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Schlagwort Resilienz

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Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors und Theresa Brüheim, Chefin vom Dienst von Politik & Kultur, im Gespräch zum Thema Resilienz

Herr Simon, wie resilient ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) im Krisenfall – sei es eine Havarie, ein Kriegsfall, eine Naturkatastrophe? 

Das ist eine schwierige Frage. Resilienz ist zunächst mal ein Schlagwort … Projekte mit diesem Wort im Titel schießen gerade überall wie Pilze aus dem Boden. Die EU plant eine »Partnership for Resilient Cultural Heritage«. Da geht es zum einen um eine Stärkung der Forschung zur Erhaltung des Kulturerbes auf dem Weg zur Klimaneutralität und zum anderen um Resilienzsteigerung durch Rückgriff auf Erkenntnisse aus dem Kulturerbe, um Tradition und Innovation zu verbinden.

Beim Thema Resilienz stellt sich zum einen die Frage, was bedroht das Kulturerbe und in welchem Maße? Zum anderen, welchen Beitrag kann das Kulturerbe selbst leisten, um sich auf die Krise vorzubereiten? Die Antwort hängt davon ab, von welcher Krise wir genau sprechen – und von der Dynamik ihrer jeweiligen Entwicklung.

Inzwischen ist der Klimawandel – langsam zwar, aber immerhin – auch in den Kultureinrichtungen angekommen: Wie bereiten wir uns auf Starkwetterereignisse vor? Wie auf wachsende soziale Spannungen? Warum und wofür verbrauchen wir so viel Energie bei Bau und Betrieb unserer Museen und in ihren Programmen? Gefährdet diese Verschwendung von Ressourcen nicht unsere ureigene Mission, nämlich Kulturgut für nachfolgende Generationen nachhaltig zu bewahren? Wie schaut unsere CO₂-Bilanz aus, warum übertrifft fast jeder Neubau die Klimafeindlichkeit seines Vorgängers? Das ist keineswegs nur ein deutsches Problem. Die Herausforderungen sind enorm. Neben der Klimakrise verändern weitere wie Kriege, soziale Spannungen und Energiekrisen den öffentlichen Raum. Wir reagieren darauf, indem wir ein innovatives, holistisches Risikomanagement für den Stiftungsverbund aufbauen. Viel zu lange Zeit spielte Risikomanagement in der SPK keine Rolle. Aber seitdem am 3. Oktober 2020 unbekannte Täter zahlreiche Kunstwerke auf der Museumsinsel mit einer öligen Flüssigkeit beschmutzt haben, hat die Stiftungsleitung es zu einer Priorität gemacht, und das ist sehr gut.

Ist das Krisenbewusstsein schon überall angekommen? Nein, das glaube ich nicht – auch nicht in der Politik. Das sieht man daran, dass wir neue Museen bauen, die wir in wenigen Jahrzehnten nicht mehr so wie geplant werden nutzen können. Dass Kulturerbeeinrichtungen nach Instandsetzungen mehr Energie als davor verbrauchen, ist absurd. In wenigen Jahren, mit der fortschreitenden Klimakrise, werden wir über diese Prozesse ganz anders sprechen. Vieles wird uns noch unverständlicher als heute erscheinen. Habe ich die Entscheider davon überzeugt? Nein. Aber wir haben, und das ist die wichtigste Antwort auf die Frage nach der Resilienz in der SPK, an der Stiftungsspitze inzwischen ein Verständnis dafür, dass wir all diesen Risiken nur mit den Werkzeugen eines holistischen Risikomanagements begegnen können. Das könnte zu einem »game changer« werden. Dieses Gespräch hätten wir so vor zehn Jahren in der SPK nicht führen können. Sind wir schnell genug? Nein, aber wir sind auf dem richtigen Weg.

Ein Mann in weißem Kittel sitzt in einem Labor

Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors, im Gespräch mit Theresa Brüheim, Chefin vom Dienst von Kultur & Politik
@Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Welche Vorsorgemaßnahmen wurden konkret getroffen? Wo sehen Sie noch Bedarf? 

