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Weiter so — geht nicht mehrDie Arbeit des Rathgen-Forschungslabors wird immer wichtiger, um die Sammlungen unbeschadet durch die Klimakrise zu bekommen

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Der Klimawandel ist endgültig in unseren Museen, Archiven und Bibliotheken angekommen. Er manifestiert sich in zunehmenden Risikoszenarien wie Starkwetterereignissen, der ihre ureigene Mission – die nachhaltige Bewahrung des kulturellen Erbes – zu unterlaufen droht. Gerade wegen ihres beträchtlichen Energieverbrauchs und den damit verbundenen Treibhausgasemissionen müssen sich auch die Kulturerbeeinrichtungen grundsätzlich umorientieren. Ein »weiter so«, wie wir es seit Jahrzehnten in eklatantem Widerspruch zu allen Erkenntnissen der Wissenschaft erleben, geht nicht mehr.

Wir haben nur noch dieses Jahrzehnt, um im Bezug auf die bröckelnden »planetary boundaries« eine radikale Wende herbeizuführen. Die Frage, an der sich die Forschung des Rathgen-Forschungslabors also primär ausrichtet, lautet: Wie können wir diese wenigen Jahre nutzen?

Bei komplexen Zusammenhängen wie in der Klimakrise helfen Werkzeuge eines »ganzheitlichen Risikomanagements«. Sie erleichtern den Umgang mit Zielkonflikten und sind seit 2023 Gegenstand eines durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderten Forschungsprojekts, das museale Sammlungen, Bibliotheken und Archive besser auf aktuelle und künftige Risikoszenarien vorbereiten soll. Bereits seit Oktober 2020 kümmert sich eine einrichtungsübergreifende Taskforce Risikomanagement unter der Leitung des Rathgen-Forschungslabors um die Verbesserung der Krisenresilienz der Häuser der Stiftung. Ein Verständnis der potenziellen Auswirkungen komplexer und dynamischer Situationen, der professionelle Umgang mit Risiken und eine skalierbare Bedrohungsabwehr sind allesamt notwendige Schritte für einen erfolgreichen Schutz unseres Kulturerbes. Alles Dinge, die Kultureinrichtungen auf sich allein gestellt nicht bewältigen können. Im April 2023 war das Institut daher Mitausrichter eines Workshops in Georgien in der Konferenzserie »Culture in Crisis«, die der Institutsleiter 2015 gemeinsam mit dem Victoria & Albert Museum ins Leben gerufen hat. Der Workshop hat sich besonders mit der zivilgesellschaftlichen Rolle von Kultureinrichtungen vor, während und nach Krisenzeiten befasst.

Ende 2022 startete im Institut das Projekt »Ressourcen-optimierte Kulturerbebauten (Memory Institutions) – ReKult«, das vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) als Forschungsträger gefördert wird. Dabei soll, gemeinsam mit drei Hochschulpartnern, das deutsche »Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen« (BNB) analysiert und seine Übertragbarkeit auf Kulturerbebauten geprüft werden.

In einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekt »Grünes Museum und klimagerechte Kultur. Umweltmanagement klimabezogener Risiken in Museen« sollen Museen in Kooperation mit der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) Heidelberg besser auf den Klimawandel und die damit verbundene Anpassung vorbereitet werden. Dabei soll eine Sammlung von Best-Practice-Beispielen zusammengestellt werden, die sich bereits auf den Weg zum »Grünen Museum« gemacht haben.

Die globale Erwärmung dürfte auch die Entwicklung diverser sammlungsschädlicher Insekten oder Pilze in Gebäuden beeinflussen. In einem Projekt im Rahmen von Heritage Science Austria wird am Forschungslabor der Einfluss des Klimawandels auf Museumsschädlinge (Insekten und Pilze) untersucht.

