Hermann Parzinger über den „Maji-Maji-Aufstand“. Der brutale Krieg vor 110 Jahren, bei dem deutsche Truppen eine Erhebung gegen ihre koloniale Herrschaft niederschlugen, ist aus dem kollektiven Gedächtnis Deutschlands verschwunden.
Der Wunsch nach einem „Platz an der Sonne“ hatte nicht nur im heutigen Namibia, sondern auch im Osten Afrikas gravierendste Folgen für die dort lebenden Menschen. Die deutsche Kolonialisierung des heutigen Tansanias stieß auf breitere Gegenwehr und war blutiger, als allgemein bekannt ist. Bereits der Versuch der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, 1888 die Handelsstädte der Küste zu besetzen, stieß auf den Widerstand der lokalen Elite sowie von Teilen der Bevölkerung, der in der Folge vom neu ernannten Reichskommissar Hermann von Wissmann niedergeschlagen wurde.
Besucher bei der Ausstellung Living Inside the Story / Humboldt Lab Tanzania (Februar 2017). © Pavel Desort Photography
Der wichtigste Anführer der Revolte, Abushiri ibn Salim al-Harthi, wurde gefangen genommen und 1889 gehängt. Zwei Jahre später konnte Deutsch-Ostafrika als sogenanntes Schutzgebiet offiziell der Verwaltung des Deutschen Kaiserreiches unterstellt werden. Die Widerstandsbewegungen gegen die fremden politischen und wirtschaftlichen Machtansprüche hingegen dauerten an.
Deutschlands „furchtbarster Feind“
Hassan bin Omari Makunganya und Chief Machemba, zwei einflussreiche Händler und Machthaber im Südosten des heutigen Tansanias, verteidigten jahrelang erfolgreich ihre Einflusssphären gegen die deutsche Okkupation. Makunganya wurde gefangen genommen und in Kivinje an einem Mangobaum gehängt. Der Ort, an dem sich der Baum befand, heißt bis heute Mwembe Kinyonga, der „Mangobaum des Henkers“. Dort gibt es auch ein kleines Denkmal für Hasan bin Omari und die Kämpfer des Maji-Maji-Krieges.
Als „furchtbarster Feind“ Deutschlands bekannt wurde Mkwawa (Mkwavinyika Munyigumba Mwamuyinga). Er führte von 1891 bis 1898 den Krieg des Volkes der Hehe gegen die deutsche Kolonialmacht mit erfolgreicher Guerilla-Taktik an. Der Widerstand wurde von den „Schutztruppen“ äußerst brutal unterdrückt; so war als Strategie gegen Mkwawa bereits von einem „Vernichtungsfeldzug“ und „Zerstörungskrieg“ die Rede. Endgültig besiegt, beging Mkwawa 1898 Selbstmord. Der Schädel der Leiche wurde nach Deutschland gesendet; ein 1954 vom Bremer Übersee-Museum restituierter Schädel wird heute als Schädel Mkwawas in einem ihm gewidmeten Memorial Museum in der Nähe von Iringa aufbewahrt.
Zwischen 1905 und 1907 lehnten sich schließlich große Teile der in der südlichen Hälfte Deutsch-Ostafrikas lebenden Gesellschaften gegen die Vertreter der kolonialen Ordnung auf. Hauptauslöser war die hohe Steuerlast, die die Bauern zwang, in Plantagen zu arbeiten und die eigenen Felder zu vernachlässigen. In dieser Zeit sozialer und wirtschaftlicher Krisen gewann eine prophetische Bewegung an Bedeutung, die durch eine spezielle Medizin (maji = „Wasser“) Schutz und Unverwundbarkeit versprach und namensgebend für den Aufstand wurde.
Diesem Krieg, den die Deutschen unterstützt durch Askari und weitere Hilfstruppen mit aller Brutalität nach dem Prinzip der verbrannten Erde führten, fielen Hunderttausende zum Opfer. In der Literatur ist von 200.000 bis 300.000 Opfern die Rede, die zum großen Teil infolge der Zerstörung von Dörfern, Feldern und damit jeglicher Lebensgrundlage in der Region ihr Leben verloren. Unzweifelhaft stellt der Maji-Maji-Krieg neben dem Krieg der Herero und Nama gegen die Deutschen in Südwest-Afrika die wichtigste Erhebung gegen die kaiserliche Kolonialherrschaft dar.