Vor knapp drei Jahren hat die SPK eine Taskforce Risikomanagement etabliert und mich mit der Leitung betraut. Im August dieses Jahres haben wir mit Almut Siegel und Alke Dohrmann zwei erfahrene Kolleginnen einstellen können. Sie haben den bekannten Sicherheitsleitfaden Kulturgut SILK aufgebaut und werden das Risikomanagement der SPK professionalisieren. Wir haben zudem eine Taskforce Green Culture, die die Stiftungsleitung zu einem Bekenntnis zur Klimaneutralität der SPK vor 2035 geführt hat.

Wenn ich es kritisch sagen darf: Wir arbeiten in der Museumsklimatisierung mit Standards, die anachronistisch und nicht wissenschaftlich fundiert sind. Die Kunstsammlung NRW hat vor Jahren damit angefangen, ihre Klimakorridore aufzuweiten. Damit könnten auch wir viel Energie einsparen. Wir könnten da schon viel weiter sein. Aber wir müssen auch alle mitnehmen. Das trifft auch auf das Risikomanagement zu. Es ist ein für zwei Jahre durch die BKM gefördertes Projekt. Unser Träger muss verstehen, dass das eine Daueraufgabe ist. Ähnlich wie die Bereiche »Integrated Pest Management« (IPM) und »Biozid-Kontamination«. Anfangs ebenfalls Projekte, sind mittlerweile die Stellen an meinem Institut verstetigt worden. Auf beiden Gebieten hat die SPK dadurch eine große Strahlkraft entwickelt.

Die Fragen – Wie gehe ich mit den sich wandelnden Risiken um? Wie mache ich meine Einrichtung resilienter? – sind keine, die wir in einem befristeten Projekt beantworten können. Da wir kaum zusätzliche Ressourcen bekommen werden, braucht es eine Aufgabenrevision. Das birgt Konfliktpotenzial, weil diese vielleicht mit weniger Ausstellungen, weniger Bauprojekten einhergehen wird. Unsere Welt aber ist damit konfrontiert, dass wir uns insbesondere in den Ländern des »Globalen Nordens« auf ein Weniger hin um[1]orientieren müssen. Auch die Museen müssen erkennen, dass der Klimawandel nicht vor ihren Türen haltmachen wird.

Was kann die SPK in der internationalen Zusammenarbeit beim Thema Resilienz lernen? Welche Länder gehen beispielhaft voran? 

Es gibt viel zu lernen, z. B. beim Thema Neubau und Instandsetzung. In Dänemark und Polen werden Museumsdepots mit weniger als 10 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m²a) betrieben. Auch in den Niederlanden wurde Anfang letzten Jahres in Amersfoort eines eröffnet, das CollectieCentrum Nederland, welches sogar den nationalen Preis für das nachhaltigste öffentliche Gebäude gewonnen hat. Da sind wir in Deutschland weit davon entfernt – unsere Museen zählen zu den größten Energieverbrauchern im städtischen Umfeld, mitunter mit höheren Verbräuchen als ein Krankenhaus.

Klimaneutrale Museen, und so müssen wir spätestens 2035 operieren, dürfen nicht mehr als ca. 30 bis 40 kWh/m²a verbrauchen. Der Median in unserem Benchmarking für Energieverbräuche von 150 Museen und Archiven liegt derzeit knapp unter 300 kWh/m²a. Daran erkennt man welche Wegstrecke noch vor uns liegt. Aber es gibt auch positive Entwicklungen: Die BKM hat im April eine Konferenz zum Thema »Culture in Crisis« in Georgien unterstützt, unter anderem mit großzügigen Reisestipendien für Referentinnen und Referenten aus den Philippinen, Namibia, Kenia, Mexiko, dem Irak und Syrien. Es sind viele Synergien durch Networking und »community-based approaches« entstanden. Traditionelle Autoritäten stoßen heute an ihre Grenzen. Das unbefriedigende Wirken der UNESCO während des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist ein Beispiel. Also haben wir ein Fo[1]rum geschaffen, in dem wir uns speziell mit Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine über das Potenzial zivilgesellschaftlichen Engagements ausgetauscht haben. Gleiches gilt nach dem Erdbeben vom 6. Februar analog für unsere türkischen Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine Stärke der SPK: ihre Einbindung in internationale Forschungsnetzwerke. Das ist ein Pluspunkt für unsere Resilienz. Bei aller Skepsis, die Sie aus meinen Worten raushören, in diesem Punkt hat die SPK eine großes Potenzial. Damit müssen wir arbeiten.

