Was verbindet afrikanische und europäische Skulpturen miteinander? Im Interview erklärt Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, das Konzept der Ausstellung „Afrika im Bode-Museum“.
Bis zur Eröffnung des Humboldt Forums wird es im Bode-Museum eine kuratorisch außergewöhnliche Ausstellung zu sehen geben: Skulpturen aus Afrika treten in einen Dialog mit Skulpturen aus Europa. Im Interview spricht Michael Eissenhauer über das Ausstellungskonzept und erklärt, inwieweit die einmalige Zusammenstellung einen Vorgeschmack auf das spätere Humboldt Forum geben wird.
Diese Zusammenstellung erinnert an die Präsentationsform der Königlichen Kunstkammer, die in Berlin bereits auf das 16. Jahrhundert zurückgeht und die den Kern der späteren Sammlungen der Staatlichen Museen bildet.
Das stimmt. Schon damals wurde nicht zwischen Hoch- und Niedrigkultur unterschieden. Es wurde all das Spannende, Schöne und Reizvolle in der Welt zusammengeführt. Man wollte damals die Welt als Ganzes begreifen. Und diesen Gedanken wollen wir auch im Humboldt Forum wieder aufgreifen. Dort sollen die Kulturen der Welt in die Nähe der alten Kulturen Europas gebracht werden. Die Ausstellung im Bode-Museum, die durch das Kuratorium Preußischer Kulturbesitz großzügig unterstützt wird, wird darauf einen Vorgeschmack geben.
Die Ausstellung ist also eine gute Gelegenheit, neue Formen der kuratorischen
Zusammenarbeit zu erproben. Kunsthistoriker und Ethnologen erarbeiten im Team neuartige und hoffentlich spannende Ausstellungskonzepte. Was hat man auf diesem Weg bis dato voneinander lernen können?
In dieser Kooperation liegt der eigentliche Reiz der Ausstellung. Kunsthistorisches Sehen trifft hier auf ethnologisches Sehen. Da gibt es ganz unterschiedliche Methoden und Herangehensweisen. Ethnologen etwa fragen zunächst nach der Funktion eines Objektes und nach seiner Einbindung in den konkreten Alltag. Kunsthistoriker wiederum interessiert die Stilgeschichte, die Ikonografie oder die Komposition. Das sind Herangehensweisen, die sich nicht nur unterscheiden; sie sind sich teilweise sogar fremd. Aber diese Differenzen können unseren Horizont erweitern. Die Ausstellung ist ein kollegiales Zulaufen auf die jeweils andere Disziplin.
Man könnte einwenden, dass ein solcher Ansatz zu Willkür und Beliebigkeit führt. Sie selbst sprachen vorhin von den „assoziativen Verknüpfungen“, nach denen die Skulpturen zusammengestellt würden. Ist freie Assoziation eine wissenschaftliche Methode?
Die Ausstellung hat nicht den Anspruch, einen dialogischen Kulturtransfer herzustellen oder diesen gar nachzuweisen. Es geht nicht um Verpuppungen von Formen oder um den Nachweis, dass eine Form aus einer anderen erwachsen ist. Wir suchen vielmehr nach arche-typischen Urformen. Aus ähnlichen Ansprüchen an die jeweilige Skulptur sind zum Teil ähnliche Formen entstanden. Die Suche nach Schönheit, Repräsentation oder Funktion hat in ganz unterschiedlichen Kulturen zu vergleichbaren Lösungen geführt.
Können Sie das vielleicht an einem Beispiel erläutern?
Es wird in der Ausstellung unter anderem eine Gegenüberstellung von Schutzfiguren geben – eine Schutzmantelmadonna aus dem späten 15. Jahrhundert trifft auf eine sogenannte Kraftfigur aus dem Kongo des 19. Jahrhunderts. Die beiden Figuren weisen kaum formale Ähnlichkeiten auf. Aber den Grundgedanken – dass nämlich eine verehrte Figur aufgrund ihrer spezifischen Gestaltung einen Schutzcharakter für den Menschen entwickeln kann – haben dann beide Skulpturen gemein. Sowohl in Europa als auch in Afrika war eine solche Figur durchaus lange Zeit mit Gefühlen von Trost, von Geborgenheit und Sicherheit verbunden.
Die Suche nach Schönheit, Repräsentation oder Funktion hat in ganz unterschiedlichen Kulturen zu vergleichbaren Lösungen geführt.
Solche Archetypen lassen sich in der Geschichte der Kunst von Anbeginn
nachweisen. Denken Sie etwa an die Megalithkulturen oder die Venusfigurinen der ausgehenden Altsteinzeit. Gibt es kulturhistorische Erklärungsansätze für dieses interessante Phänomen?
Es gibt zwei wichtige Erklärungsmodelle: Das eine hat Aby Warburg mit den sogenannten Formenwanderungen in seinem Mnemosyne-Atlas formuliert; das andere stammt von C. G. Jung und seiner Suche nach den archetypischen Ur-und Traumsymbolen des Menschen. Ich glaube, dass beide Ansätze ihre Berechtigung haben. Es gibt keine eindimensionale Antwort auf Ihre Frage. Am Ende zeigt dieses Phänomen aber, dass Menschen ganz unterschiedlicher Kulturen und Ethnien subkutan miteinander verbunden sind. Und eine solche Verbindung kann immens viel Verständnis für das vermeintlich andere erzeugen.
Bode-Museum
Das Bode-Museum der Staatlichen Museen zu Berlin krönt die Nordspitze der Museumsinsel. In dem 1904 vollendeten Gebäude befinden sich heute die Skulpturensammlung, das Museum für Byzantinische Kunst und das Münzkabinett. Zudem werden dort rund 150 Bilder der Gemäldegalerie präsentiert.
Die Konzeption des als Kaiser-Friedrich-Museum errichteten Gebäudes geht auf Ideen der Kronprinzessin Victoria aus den frühen 1880ern zurück, die Wilhelm von Bode in die Praxis umsetzte. 1956 erhielt es nach seinem geistigen Schöpfer den bis heute beibehaltenen Namen: Bode-Museum.