Untrennbar mit der Gewaltherrschaft verbunden
Rund 10.000 Objekte umfasst die Tansania-Sammlung des Ethnologischen Museums heute; eine Anzahl hiervon ist leider untrennbar mit der damaligen Gewaltherrschaft verbunden. Dieser Tatsache sind wir uns als Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit seinen Staatlichen Museen zu Berlin sehr wohl bewusst und stellen uns daher unserer Verantwortung. In der Vorbereitung des Umzugs der Sammlungen aus Dahlem in das Humboldt Forum sehen wir uns daher nicht nur verpflichtet, Provenienzforschung zu betreiben, sondern haben uns auch proaktiv mit den relevanten politischen und kulturellen Institutionen in Tansania in Verbindung gesetzt.
Ende November des vergangenen Jahres hat hierzu in Dar es Salaam eine erste gemeinsame Konferenz stattgefunden, mitorganisiert durch das dortige Goethe Institut. Der Ansatz des Shared Heritage kann hier natürlich nicht sofort verfangen; schließlich geht es um Kriegsbeute und Kolonialismus, um begangenes Unrecht und antikolonialen Widerstand. Und gerade deswegen ist es in diesem Zusammenhang auch so wichtig, einen gemeinsamen Weg zum Umgang mit dieser Geschichte zu finden. Der Maji-Maji-Krieg darf nicht nur Thema für Geschichtsbücher sein, sondern muss auch Teil einer lebendigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit werden.
Zusammen mit Wissenschaftlern aus Tansania möchten wir diese Geschichte aufarbeiten und im Humboldt Forum erzählen. Der offene und von dem gemeinsamen Wunsch nach Aufarbeitung dieser dunklen Jahre getragene Dialog und die verschiedenen in Dar es Salaam geführten Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern des Nationalmuseums (National Museum and House of Culture), der Universität Dar es Salaam und der Division of Antiquities haben mich tief beeindruckt. Auch wenn sicherlich noch ein langer und manchmal auch mühsamer Weg vor uns liegt; für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist er dennoch alternativlos.
Der Maji-Maji-Krieg darf nicht nur Thema für Geschichtsbücher sein, sondern muss auch Teil einer lebendigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit werden.
Wir können und wollen die problematischen Teile unserer aus nahezu allen Weltregionen stammenden ethnologischen Sammlungen nicht verbergen, sondern offen damit umgehen. Ziel muss eine tiefe, langfristige und partnerschaftliche Zusammenarbeit sein. Lassen wir die Objekte reisen! Wäre nicht eine gemeinsam tansanisch-deutsch kuratierte Ausstellung zur gemeinsamen Geschichte in höchstem Maße erstrebenswert, die sowohl in Berlin wie auch in Dar es Salaam gezeigt wird? Ebenso sind natürlich auch Dauerleihgaben denkbar. In begründeten Einzelfällen wird man sich auch zu Rückgaben als Ergebnis einer gründlichen Provenienzforschung entschließen müssen.
Die Wiederentdeckung der Objekte des Aufstands
Auch wenn ein Großteil der Bestände des Ethnologischen Museums gar nicht aus ehemaligen deutschen Kolonien stammt, sondern durch Ankäufe in aller Welt systematisch erworben oder im Zuge von Forschungsreisen zusammengetragen wurde; unzweifelhaft kamen zu dieser Zeit auch Objekte aus verschiedenen Kriegen und Kampfhandlungen ins damalige Königliche Museum für Völkerkunde.
Im Zusammenhang mit dem antikolonialen Widerstand im heutigen Tansania erbeutete Objekte gerieten in Vergessenheit und wurden erst durch die gezielte Erforschung der Ostafrika-Sammlung im Hinblick auf Provenienzen „wiederentdeckt“. 32 Objekte, unter anderem Gewehrkugeln, ein Pulverhorn und ein Beutel mit „Medizin“, konnten dabei identifiziert werden, die eindeutig im Zusammenhang mit dem Maji-Maji-Krieg stehen.
Es ist Zeit, diesen vergessenen Krieg in das Bewusstsein der Menschen zurückzuholen; sowohl hier wie auch in Tansania. Es ist Zeit, die Umstände der Aneignung sowie die damalige Bedeutung der Objekte mit größter Sorgfalt gemeinsam zu rekonstruieren und der heutigen Bedeutung der Objekte für die Gesellschaften, von denen sie stammen, Rechnung zu tragen.
