Eine Gruppe von rund dutzend Menschen bei Sonnenschein auf Lehmboden vor einem hellgelb getünchten Haus stehend

Perspektiven für eine dekoloniale und kreative Zukunft

Artikel

Lesezeit: ca.  min

23 Objekte aus dem Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin sind im Mai 2022 nach Namibia zurückgekehrt – pünktlich zur Eröffnung des Museums of Namibian Fashion in Otjiwarongo. Stefan Müchler war vor Ort.

Namibia, Windhoek, Independence Memorial Museum: Der gläserne Aufzug im linken Fuß des monumentalen bronzefarbenen Gebäudes bringt die Besucher*innen zügig in die oberen Etagen des Ausstellungshauses. Anlässlich der Ankunft von 23 Objekten aus dem Ethnologischen Museum in Windhoek, hatten das National Museum und die Museum Association of Namibia (MAN) zu einer Pressekonferenz in das Unabhängigkeitsmuseum geladen - ein symbolträchtiger Ort. Hier, im Herzen der Stadtneben der Christuskirche, stand seit 1912 das „Reiterdenkmal“: ein überlebensgroßer bronzener Schutztruppenreiter in Uniform, der an die „tapferen deutschen Krieger“ erinnern sollte, die während der Kolonialkriege des deutschen Kaiserreichs gegen die Herero und Nama ihr Leben ließe, bis es 2009 abgebaut wurde. Seine Reste liegen nach einer Wiederaufstellung und erneuten Abtragung seit Jahren im verschlossenen Innenhof der Alten Feste gegenüber. Die Stelle des deutschen Kolonialreiters hat seitdem eine Statue des namibischen Gründungspräsidenten Sam Nujoma eingenommen. Das Independence Memorial Museum ist dem antikolonialen Widerstand gegen das Deutsche Reich und dem bewaffneten Befreiungskampf Namibias gewidmet, das letztlich erst 1990 seine Unabhängigkeit von der Republik Südafrika erlangen konnte. Auch die Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin ist untrennbar mit der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit der Sammlung verbunden, geht aber auch weit darüber hinaus.

Eine Gruppe von rund dutzend Menschen bei Sonnenschein auf Lehmboden vor einem hellgelb getünchten Haus stehend

Eröffnung des Museum of Namibian Fashion in Otjiwarongo © SPK / Stefan Müchler

In einem wegweisenden Kooperationsprojekt des Ethnologischen Museums mit der Museums Association of Namibia beforschen seit 2019 Wissenschaftler*innen aus Berlin und Namibia einen Teil der Museumssammlung neu. Für Julia Binter, österreichische Provenienzforscherin und Co-Leiterin des Projekts, hat der gemeinsame Forschungsprozess mit den Partner*innen aus Namibia vor allem die Möglichkeit geboten, zuzuhören und zu lernen. „Die Forschungsfragen, die wir am Ethnologischen Museum zunächst entwickelt hatten, entsprangen unserer Überzeugung, dass wir in der Verantwortung stehen, die kolonialen Kontexte zu verstehen, in denen die Objekte erworben wurden. Unsere namibischen Forschungspartner*innen haben uns gezeigt, dass es ebenso wichtig ist, nach vorne zu schauen und kreative Zukunftsvisionen zu entwickeln. Deshalb auch der Titel unseres gemeinsamen Projekts ‚Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures‘“.

Bei den 23 aus dem Bestand des Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin ausgewählten Objekte handelt sich um historische Alltagsgestände, Schmuck, Werkzeuge und Mode. Sie wurden vor und während der deutschen Kolonialherrschaft (1884-1919) über Namibia gesammelt und sind Teil einer rund 1.400 Objektnummern zählenden Sammlung. Die Provenienzen dieser Objekte werden seit Anfang 2018 erforscht – seit Projektstart gemeinsam mit namibischen Gastwissenschaftler*innen. Die Sammlung spiegelt koloniale, teils äußerst gewaltvolle Aneignungsprozesse wider. Darüber hinaus zeigen sie die Kreativität und das gestalterische Können ihrer Erschaffer*innen und sind damit eine wichtige Quelle Inspirationsquelle für zeitgenössische Künstler*innen und Designer*innen.

