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Studierende ins Archiv!

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200 Studierende des Friedrich-Meinecke-Instituts lernten das Arbeiten mit Archivalien bei einem ‚Tag des Archivs‘ im GStA PK kennen

Gebäudefassade hinter Vorgarten
Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK). Foto: © Geheimes Staatsarchiv PK / Vinia Rutkowski
Gläserne Gebäudefassade
Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Foto: FU Berlin

Als das Preußische Geheime Staatsarchiv vor 100 Jahren, genauer am 26. März 1924, seine Pforten in Dahlem öffnete, ging es nicht nur um verbesserte Arbeitsmöglichkeiten im neuen Archivzweckbau: Der Umzug aus der Klosterstraße inmitten Berlins an den südwestlichen Stadtrand galt als weiterer Baustein bei der Entwicklung des geplanten neuen Wissenschaftsstandorts Dahlem zum „deutschen Oxford“ mit engen Kontakten zwischen der geplanten Universität, weiteren Forschungsinstituten und eben dem preußischen Zentralarchiv.

Was muss ich an Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit investieren, und was bringt es mir an Erkenntnisgewinn?

Heute ist nicht nur im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), sondern bundesweit in den staatlichen Archiven mit dem beobachteten Rückgang der Nutzungszahlen von Studierenden ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Verantwortlich gemacht für diese Entwicklung wird häufig die mit dem Schlagwort „Bolognaprozess“ bezeichnete Vereinheitlichung des europäischen Studienwesens Ende der 1990er Jahre und die damit intendierte Verkürzung der Studiendauer: Für das Arbeiten mit archivalischen Quellen fehlt es im Studium häufig an Zeit. Die klassischen sogenannten Historischen Hilfswissenschaften wie die Urkundenlehre und insbesondere die Paläographie, also das Entziffern älterer Schriftformen, haben kaum noch Platz im Studiengang. So stellt die Schwierigkeit beim Lesen der bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts oft handschriftlich verfassten Dokumente in deutscher Schrift mit ihrem uns heute nicht mehr geläufigen Schriftbild eine hohe Hürde im Umgang mit den Archivalien dar.

Es kann daher eigentlich nicht verwundern, wenn sich die Studierenden fragen, ob sich der Aufwand eines Archivbesuchs lohnt. Hier setzte eine Veranstaltung des GStA PK gemeinsam mit dem Friedrich-Meinecke-Institut als Fachbereich der Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin am 22. November 2023 an: in den Veranstaltungsräumen des Archivs boten Archivar*innen drei 90-minütige Themenmodule an, in denen der Umgang und das Arbeiten mit Archivalien erprobt werden konnte. Neben dem inhaltlichen Zuschnitt ging es dabei auch um die Frage nach Kosten und Nutzen des Arbeitens mit Archivalien: Was muss ich an Zeit, Geduld, Aufmerksamkeit etc. investieren, und was bringt es mir an Erkenntnisgewinn?

Thematisch deckten die Module ein weites Spektrum ab. So stand im Modul ‚Ritter und Kanzlisten‘ der Deutsche Orden als einer der global player des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Fokus: Aus seiner Kanzlei stammten die Urkunden und Amtsbücher, die gemeinsam diskutiert wurden. Dabei sollte es weniger um das Entziffern der Schrift gehen als vielmehr um das Einordnen und Bewerten der Quelle anhand ihrer äußeren Merkmale und der Frage, wer sie wann und mit welcher Intention erstellt hat.

Das Thema ‚Heimat und Fremde‘ arbeitete mit Archivalien aus dem 17. bis 20. Jahrhundert zu Kolonialismus, Migration, Flucht und Vertreibung. Die Quellen wurden dabei auch in ihrer Materialität betrachtet: Was unterscheidet ein Buch von einem Aktenband, welche Auswirkungen haben diese Unterschiede für den Inhalt? Die Teilnehmer*innen arbeiteten mit vorhandenen Transkriptionen und testeten aus, welche Tricks es beim Lesen der Schrift gibt.

‚Hundert Jahre „Ruhrkampf“ – Die Besetzung des Ruhrgebiets 1923‘: So lautete das Thema des dritten Moduls. Wegen zu geringer Reparationszahlungen besetzten Frankreich und Belgien im Januar 1923 das Ruhrgebiet, eine der wirtschaftlich potentesten Regionen des Deutschen Reiches. Wie spiegeln sich die Besetzung und ihre Folgen (Streiks, Gewaltmaßnahmen, Attentate, Übergriffe etc.) in archivalischen Quellen wider? Wie lassen sich diese Archivalien auswerten?

In einem weiteren Modul wurde den Studierenden zusätzlich das Berufsbild Archivar*in vorgestellt. Ausgehend vom Auftrag der Archive standen Archivar*innen den Studierenden Rede und Antwort zu Fragen um die verschiedenen Ausbildungsgänge, aber auch um die persönliche Motivation bei der Berufswahl.

Eigentlich als Testlauf zwischen Archiv und Universität vereinbart, wurden die Angebote schon bei der ersten Durchführung sehr gut angenommen: Sieben Dozent*innen mit insgesamt zweihundert Studierenden nahmen teil. Das Feedback sowohl von Universität wie Archiv ist sehr positiv ausgefallen: Die Studierenden zeigten sich fasziniert vom Arbeiten mit den historischen Dokumenten, das Archiv hat das große Interesse der Studierenden an derartigen Formaten erkannt. Aktuell denken GStA PK und FMI über eine Fortsetzung dieser Zusammenarbeit nach; auch aus anderen Berliner Universitäten gibt es Anfragen. Damit erhält  passend zum diesjährigen Jubiläumsjahr des GStA PK – die Idee einer engeren Kooperation von Archiv und Universität neue Impulse.


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