatsbibliothek zu Berlin (SBB), Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), Ibero-Amerikanisches Institut (IAI) und Staatliches Institut für Musikforschung (SIM) –, sondern die SPK der 25, das heißt neben SBB, GStA PK, IAI und SIM treten nun die 21 Museen und Institute der SMB als eigenständige Einrichtungen hinzu, bilden aber weiterhin den Verbund der SMB.

Also mehr Autonomie und mehr Eigenständigkeit einerseits, aber auch mehr Austausch und Zusammenarbeit andererseits, um den Verbund der Stiftung zu stärken und seine Mehrwerte für Kultur und Wissenschaft, national wie international, besser zur Wirkung zu bringen.

Dazu entwerfen wir derzeit eine Vision "SPK 2030", die festhält, was die SPK als Verbund im Jahr 2030 auszeichnen wird. Hier werden konkrete Schwerpunkte für den Verbund festgelegt, denn wir müssen mit Blick auf die Zukunft festlegen, welche Zielgruppen wir auf welche Weise erreichen wollen.

Mann im Anzug mit Brille spricht gestikulierend an einem Tisch, davor Namensschild "Parzinger"

Hermann Parzinger

Der SPK-Präsident bei einer Pressekonferenz zum Stiftungsrat im Dezember 2022.

© SPK / photothek / Florian Gaertner

Spätestens an dieser Stelle kommen Politik und Träger ins Spiel. Mehr Autonomie für die Einrichtungen der SPK und mehr Wirkkraft für den Verbund lassen sich nicht allein durch organisatorische Veränderungen erreichen.

Bund und Länder wissen, wie strukturell unterfinanziert und personell ausgedünnt die SPK inzwischen ist. Der Wissenschaftsrat sprach in seinem Gutachten von "erheblichen finanziellen Mitteln", die nötig seien, um die Stiftung international konkurrenzfähig zu machen.

Wir hoffen deshalb sehr, dass sich Bund und Länder auf ein neues Finanzierungsmodell für Deutschlands mit Abstand größte Kultureinrichtung einigen, das für die nächsten Jahrzehnte trägt. Eine Zuschusserhöhung für die SPK muss aber auch in den Ländern vermittelbar sein, deren Kulturhaushalte ebenfalls angespannt sind.

 

Erste Adresse für Verbund- und Forschungsprojekte

Kritiker sehen in der historischen Bund-Länder-Struktur immer nur Belastungen
und Abstimmungsdauerschleifen. Die SPK als Kind des Kulturföderalismus hat die Länderbeteiligung jedoch immer als Gewinn wahrgenommen. Für Kultureinrichtungen
in den Ländern ist die SPK eine erste Adresse für Verbund- und Forschungsprojekte.

Erinnert sei hier an die Erfolgsgeschichte der Deutschen Digitalen Bibliothek, an das Projekt museum4punkt0, das digitale und nachnutzbare Vermittlungstools für das Museum der Zukunft entwickelt hat, oder an Ausstellungen wie "Kampf um Sichtbarkeit. Künstlerinnen der Nationalgalerie", die im Rahmen des Föderalen Programms der Stiftung an vielen Orten in den Ländern gezeigt wurde.

Die Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria hat gezeigt, wie wichtig es ist, einen solchen Weg gemeinsam zu gehen, teilen wir doch viele Herausforderungen. Die SPK will dabei den Austausch mit den Ländern und ihren Einrichtungen noch verstärken, um zu einem kulturpolitischen Think Tank zu werden und eine für alle Seiten gewinnbringende Zusammenarbeit entfalten zu können.

Die außenkulturpolitische Rolle der SPK, die wir weiter stärken werden, kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Ob Restitutionen, internationale Ausstellungskooperationen, Capacity-Building-Programme, Unterstützung bei Museumsentwicklungen oder Hilfe beim Kulturerhalt; die Stiftung als gesamtstaatliche Einrichtung will auch in globaler Hinsicht ein starker und verlässlicher Partner sein.