Ein wichtiger Dienstleistungsschwerpunkt am Rathgen-Forschungslabor ist die Entwicklung von Leistungskennzahlen wie Energieverbrauch und Realklimata, die für Zuwendungsempfänger der BKM und darüber hinaus kostenfrei angeboten werden. Die Einstufung der realen Feuchte- und Temperaturbedingungen in standardisierte Klimaklassen ist insbesondere für die Ermittlung von Energieeinsparoptionen hilfreich. Die inzwischen über 150 Kultureinrichtungen umfassende Benchmarking-Datenbank des Instituts hilft Kultureinrichtungen ihren Energieverbrauch zu erkennen und im internationalen Vergleich zu bewerten.

Seit seiner Gründung arbeitet das Forschungslabor auch jenseits von Museumsmauern, z. B. in der Denkmalpflege. So geht es im EU-Forschungsprojekt »Stone monument ensembles and the climate change impact« (STECCI) um die Erarbeitung nachhaltiger Strategien zur Erhaltung der dem UNESCO-Welterbe zugeordneten »Stecci«, Grabdenkmälern in mehreren Ländern des Balkans. Als Vergleichsstudien werden jüdische Friedhöfe in Nordbayern herangezogen.

Daneben sind die Forscherinnen und Forscher des Labors auch in Projekten der Kunsttechnologie und Archäometrie aktiv. Die Beweisführung im Fälschungsskandal um Wolfgang Beltracchi oder die Authentifizierung der nach 40 Jahren wieder aufgetauchten Gemälde aus dem Kunstraub von Gotha waren Beispiele unserer Arbeit von hoher öffentlicher Wirksamkeit. In einem aktuellen Projekt der Ernst von Siemens Kunststiftung zur berühmten Wiener Reichskrone beschäftigen wir uns derzeit mit der Charakterisierung der in der Reichskrone verwendeten Materialien.

Eine Frau untersucht ein Gemälde, auf dem ein Mann mit Hut und Handschuhen zu sehen ist

Frans Hals, Brustbild eines unbekannten Herrn mit Hut und Handschuhen, Öl/Leinwand, um 1635 Foto: © Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin (Detail)

Schließlich wird auch auf der forschungspolitischen Ebene die Arbeit des Forschungslabors immer wichtiger. Im europäischen Rahmen wurde die Allianz für die Erforschung des Kulturerbes in Europa (ARCHE) gegründet, ein Koordinationsnetzwerk, dessen Ziel darin besteht, die Akteure in den Mitgliedstaaten in die gemeinsame Gestaltung von F&I-Strategien und Roadmaps für eine strategische Forschungs- und Innovationsagenda (SRIA) zum Erhalt des kulturellen Erbes einzubeziehen. ARCHE soll zu einer starken Basis für eine europäische Partnerschaft in der Kulturerbeforschung werden, in der transnationale Projekte gebündelt und werden. Eng mit EU-ARCHE verbunden sind die Joint Programming Initiatives on Cultural Heritage (JPI CH), denen Deutschland 2022 beigetreten ist. Für JPI CH fungiert der Direktor des Rathgen-Forschungslabors der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als Delegierter der BKM.

Mittelfristige Zielsetzung dieser im Rahmen von EU-Horizon 2020 aufeinander aufbauenden EU-Projekte ist die Schaffung einer vernetzten europäischen Forschungslandschaft (ERIC), um in internationaler und transdisziplinärer Arbeit die forschungsrelevanten Herausforderungen eines nachhaltigen Schutzes des kulturellen Erbes zu meistern. Der Weg dahin aber ist noch weit. Durch die genannten Projekte ist der Mitarbeitendenstand des Rathgen-Forschungslabors inzwischen auf über 20 Personen angewachsen – eine unumgängliche Aufstockung, handelt es sich hier schließlich um neue Daueraufgaben in sowohl Forschung als auch Dienstleistung, ohne die wir unsere Sammlungen nicht unbeschadet durch die sich verschärfende Klimakrise im 21. Jahrhundert bringen werden.

Stefan Simon ist Direktor des
Rathgen-Forschungslabors.

Dieser Beitrag ist zuerst im Dossier „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ erschienen, das Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, beiliegt.