„Der Auswahlprozess ist uns nicht leicht gefallen“, sagt Nehoa Hilma Kautondokwa von MAN, die Teil der in Berlin forschenden Expertengruppe war. „Zahlreiche Objektarten hatte ich bislang nur als Abbildung, aber noch nie in Natura gesehen.“ In einem ersten Schritt hatte sich die Gruppe die gesamte Museumsdokumentation zu dem aus Namibia stammenden materiellen Kulturerbes der Sammlung angeschaut. Danach ging die Arbeit im Depot weiter, wo alle rund 1.400 Objekte in Augenschein genommen wurden. Um aus der schieren Menge überhaupt eine Auswahl treffen zu können, erarbeitete das Projektteam eine Reihe von Kriterien. So wurde vor allem darauf geachtet, Objekte zu identifizieren, die in der Sammlung des namibischen Nationalmuseums fehlen.

Ebenso sollten durch eine breite geographische Verteilung möglichst Objekte von vielen verschiedenen Communities zusammengetragen werden. „Zusätzlich haben wir einen inklusiven Ansatz verfolgt, der Alter und Geschlecht mitberücksichtigt. So sollen sowohl Objekte enthalten sein, zu denen Kinder eine Beziehung aufbauen können, wie auch Männer und Frauen“, erklärt Nehoa Hilma Kautondokwa. „Natürlich haben wir auch auf den konservatorischen Zustand der Objekte geachtet. Objekte, die auf Grund ihrer Materialität bei der Reise Schaden nehmen könnten, haben wir daher bei der Auswahl ausgeschlossen. Hier müssen wir andere Wege finden, um sie in Namibia zugänglich machen zu können.“

Eine große Förderung der Gerda Henkel Stiftung ermöglichte nun die Reise der 23 Objekte nach Namibia. In der ersten, gerade abgeschlossenen Projektphase, stand die Stärkung der namibischen Museumslandschaft im Zentrum. So konnte das Depot des National Museum of Namibia renoviert und das Museum of Namibian Fashion an sich erst ermöglicht werden. Zusätzlich finanziert die Gerda Henkel Stiftung eine Restauratorin sowie eine Museologin am National Museum und unterstützt das Museum mit Capacity-Building-Workshops und Materialien zur präventiven Konservierung der Sammlung. Im weiteren Projektverlauf in Namibia sind Workshops mit namibischen Historiker*innen und Oral Historians, Aktivist*innen, Kulturschaffenden, heritage practitioners und Künstler*innen im Nationalmuseum geplant, die das mit den Objekten verbundene Wissen und andere Formen des immateriellen Kulturerbes, wie zum Beispiel historische Techniken und Materialien, reaktivieren und dokumentieren sollen.

Schon in der Zeit des Projektstarts 2019 plante MAN, Museen relevanter für die namibische Bevölkerung zu machen, da die Zielgruppe bis dato vor allem  Tourist*innen waren. Neben Musik und Sport rückte hierbei das Thema Mode in den Fokus. „Bei der Beschäftigung mit der Sammlung in Berlin haben wir festgestellt, dass viele Objekte dem Bereich Mode zuzuordnen sind und haben sie sofort als wichtige Inspirationsquelle entdeckt. Daher haben wir bei der Auswahl auch darauf geachtet Objekte zu finden, die uns bei der Gründung eines Museums für namibische Mode unterstützen,“ so Nehoa Hilma Kautondokwa.

Redner auf einem teppichbehängtem Podium vor überdimensioniertem Wandbild, das bewaffnete Soldaten zeigt, links und rechts neben ihm sitzend jeweils drei weitere Personen
Pressekonferenz anlässlich der Ankunft der 23 Objekte im Independence Memorial Museum © SPK / Stefan Müchler
Schaufensterpuppen, jeweils bekleidet mit knielangem Kleid und Schürze, bzw. Hemd, Hose und Hosenträgern
Ausstellungsstücke im Museum of Namibian Fashion in Otjiwarongo © SPK / Stefan Müchler
Eine Frau mit langem Kleid und horizontal sehr ausladendem Hut steht stolz neben einer Modepuppe in ähnlicher Bekleidung
Modesdesignerin Cisla Rukoro mit der von ihr entworfener Herero-Tracht © SPK / Stefan Müchler

Ein Museum für namibische Mode

Und weil die Covid-Pandemie die Reise der Objekte aus Berlin verzögerte, fiel deren Ankunft nun mit der Eröffnung des Museums of Namibian Fashion in Otjiwarongo zusammen. Am Tag nach der Pressekonferenz startete nun das namibisch-deutsche Projektteam mit einem Kleinbus des Kulturministeriums zur rund dreieinhalbstündigen Reise ins zu eröffnende Modemuseum. Mit dabei waren auch einige namibische Modeschöpferinnen, die die Erstausstellung des Museums mitgestaltet haben.

