Hotzenplotz, Krabat und die kleine Hexe – Was hat Otfried Preußlers Geschichten zu Klassikern der Kinderliteratur gemacht? Diese und weitere Fragen beantwortet Carola Pohlmann, seit 1993 Leiterin der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin.
Carola Pohlmanns Forschungsschwerpunkte sind die Kinder- und Jugendliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts, die historische und moderne Sachliteratur für Kinder sowie Kinderbuchillustrationen. Sie hat zahlreiche Ausstellungen kuratiert, darunter „Wien und Berlin. Zwei Metropolen im Spiegel des Kinderbuchs“ (2008), „Rotkäppchen kommt aus Berlin! 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen in Berlin“ (2012), „Das Kinderbuch erklärt den Krieg. Der Erste Weltkrieg in Kinder- und Jugendbüchern“ (2014) und war an der Vorbereitung des Stabi Kulturwerks beteiligt, das als zentraler Ausstellungsort der Staatsbibliothek 2022 eröffnet wurde.
Was hat Otfried Preußlers Bücher zu Kinderbuchklassikern gemacht?
Carola Pohlmann: Otfried Preußler ist einer der großen Erzähler deutscher Sprache. Er hat sich selbst stets bescheiden als „Geschichtenerzähler“ bezeichnet. In vielen seiner Kinderbücher verarbeitete er Sagenstoffe seiner böhmischen Heimat. Ungewöhnliche Schauplätze – wie die Unterwasserwelt in „Der kleine Wassermann“ oder der tiefe Wald mit dem windschiefen Häuschen der kleinen Hexe – regen die Fantasie der Kinder an. Die starken, mutigen, aber nicht fehlerfreien Heldinnen und Helden seiner Bücher sind geeignete Identifikationsfiguren für Kinder. Die Geschichten sind poetisch, aber zugleich in ihrer Struktur klar und überschaubar, sie wecken die Freude am Weiterlesen und Weitererzählen. Einen besonderen Reiz stellt der Erzählton in Preußlers Büchern dar, der Klang der Worte und Sätze. Preußler wurde früh durch die Erzählungen seiner Großmutter und seines Vaters geprägt, seine Literatur schöpft aus der mündlichen Überlieferung. Bevor er Kinderbücher schrieb, verfasste er Gedichte und Theaterstücke, er war sich also der Wirkung gesprochener Texte bewusst. Viele seiner Geschichten entstanden nicht am Schreibtisch, sondern beim Gehen, während er Texte mit einem Diktiergerät aufzeichnete. Nicht zuletzt deshalb eigenen sich Preußlers Bücher auch besonders gut zum Vorlesen.
Carola Pohlmann in ihrem Element, umgeben von Büchern.
Foto: © SPK / photothek / Thomas Koehler
Inwiefern war der Räuber Hotzenplotz eine Kinderbuchrevolution?
Die Bezeichnung „Kinderbuchrevolution“ würde ich zwar nicht wählen, aber Hotzenplotz ist tatsächlich ein ungewöhnlicher Kinderbuch-Held. Er bietet sich ja scheinbar schon wegen seines Alters und seiner Profession nicht als Identifikationsfigur an, wird aber von Preußler so überzeugend mit seinen menschlichen Schwächen und Irrtümern beschrieben, dass er dennoch Sympathien weckt und man trotz seiner Schandtaten (und oft ohne es zu wollen) mit ihm mitleidet. Die „Räuber-Hotzenplotz“-Bände, die in der Tradition der Kasperl-Stücke stehen, sind für Leserinnen und Leser aller Altersgruppen geeignet. Die burleske Komik erreicht Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Dabei wurde der erste Band der Trilogie von Preußler eigentlich verfasst, weil er sich mit einem leichten Stoff von der belastenden Arbeit am „Krabat“ ablenken wollte.
Manche Werke wie „Winnetou“ oder „Der Trotzkopf“ sind aus heutiger Sicht nicht „gut gealtert“. Wie sieht das mit den Preußler-Werken aus?
Emmy von Rhodens Mädchenbuch „Der Trotzkopf“ und Karl Mays Winnetou-Bände erschienen Ende des 19. Jahrhunderts und zeigen das Zeit-, Geschichts- und Menschenbild jener Epoche, das sich von unseren heutigen Auffassungen deutlich unterscheidet. Trotzdem werden sie weiterhin aufgelegt und rezipiert. Auch Preußlers Kinderbücher können inzwischen zu Recht als „historisch“ gelten, sind die meisten von ihnen doch vor mehr als 50 Jahren erschienen. Dennoch spiegeln Preußler Geschichten mit ihren mutigen, eigenwilligen Heldinnen und Helden, die stets ihrem Gewissen folgen, Auffassungen, die auch heute noch Bestand haben. 2013 wurden auf Anregung des Thienemann-Verlags Begriffe, die nicht mehr den Ansprüchen an eine politisch korrekte Ausdrucksweise genügen, eliminiert und ersetzt. Die Ankündigung dieser Textänderungen löste allerdings heftige Kontroversen und ein entsprechendes Medienecho aus.
ForschungsFRAGEN
Wie restauriert man eigentlich Papier? Woran erkennt man, ob ein Gemälde echt ist? Und wie spielt man denn nun Beethoven richtig? Mit den ForschungsFRAGEN geben wir Ihnen die Gelegenheit, uns Ihre Fragen zu stellen. In jeder Ausgabe des Forschungsnewsletters beantwortet ein*e Wissenschaftler*in aus der SPK ausgewählte Fragen aus der Community zu einem speziellen Thema.
Denkt man an die Preußler-Bücher, hat man immer auch die Illustrationen vor Augen. Wären seine Bücher auch illustrationslos so bekannt geworden?
Bei illustrierten Kinderbüchern ist die Balance aus Text und Bild grundsätzlich wesentlich, denn beide Elemente tragen maßgeblich zum Erfolg der Bücher bei. Natürlich ist es schwer zu prognostizieren, ob Preußlers Bücher ohne – oder mit anderen – Illustrationen weniger bekannt geworden wären. Dennoch steht fest, dass Winnie Gebhardt-Gayler, Franz Josef Tripp, Herbert Holzing, Ursula Kirchberg und viele andere Künstlerinnen und Künstler entscheidend dazu beigetragen haben, Preußlers Figuren – den Räuber Hotzenplotz, die kleine Hexe, das kleine Gespenst oder Krabat – zum Leben zu erwecken und im Gedächtnis ganzer Generationen zu verankern. Otfried Preußler war sich der Rolle der Illustrationen für seine Geschichten übrigens sehr wohl bewusst und hob diese in Aufsätzen und Interviews explizit hervor.
Die Staatsbibliothek zu Berlin präsentiert vom 27. Oktober 2023 bis 7. Januar 2024 (Di-So 10-18 Uhr und Do 10-20 Uhr, Eintritt frei) die Ausstellung „Der Mensch braucht Geschichten. Otfried Preußler zum 100. Geburtstag“ im Stabi Kulturwerk (Unter den Linden 8, 10117 Berlin).
Grafik © F.J. Tripp, kol. von Mathias Weber, Thienemann Verlag