Unter Federführung der Afrika-Kuratorin Paola Ivanov hat das Ethnologische Museum hierzu in den letzten Monaten zwei wegweisende Projekte initiiert. „Tansania-Deutschland: Geteilte Objektgeschichten?“ beginnt mit der Untersuchung ausgewählter Sammlungsbestände aus dem heutigen Tansania. Ziel ist die Entwicklung eines Rahmenkonzepts für die Erforschung der Provenienz problembeladener, insbesondere in der Kolonialzeit gesammelter Bestände des Ethnologischen Museums. Ausgangspunkt des Pilotprojektes sind hierbei zunächst die klassischen Fragestellungen der Provenienzforschung: Welche Biografien haben die Objekte? Wer waren die Vorbesitzer und eventuellen Zwischenhändler? Wie sind die jeweiligen Objekte in den Besitz des Museums gelangt?
Es ist Zeit, die Umstände der Aneignung sowie die damalige Bedeutung der Objekte mit größter Sorgfalt gemeinsam zu rekonstruieren und der heutigen Bedeutung der Objekte für die Gesellschaften, von denen sie stammen, Rechnung zu tragen.
Vor dem Hintergrund der Besonderheiten ethnologischer bzw. afrikahistorischer Provenienzforschung stellt sich in diesem Zuge auch zwangsläufig die Frage nach der Rolle und Bedeutung von Objekten in den kolonialen Begegnungen und Machtbeziehungen, die meist von dem gewaltsamen Aufzwingen neuer räumlicher, sozialer, politischer und religiöser Ordnungen durch die Kolonisierenden geprägt waren. Trotz der Fokussierung auf die Gewaltförmigkeit der kolonialen Expansion sollten die Brüchigkeit deutscher Kolonialherrschaft und die Handlungsmacht der Afrikanerinnen und Afrikaner stets mitgedacht werden.
Eine Ausstellung am Ort des Schreckens
In einem zweiten Schritt soll das Projekt die wechselnden Biografien der Objekte bis in die Gegenwart verfolgen und fragen, wie sich diese Sinngebungen historisch im Laufe der kolonialen und postkolonialen Zeit verändert haben. Oswald Masebo, Professor für Geschichte an der Universität Dar es Salaam, äußerte hier die gute Idee, die Objekte „wieder sprechen zu lassen“. Dies kann natürlich nur in enger Kooperation mit tansanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie mit den Nachkommen derjenigen Menschen erfolgen, die diese Objekte geschaffen haben.
In Zusammenarbeit mit dem tansanischen Nationalmuseum ist daher geplant, zwei Curators in Residence aus Tansania für einige Monate in das Ethnologische Museum einzuladen. Zudem wurde ein „Memorandum of Understanding“ zwischen der Universität Dar es Salaam und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unterzeichnet, das die Grundlage für eine gemeinsame Forschungsarbeit in deutsch-tansanischen Teams in einer zweiten Projektphase bilden soll. Doch nicht nur den zukünftigen Besuchern des Humboldt Forums sollen diese Ergebnisse zugänglich gemacht werden, sondern mit Hilfe einer digitalen Plattform zukünftig auch einer breiteren und vor allem weltweiten Öffentlichkeit.
Konkret wird die Zusammenarbeit bereits im Rahmen des Humboldt Lab Tanzania. In diesem vom Fonds TURN der Kulturstiftung des Bundes geförderten Projekt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Kulturschaffende und Museumsfachleute aus Deutschland und Tansania einen interdisziplinären kritischen Dialog angestoßen.
Als sichtbares Ergebnis des Humboldt Lab Tanzania wurde vor einigen Wochen eine von Lili Reyels kuratierte interdisziplinäre Ausstellung mit dem Titel „Living Inside the Story“ in Dar es Salaam eröffnet. Vier junge tansanische Künstlerinnen und Künstler haben sich hierbei im Vorfeld mit einzelnen Objekten der Tansania-Sammlung beschäftigt und ihre Eindrücke und Empfindungen künstlerisch umgesetzt.
Nun wurde die Ausstellung auch nach Songea in den Süden Tansanias eingeladen, wo am 27. Februar 2017 die alljährlichen Maji-Maji-Gedenkfeierlichkeiten stattfinden. Angesichts des traurigen Hintergrundes dieses Erinnerungstages ist es ein wunderbares Zeichen der konstruktiven Zusammenarbeit, dass die Ausstellung auch am Ort des Schreckens gezeigt werden kann.