Es gibt viel zu lernen, z. B. beim Thema Neubau und Instandsetzung. In Dänemark und Polen werden Museumsdepots mit weniger als 10 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m²a) betrieben. Auch in den Niederlanden wurde Anfang letzten Jahres in Amersfoort eines eröffnet, das CollectieCentrum Nederland, welches sogar den nationalen Preis für das nachhaltigste öffentliche Gebäude gewonnen hat. Da sind wir in Deutschland weit davon entfernt – unsere Museen zählen zu den größten Energieverbrauchern im städtischen Umfeld, mitunter mit höheren Verbräuchen als ein Krankenhaus.

Klimaneutrale Museen, und so müssen wir spätestens 2035 operieren, dürfen nicht mehr als ca. 30 bis 40 kWh/m²a verbrauchen. Der Median in unserem Benchmarking für Energieverbräuche von 150 Museen und Archiven liegt derzeit knapp unter 300 kWh/m²a. Daran erkennt man welche Wegstrecke noch vor uns liegt. Aber es gibt auch positive Entwicklungen: Die BKM hat im April eine Konferenz zum Thema »Culture in Crisis« in Georgien unterstützt, unter anderem mit großzügigen Reisestipendien für Referentinnen und Referenten aus den Philippinen, Namibia, Kenia, Mexiko, dem Irak und Syrien. Es sind viele Synergien durch Networking und »community-based approaches« entstanden. Traditionelle Autoritäten stoßen heute an ihre Grenzen. Das unbefriedigende Wirken der UNESCO während des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist ein Beispiel. Also haben wir ein Fo[1]rum geschaffen, in dem wir uns speziell mit Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine über das Potenzial zivilgesellschaftlichen Engagements ausgetauscht haben. Gleiches gilt nach dem Erdbeben vom 6. Februar analog für unsere türkischen Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine Stärke der SPK: ihre Einbindung in internationale Forschungsnetzwerke. Das ist ein Pluspunkt für unsere Resilienz. Bei aller Skepsis, die Sie aus meinen Worten raushören, in diesem Punkt hat die SPK eine großes Potenzial. Damit müssen wir arbeiten.

Münze aus dem interaktiven Katalog des Münzkabinetts

Das Münzkabinett im Bodemuseum betreibt sowohl Material- als auch Herkunftsforschung.
Münze aus dem interaktiven Katalog des Münzkabinetts
@Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18236704 CC BY-NC-SA 3.0 DE

Im Falle einer Havarie, was würde gerettet werden? Gibt es eine Liste mit priorisierten Sammlungsstücken? 

Natürlich. Im Risikomanagement ist es wichtig zu wissen, welche Werte verloren gehen können, wenn etwas passiert. Dafür muss man zunächst diese Werte ermitteln. Dabei gibt es nicht nur den Geldwert, es gibt eine kaleidoskopische Landschaft von Werten: historische, wissenschaftliche, soziale oder ästhetische, die den Objekten von verschiedenen »Stakeholdern« unterschiedlich zugeschrieben werden können. Also fragen wir bei den Einrichtungen nach einer Priorisierung ihrer wichtigsten Objekte. Manche Archive in Deutschland machen das nicht gern und verweisen auf das Archivgesetz, nach dem alles gleich viel wert sei. Im Endeffekt ist das aber nicht hilfreich. Bei einer Evakuierung im Notfall muss mit einem Objekt angefangen werden. Zu sagen, wir priorisieren nicht, macht diese Aufgabe schwierig. Die Herausforderung hat sich am 24. Februar letzten Jahres verschärft, als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann. Was ist im Kriegsfall zu evakuieren? Und wohin? Diese Frage stellt sich für die Büste der Nofretete anders als für das Ischtar-Tor.