Mehr Wissen über die Welt ist eine Grundvoraussetzung für eine tolerante Gesellschaft

Die Veränderungen innerhalb der SPK sind dabei nicht nur ein Museumsthema. Es gibt viele Orte, die den begonnenen Wandel sichtbar machen. In der Staatsbibliothek zu Berlin laufen Projekte zum Einsatz von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen, davon wie auch von dem dort bereits im Einsatz befindlichen Social Intranet wird die ganze Stiftung profitieren.

Ferner hat die SBB einen Nutzendenrat gegründet, um zu erfahren, was für ihr Publikum wirklich wichtig ist: Lesesaal oder Studierlounge, Elfenbeinturm oder lebendiges Lernzentrum? Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Dahlem ist viel digitaler geworden. Etwa ein Viertel der im Archiv verwahrten Bestände können Nutzerinnen und Nutzer schon jetzt durch Online-Findmittel recherchieren, langfristig sollen sie vollständig im Internet verfügbar sein.

Das Ibero-Amerikanische Institut stärkt seine Rolle als Brückeninstitution nach Südamerika durch neue Verbundprojekte wie etwa das Merian-Center Mecila, »Convivality – Inequality in Latin America«. Das Staatliche Institut für Musikforschung widmet sich vermehrt Fragen von sinnlicher und sensorischer Erfahrung sowie sozialer Interaktion beim Hören und Präsentieren von Musik.

Solche und ähnliche Fragen bewegen natürlich auch die Staatlichen Museen zu Berlin: Was wünschen sich unsere Besucherinnen und Besucher? Wie können wir für sie attraktive Orte schaffen, mehr Teilhabe ermöglichen, den Austausch mit der Zivilgesellschaft ausbauen und aus Tempeln der Kontemplation lebendige soziale Orte machen?

 

Die Debatte um den Umgang mit dem Kolonialismus war überfällig

Wenn wir über das Museum der Zukunft sprechen, dann sind dabei auch die im Humboldt Forum gemachten Erfahrungen bedeutsam. Das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst haben sich quasi bei laufendem Betrieb und während eines gigantischen Umzugs von Tausenden von Objekten kolossal verändert.

Die öffentliche Debatte um den Umgang mit dem Kolonialismus war überfällig. Die Museen der Stiftung bekennen sich heute zur Rückgabe von Objekten aus Gewaltkontexten und illegalem Erwerb, oder wenn sie für die Ursprungsgesellschaften von zentraler Bedeutung für deren Identität sind.

Die SPK hat deshalb Arbeitsbereiche für postkoloniale Provenienzforschung und transkulturelle Zusammenarbeit aufgebaut.Vertrauensvolle Kooperationen, gemeinsame Koproduktionen und der Einbezug anderer, indigener Wissenskategorien sind heute grundlegend, wenn es darum geht, ethnologischen Museen eine andere Zukunft zu geben und dadurch ein neues Verhältnis zum "Globalen Süden" zu entwickeln.

Dies muss die kritische Auseinandersetzung mit unserer eigenen Institutionengeschichte
einschließen. Wichtig wird dabei sein, dass unsere Gäste Museumsinsel und Humboldt Forum als eine Einheit verstehen, die eine Begegnung mit allen Kulturen dieser Welt ermöglicht, die kulturvergleichende Perspektiven eröffnet, Querverbindungen vermittelt, historische Langzeitperspektiven aufzeigt, Triebkräfte menschlichen Handelns unabhängig von Zeit und Raum verständlicher macht und zugleich aber auch zur Dekolonisierung unseres Denkens und Handelns beiträgt. Mehr Wissen über die Welt ist eine Grundvoraussetzung für eine tolerante Gesellschaft.

Ein Schrank aus Holz mit filigranen Verziehrungen und Mustern

Sammlungsschätze

Der Pultschreibschrank "Neuwieder Kabinett" aus den Werkstätten von David Roentgen und Peter Kinzing (Neuwied, 1777–1779); Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin.

Foto: SPK / Benne Ochs

Herkunftsforschung wird die Arbeit der Stiftung auch in den kommenden Jahren in vielen verschiedenen Bereichen bestimmen. Die SPK ergreift dabei auch selbst die Initiative, etwa im Hinblick auf die archäologischen Sammlungen. So haben die Staatlichen Museen zu Berlin ein Positionspapier erarbeitet, das sich mit Themenfeldern wie Provenienzforschung, Fragen von Rechtmäßigkeit und der ethischen Bewertung der früheren Sammlungstätigkeit befasst und dabei aktuelle und zukünftige Perspektiven aufzeigt.

