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„Ich habe gern den Ton angegeben“

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Conny Restle nimmt nach drei Jahrzehnten Abschied vom Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung: Manuel Brug spricht mit ihr über schönste Momente, die Freiheit über den Wolken und warum Essen und Musik zusammengehören

Frau Restle, wann weiß man, dass es Zeit ist, aufzuhören?

Dann, wenn es am schönsten ist. Und deswegen gönne ich mir diesen Luxus, jetzt, nach 32 Jahren, diese von mir sehr geliebte Institution in bellezza zu verlassen. Das Musikinstrumenten-Museum war ja schon allein aufgrund meiner langen Bleibezeit sehr deutlich mein Lebensinhalt. Aber jetzt müssen andere kommen, einiges besser und auch ihre Fehler machen. So wie ich. Das ist doch ganz normal. Neue Leute sollten jetzt mit neuen Ansichten auf die Sammlung schauen. Ich wollte nicht hier versteinern, sondern diesen Abschied gern selbst bestimmen. Mir ist es lieber, man fragt, warum geht sie denn schon? Als dass es heißt, wann ist die endlich weg?

Haben Sie das wirklich befürchtet?

Einfach war das nicht. Ich wollte für die Institution immer das Beste herausholen, damit Berlin und seine Museumslandschaft stets weiß, was für einen Solitär es hier am Kulturforum gibt. Jedermann sollte sich hier eingeladen fühlen: Fachleute, Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Jede Zeit hat ihren ganz bestimmten Blick und ihre Fragen an die Artefakte von gestern. Damit habe ich es mir nicht leichtgemacht, aber auch alle, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren stets gefordert. Denn wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann versuche ich es auch gegen alle Widerstände durchzusetzen. Und die gab es in einer so langen Zeit natürlich immer auch wieder.

 

Porträt einer jungen Frau am Piano

Conny Restle

Conny Restle, geboren in München, wuchs in einem kulturaffinen Umfeld auf, der Vater war Kunsthistoriker. Nach ihrem Abitur studierte sie von 1980 bis 1985 Musikwissenschaft, Lateinische Philologie des Mittelalters und Deutsche Philologie des Mittelalters an der Universität München.

Nach ihrem Abschluss arbeitete sie von 1986 bis 1989 u.a. bei der Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte. 1989 wurde sie im Fach Musikwissenschaft mit einer Arbeit über Bartolomeo Cristofori und die Anfänge des Hammerclaviers promoviert. Von 1989 bis 1991 war sie wissenschaftliche Assistentin und verantwortliche Koordination des Forschungsprojekts „Cembali – Hammerclaviere“ des Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Wien.

1992 ging Restle an das Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung Berlin (SIMPK) und war dort seit 1994 als Leiterin, seit 2002 als Direktorin tätig. 2012 wurde sie Honorarprofessorin an der Universität der Künste Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören neben den Tasteninstrumenten auch die Instrumente der Antike, des Mittelalters und des 16. bis frühen 20. Jahrhunderts. Außerdem widmete sie sich Forschungen zur Akustik und zur Historischen Aufführungspraxis.

Foto: Conny Restle, 2002, Aufnahme: Privat

Sie sind ja schließlich an keiner Einzelinstitution, sondern sie ist Teil eines sehr großen Museumsverbands.

Ja, aber ich habe das Behütetsein des Musikinstrumenten-Museums durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz immer bereichernd empfunden. Ich habe viel gelernt und Anregungen für meine Museumsarbeit erhalten, ich konnte mich mit vielen interessanten, großartigen Menschen austauschen, habe dabei immer wieder über den Tellerrand geblickt, was hoffentlich auch in unsere Museumsarbeit eingeflossen ist.

 

Alte Musikinstrumente werden ja gern als altes Holz und Blech abqualifiziert. Wie bringt man die zum Sprechen?

Indem zunächst einmal ein möglichst repräsentativer Prozentsatz auch vorzeig-, vor allem aber spielbar ist. Als Original oder Nachbau. Auch solch kostbaren Zeugnisse der Geschichte müssen sich artikulieren können. Es reicht nicht, wenn sie nur in Vitrinen stehen. Konzerte und Vorführungen, natürlich auch Tonbeispiele auf dem Audioguide bringen sie erst zum Leben, lassen sie atmen.

 

Sind solche Audioguides nicht immer ein Kampf mit der Technik?

Ja, weil sie immer wieder erneuert werden müssen. Und oftmals ist die Technik, sind Kopfhörer und Abspielgeräte auch schon viel früher verschlissen als ihr Inhalt. Aber dann muss man Neues ausprobieren. Das Vermitteln geht an einem Museum immer neue Wege. Unseren aktuellen digitalen Museumsguide haben wir mit dem jungen Berliner Startup-Unternehmen shoutr labs entwickelt. Da lässt sich sehr viel webbasiert abrufen. Das Team habe ich beispielsweise bei den Kollegen im Naturkundemuseum kennengelernt.

