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Denkt nicht nur an Notre-Dame!

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Europäische Kultureinrichtungen haben die Welt lange nur gesammelt. Jetzt geht es um einen Austausch auf Augenhöhe.

In der Debatte um das Humboldt Forum im wiederaufgebauten Berliner Schloss wird gern davon gesprochen, dass es mit dem neuen Haus auch um einen neuen Zugang zur Welt geht. Auch andere europäische Museen streben danach. Aber wie lässt sich dieser finden? Mit welchem Recht beglücken wir andere Gesellschaften mit dem europäischen Verständnis von Museum und Kulturerbe? Wissenschaftler aus Sammlungen zu außereuropäischen Gesellschaften sind per Definition im Ausland aktiv. Doch wie gestaltet man die Zusammenarbeit? Während meiner Forschungen und Projekte im Nahen Osten in den vergangenen 25 Jahren war diese Frage nach der eigenen Rolle immer virulent. Darf man in Kooperationsprojekten von einer westlich geprägten Definition von Geschichte und Kulturerbe ausgehen? Geht es bei Museumsentwicklungen in Jerusalem oder Yazd (Iran) um eigene Konzepte, weil ich die Besucherwünsche gastgebender Gesellschaften gar nicht erfassen kann? Und was habe ich überhaupt an solchen Orten zu suchen?

Eingang zur Zitadelle von Aleppo

Eingang zur Zitadelle von Aleppo © Sultan Kitaz, 2014

Internationalität ist für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz alltägliches Geschäft. Die Expertise in den Museumssammlungen, Abteilungen der Staatsbibliothek oder Forschungsinstitutionen ergibt sich zwangsläufig aus der aktiven Erforschung der Sammlungen und ihrer gesellschaftsgeschichtlichen Kontexte. Seit Jahrzehnten entwickelt sich in den internationalen Netzwerken ein steter Austausch. Wir wissen, dass wir es mit einer globalen strukturellen Ungleichheit zu tun haben und dass wir die Ressourcen der Welt lange genug nur abgeschöpft haben. Doch es ist einiges in Bewegung geraten: Nichtwestliche Kunstszenen blühen weltweit auf. Biennalen in Istanbul, Sharjah oder Kairo seien hier stellvertretend für die islamisch geprägte Welt genannt. Ikonische Museen wie am Persischen Golf mit importierter Kunst sind Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins.

Dennoch, viele Länder haben diese Ressourcen nicht und werden sie auch mittelfristig nicht haben. Für den Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame de Paris als nationales Symbol sind ohne staatliches Zutun enorme Geldspenden zusammengekommen. Für den Wiederaufbau der Umayyaden-Moschee von Aleppo gilt das nicht, von anderen Welterbestätten Syriens ganz zu schweigen. Unser spezifisches Erbe ist daher auch Auftrag: Wir müssen weiter und verstärkt daran arbeiten, dass unsere Ressourcen zugänglich bleiben und Menschen aus den Herkunftsgesellschaften durch Stipendien zur Ausbildung als Multiplikatoren in den Herkunftsländern, Reiseerleichterungen und Förderung der Strukturen vor Ort partizipieren können. Abschottung wäre falsch.

Teams des Nationalmuseums Herat und des Museums für Islamische Kunst im afghanischen Herat
Teams des Nationalmuseums Herat und des Museums für Islamische Kunst im afghanischen Herat © A.G. Shaikhzade
Guides des Projekts „Multaka: Treffpunkt Museum“
Guides des Projekts „Multaka: Treffpunkt Museum“ © Staatliche Museen Berlin, Museum für Islamische Kunst, Milena Schlösser

Die langen Partnerschaften haben auch uns verändert.