Vor 25 Jahren fand in Washington eine Konferenz statt, die die Grundlagen dafür legte, wie mit dem nationalsozialistischen Kunstraub umzugehen sei. Der von den Nazis betriebene Raub von jüdischem Kulturgut ist auch über 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch lange nicht bewältigt, obwohl sich viele Museen, Bibliotheken und Archive intensiv mit der Erforschung dieses Unrechts beschäftigen.

Für die SPK sind die Washingtoner Prinzipien und die darauf basierende "Gemeinsame Erklärung" von Bund, Ländern und Kommunen seit Jahren Leitlinie für den Umgang mit nationalsozialistischem Raubgut. Die Stiftung hat in den vergangenen Jahrzehnten über 350 Kunstwerke und mehr als 1.000 Bücher restituiert. Doch dabei soll es nicht bleiben.

Gemeinsam mit den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, dem Bayerischen Rundfunk und dem rbb haben wir das Projekt "Kunst, Raub, Rückgabe – Vergessene Lebensgeschichten" initiiert. Wir wollen in einer "Mediathek der Erinnerung" die Lebenswege der vielen Opfer rekonstruieren, die mit diesen "Fällen" verbunden sind. Und wir wollen zeigen, wie sehr diese jüdischen Menschen das kulturelle Leben Deutschlands einst bereichert haben.

 

Noch attraktiver fürs Publikum

Doch der Erfolg der SPK und ihrer Einrichtungen bemisst sich nicht nur in der Arbeit in nationalen und internationalen Netzwerken, sondern ganz konkret auch an den Museumskassen, in der Zufriedenheit von Nutzenden unserer Archive und Bibliotheken, am perfekten Service für Forscherinnen und Forscher. Wir wollen noch attraktiver für unser Publikum werden.

Die heutige diverse Stadtgesellschaft will anders angesprochen werden. Die Menschen, die zu uns kommen, konfrontieren uns mit ganz anderen Fragen als noch vor zehn Jahren, und sie erwarten Antworten darauf. Darin liegt auch eine ganz besondere Chance für die Stiftung.

Es gibt keine nachhaltige und gewinnbringende Gestaltung von Gegenwart und Zukunft ohne Bewusstsein für die Vergangenheit

In Zeiten, die von Krieg, Krisen, tiefen Erschütterungen und Verunsicherungen geprägt sind, können Einrichtungen wie unsere auch Orientierungswissen bieten, indem wir vergleichende Perspektiven auf die Menschheitsgeschichte eröffnen und zunehmendem Populismus und Verschwörungserzählungen wissenschaftliche Fakten und Erkenntnisse entgegensetzen.

Wir können aufzeigen, wie divers die Welt schon immer war und wie wichtig es ist, voneinander zu lernen, Erfahrungen zu teilen und Brücken zwischen Gesellschaften zu bauen. Es gibt keine nachhaltige und gewinnbringende Gestaltung von Gegenwart und Zukunft ohne Bewusstsein für die Vergangenheit. Dazu können wir beitragen mit dem vielfältigen Wissen unserer Expertinnen und Experten, die in den verschiedensten Fächern zu Hause sind.

Entscheidend ist jedoch, dass wir darüber auch in den Austausch mit unseren Besucherinnen und Besuchern, unseren Nutzerinnen und Nutzern eintreten, deren Fragen, Ideen und Wissen zukünftig einbezogen werden muss. Ob Citizen Science oder zivilgesellschaftliche Beiräte, Kultureinrichtungen können nur dann wirklich zu sozialen Orten und Plattformen des gesellschaftlichen Austausches werden, wenn sie echte Teilhabe ermöglichen. Und wenn das richtig gut läuft, dann sind wir eben Stadtgespräch.

Dieser Beitrag ist zuerst im Dossier „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ erschienen, das Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, beiliegt.


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