Über Nacht hat sich in Syrien alles geändert: Aber was wird aus diesem Land? Gedanken und Hoffnungen des Direktors des Museums für Islamische Kunst
Stefan Weber, Direktor des Museum für Islamische Kunst.
© Issam Hajjar
Am 1. Dezember sollte bei unserem Restaurierungsprojekt in Aleppo ein Training von Bauleuten beginnen. Doch dazu kam es nicht. Dima Dayoub, Denkmalpflegerin und Expertin am Museum für Islamische Kunst, konnte mit ihrer Familie kurz vor dem Einmarsch der Rebellen die Stadt fluchtartig verlassen. Der Wendepunkt im Syrien-Konflikt kam komplett überraschend und unerwartet. Seit einigen Monaten pendelt Frau Dayoub zwischen Berlin und Aleppo, um in Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis des Museums (FMIK) und der Gerda Henkel Stiftung das im Krieg zerstörte Haus Wakil zu restaurieren. Für uns eine Herzensangelegenheit, denn aus diesem Bürgerhaus stammt das berühmte Aleppo-Zimmer aus dem Jahre 1601, das wir gerade ebenfalls restauriert haben. Es wird in der neuen Dauerausstellung im Pergamonmuseum ab 2027 im neuen Glanz der Öffentlichkeit präsentiert. Die Restaurierung in Aleppo ist eines von mehreren (meist kleineren) Projekten, an dem Dima Dayoub seit dem Erdbeben von 2023 im Auftrag des Freundeskreises und unterstützt von privaten Spenden arbeitet. Erst am 15. November konnte wir die Restaurierung der Frontfassade der bedeutenden osmanischen Karawanserei Khan al-Wazir (1682) abschließen und mit einem Opernkonzert in Aleppo eröffnen.
Alles schien auf dem Weg – wenn auch auf einem mühevollen, denn seit Jahren ist viel zu wenig für den Wiederaufbau der Altstadt geschehen. Aleppo ist immerhin die wohl älteste bewohnte Stadt der Welt mit einer atemberaubenden Altstadt, die entgegen vieler Medienberichte in weiten Teilen recht gut erhalten ist. Die Zerstörungen ziehen sich hauptsächlich in einem breiten Streifen entlang der ehemaligen Frontlinie quer durch die Altstadt, mit Totalverlusten einiger bedeutender Monumente.
Seit 2013 sammelt das Museum für Islamische Kunst, lange mit Förderung des Auswärtigen Amtes und die ersten Jahre in Kooperation mit dem Deutschen Archäologischen Institut, Daten zum Bauerbe Syriens, insbesondere zu Aleppo. Baugeschichte, Zerstörungen aber auch Erinnerungen wurden in einem öffentlichen digitalen Archiv georeferenziert erfasst und Materialien für die Restaurierung entwickelt. Wir konnten ein zentrales Viertel und die Wohnhäuser der Stadt detailliert erforschen und in Monographien auch für Restaurierungen veröffentlichen. Immer wieder werden Datenpakete für einzelne Restaurierungen abgerufen, aber noch viel zu wenig. Man kann nicht von einem koordinierten Wideraufbau sprechen. Ein Embargo gegen das Asad-Regime und die korrupte Zentralverwaltung um die Asad Familie bremsten den Neubeginn aus.
Und nun das. Quasi über Nacht hat sich alles geändert. Freiheit schallt es durch die Straßen Aleppos und die überwältigende Mehrheit überall im Land freut sich über den Sturz des brutalen Regimes – auch psychologisch eine Befreiung. Es wird wohl auch nicht zu einer weiteren Schlacht um Aleppo kommen und der menschverachtende russische Bombenregen ist auch gestoppt. Alles gut?
Es herrscht viel Unsicherheit: wie regiert das neue islamistische Regime in der multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft Syriens? Wie halten sie es mit den Rechten von Frauen? Bleibt es bei den Versprechungen von Toleranz und Religionsfreiheit? Können sich moderate Stimmen durchsetzen? Wird die Korruption eingedämmt? Wir warten ein wenig ab. Dima Dayoub und ihre Partner sitzen jedenfalls schon in den Startlöchern und hoffen auf stabile Zeiten.