ForschungsFRAGEN: Buchkunst en miniature

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Kunsthistorikerin Friederike Weis von den Staatlichen Museen zu Berlin ist spezialisiert auf persische und indische Buchkunst, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum für Asiatische Kunst und Leitung des DFG-Projekts "Indische Alben der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zwischen Tradition und Dokumentation: Die Polier- und Swinton-Alben in den Staatlichen Museen zu Berlin" (in Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst). Hier beantwortet sie Ihre Fragen zu Buchkunst en miniature.

Was sind Miniaturen eigentlich? Welche Themen behandeln sie üblicherweise (und konkret in den indischen Alben) und welchem Zweck dienen sie?

Friederike Weis: Als Miniaturen werden Bilder bezeichnet, die mit deckenden Wasserfarben auf Papier gemalt sind. Dabei handelt es sich entweder um detaillierte Darstellungen, die einen Text in einem Buch illustrieren, oder um Einzelkunstwerke, die in Alben aufbewahrt wurden. In den frühen indischen Moghulalben des späten 16. und 17. Jahrhunderts sind vor allem Porträts der Kaiser, Fürsten und Gelehrten des Reichs sowie Tierbilder gesammelt worden. Im 18. Jahrhundert nimmt hingegen der Anteil von idealisierten Frauenporträts und Gruppenbildern zu; insbesondere Feste im moghulischen Harem, aber auch außerhöfische Aktivitäten, zum Beispiel Besuche bei Hindu-Asketinnen sind vermehrt dargestellt. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass viele Betrachter*innen von Alben – auf indischer wie auch auf europäischer Seite – Frauen waren.

Miniatur: Taj Mahal
Ansicht des Taj Mahal, ca. 1780–85, Polier-Album I 5005, fol. 16r, Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst / Foto: Martin Franken
Miniatur von drei Personen
Nath-Yogini mit zwei Begleitern, signiert von Mihr Chand, ca. 1773–77, Polier-Album I 4594, fol. 1v, Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Foto: Johannes Kramer
Miniatur einer Frau
Indische Frau nach dem Bade, ca. 1760, Swinton-Album I. 4591, fol. 3r, Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst / Foto: Johannes Kramer

Wie zeigen sich die Einflüsse von Europäern, indischen Herrschern, lokalen Eliten und Künstlern in der Zusammenstellung der Polier- und Swinton-Alben?

Friederike Weis: In den Alben des Schweizer Militäringenieurs und Architekten Antoine-Louis-Henri Polier (1741–95), der von 1758 bis 1788 in Indien lebte, und dem schottischen Chirurg und Dolmetscher Archibald Swinton (1731–1804), der Indien nach vierzehn Jahren bereits 1766 wieder verließ, waren Frauenthemen sehr beliebt. Darunter befanden sich auch viele erotisierte Bilder indischer Frauen in durchscheinenden Kleidern beim Baden oder beim Weintrinken und Musizieren. In seinem eigenen Buchkunst-Atelier ließ Polier unter Leitung des Malers Mihr Chand viele Ansichten von berühmten indischen Bauten fertigen, wie etwa dem Taj Mahal. Einige davon verschenkte er an die Frauen anderer Expats in Indien, die – wie er selbst – im Dienst der East India Company standen. Vorrangig wurden dort aber Muraqqaʿs (Alben im Hochformat und imperialen Stil) angefertigt, die mit einer prachtvollen Widmungsrosette beginnen und aufwändig gerahmte Miniaturen und persische Kalligraphien enthalten. Sie dienten Polier als Statussymbole, die seinem Selbstverständnis als moghulischem Aristokrat entsprachen, insbesondere während seiner vierjährigen Tätigkeit als Architekt und Berater für Kaiser Shah Alam II. (reg. 1760–1806) in Delhi. Die hohe ästhetische Qualität und thematische Varietät der Polier-Alben sind ein Sonderfall, denn die meisten Europäer in Indien – so auch Swinton – wollten vor allem Alben mit bestimmten Lieblingsthemen besitzen, wie etwa Porträts des in ihren Augen letztem „Großmoghul“ Aurangzeb (reg. 1658-1707) sowie von Timur (gest. 1405), dem zentralasiatischen Eroberer Indiens und Ahnherrn der Moghuldynastie. Aber auch Bilder von Liebespaaren aus der Dichtung und Darstellungen von Gelehrten- und Asketenversammlungen waren beliebte Sammlerstücke. Einige dieser Bilder, manchmal auch ganze Alben, erwarben oder erbeuteten Europäer von hochrangigen indischen Vorbesitzern. Dies kann aus Besitzervermerken, Siegeln und Signaturen hergeleitet werden. Kopien populärer Kompositionen minderer Qualität waren vermutlich europäische Auftragsarbeiten.

ForschungsFRAGEN

Wie restauriert man eigentlich Papier? Woran erkennt man, ob ein Gemälde echt ist? Und wie spielt man denn nun Beethoven richtig? Mit den ForschungsFRAGEN geben wir Ihnen die Gelegenheit, uns Ihre Fragen zu stellen. In jeder Ausgabe des Forschungsnewsletters beantwortet ein*e Wissenschaftler*in aus der SPK ausgewählte Fragen aus der Community zu einem speziellen Thema.

Wie kann man sich die Arbeit eines Miniaturenmalers vorstellen? Gab es Miniaturenmaler wie die aus Orhan Pamuks "Rot ist mein Name" wirklich?

Friederike Weis: Wie Orhan Pamuk treffend schreibt, arbeiteten oft mehrere Maler an einer Miniatur zusammen – genauer gesagt: hintereinander – wobei ein Maler für die Anlage der Komposition (Unterzeichnung), ein anderer für den Farbauftrag und noch ein weiterer für das Malen der Gesichter verantwortlich war. Persische und indische Miniaturen basieren nur selten auf direktem Naturstudium, vielmehr ging es darum „herkömmliche Muster“ (Pamuk) zu wiederholen und damit den alten Meistern nachzueifern. Dabei gab es Maler, die auf Tierbilder oder zum Beispiel auf europäisch inspirierte Miniaturen spezialisiert waren. Ein individueller Stil, also eine eigene künstlerische „Handschrift“, wie sie in der europäischen Malerei seit der frühen Neuzeit eine große Rolle zu spielen begann, galt in der moghulischen und persischen Miniaturmalerei nicht als erstrebenswert und bei Standardkompositionen vermutlich sogar tatsächlich als „Makel“. Vielleicht hat Pamuk mit seiner Aussage recht, dass man unterschiedliche Malerhände daher nur anhand der Wiedergabe nachrangiger Details wie etwa den Ohren (die jeder von ihnen, „ganz gleich wie groß das Talent […] im eigenen Stil“ malte), unterscheiden konnte.


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