Eine Frau spielt für eine Menge an Menschen Piano
Beim Fest der Freunde 2014 (Gründung des Fördervereins "Freunde des MIM"). Foto: Alexander Rausch
Eine Frau spricht neben einem Piano
Moderation beim Publikumstag "100 Jahre SIM" im Juni 2017. Foto: SPK/photothek/Thomas Trutschel
Eine Frau gibt eine Führung im Museum
Führung durch die Ausstellung "Good Vibrations" bei der Langen Nacht der Museen 2017. Foto: Christian Elsner
Personen auf der Bühne, daneben ein Flügel
Im Gespräch mit Ben vom KiKA bei der Eröffnung der Beethovenlounge beim "B and Me!"-Kinderfest 2020. Foto: Anne-Katrin Breitenborn

Sie selbst sind ja auch begeisterte Hobby-Pilotin…

Wofür ich auch mehr Zeit haben wollte und in einem noch vorzeigbaren Alter die Zeit, mich in neue aeronautische Abenteuer zu stürzen.

 

Wollten Sie schon immer hoch hinaus?

Offenbar. Ich bin in München-Ramersdorf aufgewachsen, das lag damals in der Einflugschneise des Flughafen Riem. Irgendwie haben mich diese Riesendinger da oben, die Super Constellations, fasziniert. Ich habe dann aber auch das Gefühl des Loslassens, Abhebens, Schwereloswerdens, Hintersichlassens immer faszinierend gefunden. Und wollte unbedingt den Pilotenschein machen. Da oben hat man natürlich auch Verantwortung.

 

…die einen am Boden als Leiterin qualifiziert?

Das würde ich schon sagen. Ich wollte immer anführen. Seit dem Studium schon, und dann auch als Cembalistin und Pianistin auf alten Instrumenten. Ich habe gern den Ton angegeben, wollte in eine, meine Richtung vorpreschen. Und so ging es, als ich Anfang 1992 an das Musikinstrumenten-Museum kam sehr schnell. Bald habe ich auch zuerst an der Freien Universität, dann an der Universität der Künste zu unterrichten begonnen. Theorie und Praxis, das war mir stets als Balance wichtig. Und daneben noch die Fliegerei und die Berge. Und so habe ich immer versucht, möglichst viele Konzerte mit und im Museum zu organisieren. Denn bei einem Instrumenten-Museum gehört das einfach dazu.  

Frau in einem Cockpit

Begeisterte Hobbypilotin: Conny Restle. Foto: Privat

Wie hat es Sie eigentlich nach Berlin verschlagen?

Die Stelle hatte natürlich gelockt. Aber in München war auch eine Entwicklung für mich zu Ende, ich wollte mich verändern und raus aus meinem Kernbereich, dem 16. und 17. Jahrhundert.

 

Welches sind im Haus Ihre Lieblingsstücke?

Das ist aber wirklich schwer zu sagen. Wenn ich drei herausgreifen müsste, dann zunächst mal das Cembalo der Duchesse Yolande de Polinac, das wir 1998 mit lupenreiner Provenienz erwerben konnte. Das ist auch bei alten Instrumenten wichtig. Gebaut hat es 1767 der hochbedeutende Benoist Stehlin. Die Duchesse war die engste Vertraute von Marie Antoinette, hat die gesamte Musik beaufsichtigt, die in den petites Appartements als intime Unterhaltung aufgeführt wurde. Auf diesem Instrument wurde also auch Musikgeschichte geschrieben! Dann natürlich unser Prachtstück, die Mighty Wurlitzer, die größte Kinoorgel in Europa. Einst für Werner von Siemens hergestellt, setzten wir diese Sonderanfertigung heute gern und häufig auch für Konzerte und Stummfilmvorführungen ein. Und dann auf jeden Fall noch der Satz der Naumburger Blasinstrumente, wie ihn kaum jemand in dieser Vollständigkeit besitzt. Sie spielten in der Musik der Renaissance und im Syntagma musicum von von Michael Praetorius eine große Rolle. Die meisten Nachbauten heutiger Gruppen für frühe Alte Musik fußen auf unseren Vorlagen.

 

Ich frage nochmals: Wann wussten Sie, dass jetzt der richtige Abschiedsmoment ist?

Als klar war, dass der Verlustkatalog des Musikinstrumenten-Museums in drei Bänden abgeschlossen sein würde. Auch wenn der Hintergrund traurig ist, es ist ein feines Abschiedsgeschenk. Kurz erklärt: Das Museum besaß vor dem Krieg knapp 4000 Objekte, danach waren es nur noch 900. Jetzt sind wir wieder bei gut 3900. Stolz bin ich darauf, wie viele wir davon sogar ständig zeigen können. Auch weil wir die Präsentation immer wieder variiert und angepasst haben.

 

Was wird Ihnen fehlen?

Der Austausch mit den Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen, den Wissenschaftler*innen, den Restaurator*innen, dem Verwaltungs- und Vorderhauspersonal. Schade ist, dass ich es nicht geschafft habe, das SIM-Café aus dem Keller zu holen. Denn Essen und Trinken  sind für mich Genuss wie auch die Musik.

 

Was werden Sie im Unruhestand treiben?

Neben der Fliegerei vermehrt unterrichten und meine Leidenschaft an eine junge Generation von Wissenschaftlern weitergeben. Und endlich länger nach Florenz fahren, um über meine alte Liebe Bartolomeo Cristofori, Instrumentenbauer und Erfinder des Hammerclaviers, weiter mit Kolleg*innen die Medici-Archive zu durchforsten.


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