Hermann Parzinger und Michail Piotrowski über die Zukunft der deutsch-russischen Zusammenarbeit.
Herr Parzinger, seit fast 15 Jahren gibt es, getragen von der Kulturstiftung der Länder, im Deutsch-Russischen Museumsdialog die Möglichkeit eines intensiven Austausches zwischen deutschen und russischen Museumskollegen. Wie sind hier die bisherigen Erfahrungen?
Hermann Parzinger: Der Dialog wurde 2005 gegründet. Man wollte ein Forum schaffen, um die Zusammenarbeit zu intensivieren. Der Ausgangspunkt lag zunächst bei dem Thema „kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter“. Auf deutscher Seite hatte man bemerkt, dass die Politik das Problem nicht weiterbringen würde. Also suchte man nach Möglichkeiten, um gemeinsam mit unseren russischen Kollegen die jeweiligen Sammlungen zu erschließen, zu erforschen und auszustellen. Von diesem Punkt aus ist der Dialog weitergegangen. Es ist uns gelungen, aus einer schwierigen Geschichte, die uns eigentlich trennen müsste, etwas zu erschaffen, das uns verbindet.
Neue Projekte in der Planung: Hermann Parzinger (l.) und Michail Piotrowski kennen einander seit Jahren © Christoph Mack
Sie haben sich im Rahmen des Dialogs nicht nur mit deutschen Sammlungen beschäftigt; 2012 gab es, gefördert von der Volkswagenstiftung, ein Forschungsprojekt zu den Verlusten russischer Museen im Krieg. Gibt es hier noch große Forschungslücken?
Michail Piotrowski: Es gibt auch so viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch viele Fragen. Es geht dabei nicht nur um das, was verloren gegangen ist; sondern vor allem um die Frage, was genau geschehen ist. Denn aus den Antworten kann man für die Gegenwart lernen: Denken Sie an die Evakuierung der Antikensammlung in Palmyra. Aus den Evakuierungen in Deutschland oder Russland ließe sich generell lernen, wie sich ein Museum am besten evakuieren lässt. Es geht letztlich immer um die Kunst. Es gibt Momente, da ist Kunst wichtiger als das Leben von Menschen. Ich weiß, das ist provokant. Aber nehmen Sie nur Notre-Dame: Da haben Menschen ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um die Kunst zu retten. Somit ist es auch heute wichtig, möglichst viele Details über den Verlauf der Evakuierungen im Zweiten Weltkrieg in Erfahrung zu bringen. Gerade am Beginn des Krieges gibt es auf russischer Seite nur wenig Unterlagen. Schritt für Schritt fügen wir deutsches und russisches Wissen zusammen.
Michail Piotrowski
1944 in Jerewan geboren, wuchs Piotrowski als Sohn des ehemaligen Direktors der Eremitage, Boris Piotrowski, auf. 1992 wurde er selbst Direktor der Eremitage. Er zählt zu den prägendsten Stimmen in der gegenwärtigen Museumswelt
Hermann Parzinger
Der 1959 geborene Prähistoriker ist seit 2008 Präsident der SPK. Er ist Mitglied in zahlreichen Gremien und Beiräten sowie korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften
Aus einer schwierigen Geschichte haben wir etwas Verbindendes gemacht.
Zu einem Teil dieser gemeinsamen Geschichte gehört auch die der Victoria von Calvatone. Seit bald drei Jahren arbeiten SPK und Eremitage trotz aller politischen Uneinigkeit bei der sogenannten Beutekunst eng zusammen, um die Statue zu erforschen und zu restaurieren.
Parzinger: Die Arbeit an der Victoria von Calvatone ist ein schönes Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Museen. Natürlich liegt das Projekt in der Verantwortung der Eremitage; aber unsere Fachleute sind immer wieder in Sankt Petersburg, um gemeinsam mit den russischen Kollegen zu überlegen, wie die Restaurierung aussehen soll. Ein Kriegsverlust ist wiedergefunden, und nun kümmern wir uns gemeinsam um das Objekt.
Wird die Victoria nach Abschluss der Restaurierungen in der Eremitage ausgestellt werden?
Piotrowski: Darüber werden wir uns gemeinsam verständigen. Eine solche Ausstellung sollte auf jeden Fall mit einem gemeinsamen wissenschaftlichen Symposium verbunden sein. So haben wir es bis dato bei all unseren gemeinsamen Ausstellungs- und Forschungsprojekten gehalten. Es geht also nicht einfach nur um die Wiederausstellung der Victoria.
Welche Erfahrungen hat man hier in der Vergangenheit gesammelt – es gab ja unter anderem auch eine gemeinsame Ausstellung zu den Merowingern oder zur Bronzezeit?
Parzinger: Durch diese Ausstellungen ist eine große Offenheit entstanden. Auch die Politik hat verstanden, dass Offenheit unter Wissenschaftlern keine Entscheidungen vorwegnimmt; sie ist schlicht grundlegend für eine gute Zusammenarbeit. Aktuell haben wir drei weitere gemeinsame Projekte: eine Ausstellung zur Eisenzeit, eine zur antiken Vasenmalerei und eine zu Donatello. Letztere ist eine Kooperation mit dem Puschkin-Museum, wo sich heute ein beträchtlicher Teil jener Donatello-Arbeiten befindet, die einst im Bode-Museum ausgestellt waren.
Piotrowski: Am Anfang unserer Zusammenarbeit stand eine Ausstellung über Schliemann. Damals wanderten erstmals Objekte zwischen Russland und Deutschland hin und her. Manch einer hat darin ein Risiko gesehen. Heute wissen wir, dass das ein guter Anfang war. Darauf basierend haben wir nach und nach ein Rezept für weitere Kooperationen entwickelt. Von Schliemann ausgehend sind wir jetzt also bei Donatello. Das ist doch eine gute Entwicklung. Ich glaube, wir geben hier ein Beispiel für die Welt als Ganzes.
Parzinger: Es geht bei unseren Zusammenarbeiten um shared heritage. Gemeinsam übernehmen wir Verantwortung für Objekte, die der Menschheit gehören. Letztlich sind die Museen ja nie wirklich die Eigentümer ihrer Kunstschätze. Wir sind Kuratoren. Wir bewahren für die Nachwelt und stellen für unsere Zeit zur Verfügung. Was die deutsch-russische Zusammenarbeit betrifft, können wir wirklich stolz auf das sein, was wir erreicht haben. Wir haben heute eine derart enge und fruchtbare Zusammenarbeit, wie mit kaum einem anderen Land auf der Welt.
Das Buch
Die Kulturstiftung der Länder und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz starten eine neue Reihe mit Studien zu kriegsbedingt verlagertem Kulturgut. Der erste Band „Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“ erscheint jetzt im Böhlau Verlag (45 Euro). Die russischen Museen verzeichneten im 2. Weltkrieg hohe Verluste. Bis heute sind die Geschichte der Museen und das Schicksal ihrer Sammlungen nur in Ansätzen erforscht. Ein Projekt deutscher und russischer Wissenschaftler hat hier Forschungslücken zu schließen versucht.