In den letzten Jahren wurde die Strecke von Windhuk in das rund 70 Kilometer nördlich gelegene Okahandja als erste Autobahn Namibias zweispurig ausgebaut. Hier vereinigen sich kurzzeitig die wichtigsten Straßen des Landes. Zum einen der in Ost-West-Richtung verlaufende Trans-Kalahari Corridor von Pretoria über Botswana bis zum namibischen Walvis Bay, zum anderen der in Mittel- und Nordafrika weiterhin lückenhafte Tripoli–Cape Town Highway. In Okahandja endet die A1 und macht die Stadt zu einer wichtigen Versorgungsstation. Die nächsten 180 Kilometer bis Otjiwarongo führt die Straße im Wesentlichen schnurgerade durch offene Savannenlandschaft.

Mit dem Museum of Namibian Fashion erhält die vielfach als Ausgangspunkt für Reisen in den Etosha-Nationalpark genutzte Kleinstadt nun ihr erstes Ausstellungshaus.

„Als Fashiondesigner haben wir jetzt endlich einen Ort, an dem wir unsere Kreationen zeigen können. Hier können wir auch lernen, wie die Bekleidung unserer Vorfahren ausgesehen hat, und dies als Inspiration für Neuschöpfungen nutzen“, so Modedesignerin Cisla Rukoro.

Kurz vor der Eröffnung nimmt sie noch letzte kleine Verbesserungen an dem von ihr entworfenen und geschneiderten Kleid vor, ergänzt ein leichtes Halstuch, befestigt eine Brosche in der Mitte des prägnanten Kopfschmucks und richtet die Schärpe. Für die hererosprachige Namibierin Cisla Rukoro hat die traditionelle Herero-Mode eine ganz besondere Bedeutung, die sie für nachfolgenden Generationen bewahren und präsent halten möchte. Auch das prächtige dunkelblaue Kleid, das sie zur Eröffnung trägt, hat sie selbst entworfen.

Das in einem ehemaligen Wohnhaus untergebrachte und in den letzten Monaten sorgfältig eingerichtete Modemuseum umfasst sechs kleine thematische Galerien. Im Eingangsbereich steht das erste zentrale Objekt: eine alte Singer-Nähmaschine. Für Ndapewoshali Ashipala, amtierende Direktorin der Museum Association of Namibia, sowohl Sinnbild für Modeschöpfung wie auch Teil einer ganz persönlichen Geschichte. „Diese Nähmaschine habe ich als Teenager von meiner Mutter geschenkt bekommen, sie hat für mich daher eine ganz besondere Bedeutung. Hiermit habe ich mein erstes komplettes Outfit hergestellt. Jetzt habe ich eine elektrische Maschine – daher konnte ich sie dem Museum als Leihgabe zur Verfügung stellen.“

Das Hauptanliegen Ndapewoshali Ashipala ist, den Besucher*innen des Museums historische Kleidungsstücke und Accessoires sowie zeitgenössische Designs erlebbar zu machen, die von Namibias reicher Geschichte und kultureller Vielfalt inspiriert sind. Junge namibische Kreative sollen dazu inspirieren werden, diese kulturellen Wurzeln zu nutzen, um Produkte zu entwickeln, die getragen werden können und dabei gleichzeitig eine einzigartige namibische Identität verkörpern. „Im Museum gibt es einen ganzen Ausstellungsbereich, wo wir Objekte, wie zum Beispiel Handtaschen zeigen, die von den 23 jetzt nach Namibia gereisten Objekten inspiriert wurden“ so Ndapewoshali Ashipala. Neben Schöpfungen für die Ausstellung wird es für Modedesigner*innen auch die Möglichkeit geben, ihre Kreationen im Shop des Museums zu verkaufen. Durch die Wiedervernetzung von Akteur*innen in Namibia mit kolonialen Sammlungen aus Berlin und Windhoek wird so neues kulturelles Schaffen angeregt und Perspektiven für eine dekoloniale und kreative Zukunft ermöglicht.

23 Objekte

Die historischen Sammlungen aus Namibia am Ethnologischen Museum wurden größtenteils während der deutschen Kolonialzeit (1884-1919) erworben, es gibt jedoch auch deutlich früher gesammelte Stücke. Dies sind die 23 Objekte, die von der in Berlin forschenden namibischen Expertengruppe ausgewählt wurden.

Liste der 23 Objekte (PDF, 531 KB)


Weitere Artikel zum Thema