Wir haben es oft mit Projekten zu tun, die aus der Not geboren sind – wie dem tragischen Verlust des Nationalmuseums in Rio de Janeiro. Der Normalfall ist jedoch die tägliche Arbeit der Museen in der SPK. Allein am Museum für Islamische Kunst laufen Projekte zu mehr als zehn UNESCO-Welterbestätten, was international einmalig ist. Ob in der Forschung, in Museumskonzeptionen, Datenbanken, Restaurierungen, Digitalisierungen oder im capacity building – die Projekte sind so divers wie die Partner. Besondere Freude machen gemeinsam entwickelte Programme wie SAWA, das erste Weiterbildungsprogramm für Berufsanfänger in Museen arabischsprachiger Länder und in Deutschland – entwickelt in Partnerschaft mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, dem Goethe-Institut und der Sharjah Museums Authority. Ebenso die Ausbildungs- und Strukturbildungsprojekte vor Ort, etwa im afghanischen Herat oder im iranischen Yazd.

Die langen Partnerschaften haben auch uns verändert. Wir arbeiten auf Augenhöhe, wir besuchen uns gegenseitig, enge Freundschaften sind entstanden. Der Dialog fördert die Selbstreflektion. In jedem Land gibt es Profis und Laien, die sich vehement und aus unterschiedlichen Gründen für den Erhalt und die Musealisierung ihres Kulturerbes einsetzen. Aber bei panarabischen, panislamischen, nationalen, konfessionellen – also divergierenden – Geschichtsbildern meint man nicht immer das Gleiche. Aushandlungsprozesse brauchen öffentliche Räume. Die aber existieren im Nahen Osten oft nur reguliert. Im nordlibanesischen Tripoli gibt es beispielsweise ein Kooperationsprojekt zwischen der Universität, der Stadtverwaltung und dem Orientinstitut in Beirut. Es geht um die Restaurierung eines einmaligen Handelshauses aus dem 13. Jahrhundert. Vorschläge wurden in Workshops diskutiert und in der Nachbarschaft gemeinsam bearbeitet. Die Frage „Warum seid ihr hier?“ hat uns niemand gestellt. Die Restaurierung wurde später im Libanon ausgezeichnet und diente als Vorbild für weitere Instandsetzungen.

Museen erhalten in gegenwärtigen Krisen des cultural cleansing mit der Zerstörung des kulturellen Gedächtnisses eine neue Rolle. Es ist extrem wichtig, auch in Krisen im Gespräch mit Partnern aus den Herkunftsgesellschaften zu bleiben. Natürlich hat es vordergründig einen merkwürdigen Beigeschmack, sich über das Kulturerbe Sorgen zu machen, während Millionen auf der Flucht sind. Humanitäre Hilfe zuerst! Doch unsere syrischen Partner im Syrian Heritage Archive Project etwa sind dankbar, dass wir in Kontakt bleiben, und bitten uns, sie jetzt nicht allein zu lassen.

Gerade in politisch angespannten Zeiten hat das kulturelle Erbe als ein verbindendes Band kollektiver Identitäten eine enorme Bedeutung und kann eine Brücke im postkonfliktären nationbuilding darstellen. Um die Relevanz von kulturellem Erbe gesellschaftlich zu stärken, fragen wir in einer Erweiterung des Syrian Heritage Archive Projects durch die Andrew W. Mellon Foundation nach persönlichen Erinnerungen und der individuellen Definition von Kulturerbe. Welche Bedeutung also hat materielles und immaterielles Kulturerbe für die Bevölkerung? Ein Team von vier Spezialisten sucht den Austausch mit Menschen in Aleppo und nimmt ihre Definition von immateriellem Kulturerbe mit in die Datenbank auf.

Die Antwort auf die einleitenden Fragen scheint also nicht, die Kooperationen mit Herkunftsländern infrage zu stellen. Im Gegenteil: Das Engagement ist überaus gefragt. Unser Projekt „Multaka: Treffpunkt Museum – Geflüchtete als Guides in Berliner Museen“ ist dabei ein Beispiel, auf den gesellschaftlichen Wandel zu reagieren. 23 Guides aus den Herkunftsländern erzählen dabei ihre Geschichte der Objekte – zunächst für andere Geflüchtete, aber inzwischen auch für ein deutsch- und englischsprachiges Publikum. Auch hier geht es um Teilhabe, Repräsentation und emotionale Aneignung. Es ist wichtig, auch unsere Gesellschaft für Expertise unterschiedlicher Herkunft weiter zu öffnen und diese bei uns als selbstverständlich willkommen zu heißen.

Der Autor ist Direktor des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum.


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