Zu Beginn stand die Frage nach den wertvollsten Objekten für eine mögliche Evakuierung im Kriegsfall. Keine drei Monate später beginnt der Gasnotstand, und wir waren gefordert, 20 Prozent Energie einzusparen. Da hat die Taskforce Risikomanagement bei den Sammlungen nachgefragt, welche Objekte ein »schlechteres Klima« aushalten können, wenn Klimaanlagen und Energieversorgung ausfallen. So ändern sich Prioritäten. Risikomanagement ist ein Prozess, kein Protokoll!

Die klimabedingten Wetterereignisse, wie die Starkregen Ende Juni in Berlin, stellen uns vor immer größere Herausforderungen. Von unseren 17 Museen war fast ein Dutzend betroffen. Auch das Rathgen-Forschungslabor war darunter, das Wasser lief durch geschlossene Fenster. Was machen wir, wenn das schlimmer wird? Insgesamt lässt sich sagen: Wir haben Notfallpläne und Evakuationslisten. Gemeinsam mit den Referaten Sicherheit und Technik, den Museumsleitungen, Kuratorinnen und Kuratoren sowie Sammlungsverwalterinnen und -verwaltern arbeiten wir kontinuierlich an einer Verbesserung. Dieser Prozess hat inzwischen Früchte getragen. Bei Havarien und Notfällen sind wir besser als vor zwei Jahren aufgestellt. Wir sind dem Notfallverbund der Berliner Museen beigetreten. Aber die Dynamik der Klimakrise wird noch höhere Anforderungen an uns stellen. Wie bereiten wir uns am besten auf Tornados, ein sich im Klimawandel für Berlin verschärfendes Risiko, vor?

Welches Fazit lässt sich ziehen?

Die SPK wurde 2020 durch den Wissenschaftsrat als dysfunktional bewertet. Aber nennen Sie mir eine Kulturerbeeinrichtungen, die eine Taskforce Risikomanagement eingerichtet hat? Wo forschen hauptberuflich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im »Integrated Pest Management« (IPM) und über die »Biozid-Kontamination«?

Gerade im IPM haben wir im Sommer einen Erfolg in Deutschland gefeiert: Der Einsatz von in situ generiertem Stickstoff wurde für die Schädlingsbekämpfung wieder legalisiert und damit eine kafkaeske Situation in der EU überwunden. Die EU hatte 2012 Stickstoff, der immerhin ca. 78 Prozent unserer Umgebungsluft ausmacht, als Biozid eingestuft und ihn damit krebserregenden Organochlorverbindungen wie DDT gleichgestellt. In Deutschland gibt es mehr als 30 Anlagen in Museen, die Insektenbefall mit Stickstoff, einem für Mensch und Kulturgut nachhaltigen Verfahren bekämpfen. 2017 wurde dieser EU-Beschluss nationales Recht, und auf einmal war der Betrieb dieser Kammern in Deutschland illegal. Mit Unterstützung der BKM konnten wir die nationale Relegalisierung von in situ generiertem Stickstoff erreichen. Es hat drei Jahre gedauert, aber es hat geklappt, weil die SPK Expertise und Schlagkraft zusammenführt. Das hat auch mit Resilienz zu tun, für deren Aufbau Forschung und Wissenschaft die wichtigste Grundlage sind.

Stefan Simon ist Direktor des Rathgen-Forschungslabors. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.

Dieser Beitrag ist zuerst im Dossier „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ erschienen, das Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, beiliegt.